Muminsmamamania

Beitragbsbild: Tove Jansson (Alma Pöysti) und ihre Geliebte Vivica Bandler (Krista Kosonen) beim späten Frühstück oder so // © Salzgeber

Die Mumins sind Kult. Viele, viele Menschen dürften sie kennen, wenigstens von ihnen gehört, oder eher sie mal gesehen haben. Personen mit Stilgefühl und zumindest leichter Sammelleidenschaft dürften die eine oder andere iittala-Mumin-Tasse im Schrank haben, Socken gibt es, Decken, Kissen, … und natürlich die Bücher und Illustrationen. Weniger bekannt ist diesen Vielen wohl zumindest in unserer Gegend die Erfinderin dieser kleinen Trollwesen, die 1914 geborene Finnlandschwedin Tove Jansson – so im Übrigen auch mir, das geb’ ich gern offen zu.

Die frauenliebende Frau hinter den Mumins

Ebenso gern gebe ich zu, mich sehr zu freuen, dass der seit Ende März im Verleih von Salzgeber in den deutschen Kinos laufende Film Tove der finnischen Regisseurin Zaida Bergroth das ein Stück weit geändert hat. Bewusst war mir, dass Tove Jansson bis zu ihrem Tod (2001, das Jahr wusste ich nicht) mit einer Frau zusammenlebte. Da hörte es dann im Grunde aber auch schon auf. Da kommt eine Filmbiografie doch wie gerufen und noch dazu eine, die aus anderen Ländern schon mit reichlich Lorbeeren bedacht zu uns kommt und die Einreichung Finnlands als Bester fremdsprachiger Film für den Oscar-Wettbewerb 2021 gewesen ist.

Purer Neid auf Tove Jansson (Alma Pöysti)! // © Salzgeber

Tove, geschrieben von Eeva Putro, die auch eine enge Freundin von Tove spielt, setzt 1944 in Helsinki mit einem bildsprachlich spannenden Effekt ein: Wir sehen die tanzende Tove Jansson, um dann prompt in einen Schutzbunker zu blenden, in dem sie sich die Zeit mit dem Zeichnen von Mumin-Figuren vertreibt – das erste, noch erfolglose Buch erscheint 1945. Der Film verbringt nicht viel Zeit seiner 100 Minuten damit, uns lange Einführungen zu einzelnen Figuren zu geben – die Lebenssituationen, Verbindungen zu Tove, Einstellungen und Stellungen finden wir durch Dialoge und Begegnungsmomente heraus; so auch das komplexe Verhältnis zu ihrem Vater Viktor ‚Faffan‘ Jansson (Robert Enckell), der ein angesehener Bildhauer war und wollte, dass auch seine Tochter eine hochangesehene bildendende Künstlerin wird. Ergo: Diese Mumins sind doch nichts. Ihre Mutter, Signe ‚Ham‘ Jansson (Kajsa Ernst), selber Grafikerin, vermittelt hier und da zwar („Wollt ihr vor oder nach eurem Streit Kaffee trinken?“), ganz auflösen kann sie diesen Konflikt jedoch nicht.

Subtil ohne Zurückhaltung

Autorin Putro und Regisseurin Bergroth bedarf es nicht vieler Mittel, um zu verdeutlichen, wie stark der eigene Kopf der Künstlerin und Kreativen ist, es braucht keine trotzigen Streitmomente. Ein harter Schnitt zu einer Wohnungsbesichtigung, ein traurig wissender Blick oder ein leichtes Lächeln reichen zumeist vollkommen aus, um Gefühlslagen und Veränderungen dieser deutlich zu machen. Umso eindrücklicher dann jene Momente, in denen größere Gefühle entsprechend ausgedrückt werden. Wenn auch hier zum Ende des Films ein Moment ärgert, das jedoch liegt am Inhalt und nicht an der Form. Nur so viel: Wenn Menschen es zu Lebzeiten nicht schaffen, über ihren Ego-Schatten zu springen und mal etwas Positives zu sagen, will ich’s nach ihrem Tod auch nicht mehr indirekt vermittelt bekommen; mich würde das nur wütend machen.

Tove Jansson (Alma Pöysti) mit ihrem besten Freund und Liebhaber Atos Wirtanen (Shanti Roney) // © Salzgeber

Tove (schlichtweg Wahnsinn: Alma Pöysti) führt jedenfalls eine recht freie, affärenähnliche Beziehung mit dem linksintellektuellen Journalisten und Politiker Atos Wirtanen (etwas blass: Shanti Roney), der seinerseits verheiratet ist, beschränke Eifersucht doch nur die Freiheit (#isso). Als Tove ihrerseits dann aber eine Affäre oder so etwas in der Art mit der Theaterregisseurin und „Oberschichthexe“ Vivica Bandler (famos: Krista Kosonen), die Tove rät, sie solle heiraten, das sei sehr praktisch, beginnt, muss er doch kurz schlucken. Ob es an der Frau-Frau-Situation oder an der Du-bist-offiziell-nicht-mehr-die-einzige-Person-Situation liegt, wissen wir nicht. In den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts war Homosexualität in Finnland jedenfalls noch illegal, legalisiert wurde sie 1971; inzwischen gilt Finnland als eines der liberalsten und offensten Länder in Bezug auf Homosexualität und Queerness

Bohème und Bourgeoisie ohne Attitüde

Tove schafft es zumeist recht galant, die verschiedenen Ebenen des Liebes- und Sexuallebens, des Strebens nach künstlerischer Anerkennung und Erfolg, der Suche nach der eigenen Identität in verschiedenen Formen und dem Freiheitswillen zu verknüpfen. Durchaus ist dabei unsere Aufmerksamkeit gefordert, da es wie erwähnt nicht selten Kleinigkeiten sind, die hier auch mittelgroße Wendepunkte markieren können. Manch ein wunderbar schnippischer Kommentar hilft ebenfalls; etwa wenn ihre geliebte Geliebte Vivica mit einer Zwischendurch-Eroberung aus Paris zurückkehrt und Tove überreden will, aus den Mumins ein Theater- oder Tanzstück zu machen: „Die Mumins tanzen nicht!“

Oder tanzen die Mumins etwa doch? // © Salzgeber

Wir erleben viel Bohème und etwas Bourgeoisie; dazu wird nicht wenig getrunken, geraucht und getanzt, allerdings ohne, dass es gleich ein Eldorado KaDeWe– oder Studio 54esker Exzess sein muss. Das sagt mir zu, das ist eine Welt, in die sich zu versetzen es einer oder einem gut möglich ist. Auch schreit der Film nicht in jeder Einstellung KUNST; nicht: „Wir machen aus KUNST noch mehr KUNST!“. Vielmehr arbeiten Autorin Eeva Putro und Regisseurin Zaida Bergroth darin das Wesen und die sowohl künstlerische als auch persönliche Entwicklung Tove Janssons in ihren Lebensjahren von 30 bis Anfang 40 (der Film endet 1957) heraus. 

Dadurch wird auch nicht alles aufgegriffen, das Jansson, die auch politische Karikaturen schuf, weiter zeichnete und ab den 1970er-Jahren vorrangig Romane und Kurzgeschichten für Erwachsene verfasste, noch so schaffen und hinterlassen wird. Doch gibt es einen Moment im Film, in dem sie sagt „Ich will alles machen“, und die Antwort ihrer Gesprächspartnerin am Rive Gauche lautet schlicht: „Dann mach doch alles.“ 

Teil von allem: Bühnenmalerei // © Salzgeber

Wir alle lernen sie gern kennen

Tove, die lernen nicht nur wir hier kennen, sondern auch Regisseurin Bergroth entdeckte sie anders, neu, wie das manchmal so ist mit Nationalheiligtümern.

„Tove Jansson – die ‚Muminmama‘, die alle kennen und auf ein Podest gestellt haben. In meiner Vorstellung war sie dieses grauhaarige, weise, seltsam ruhige und irgendwie unantastbare menschliche Wesen. Doch je mehr ich sie durch meine Recherche und meine Vorbereitung für diesen Film kennenlernte, desto größter wurde meine Überraschung: Dieser Film sollte alles andere als ruhig und vorhersehbar werden! Toves Leidenschaft und Energie, ihre starken Gefühle und wie sie diese zum Ausdruck brachte, ihre Unkonventionalität – diese Dinge überraschten mich am meisten. […] Ich wollte so viele überraschende Seiten von ihr wie möglich zeigen, damit das Publikum erkennt, wie leidenschaftlich und wild sie war, wie sehr sie Partys liebte und wie wichtig ihr die Liebe war. Der Film erzählt von Toves Leben und feiert dabei den Mut und die Unabhängigkeit.“

Regisseurin Zaida Bergroth

In der Tat werden all diese Elemente fein herausgearbeitet- unterstützt durch wunderbare Kompositionen von Matti Bye (Young Royals); überhaupt sind die Ausstattung (Szenenbild: Catharina Nyqvist Ehrnrooth) und Bilder (Kamera: Linda Wassberg) von und in Tove ganz hervorragend – wie auch die bodenständige Menschlichkeit Toves. Niemals, so scheint es jedenfalls, lebte sie ihre Freiheit als einen unbedingten Egoismus aus, dem sich andere unterzuordnen hätten. Das ist natürlich stark anziehend. So wird es sich auch die Grafikerin Tuulikki Pietilä (Joanna Haartti) gedacht haben, die zum Ende des Films schließlich in das Leben Tove Janssons, aus dem wir hier einen Auszug miterleben durften, tritt, um dort für immer zu bleiben.

AS

PS: Der Film bereitet große Lust, sich im Anschluss nicht nur eingängiger mit Tove Jansson selber, sondern auch mit dem sie umgegebenen Kreis zu befassen: Tuulikki Pietilä, Vivica Bandler, Sam Vanni, Atos Wirtanen, der Familie, usw. Hier bietet vor allem das englischsprachige Wikipedia so einiges.

Es sage mal eine:r, das sei keine Kunst // © Salzgeber

PPS: Außerdem ist ebenfalls seit Ende März die Ausstellung Die fantastische Welt der Tove Jansson im Günter Grass-Haus in Lübeck zu sehen. Neben zahlreichen originalen Mumin-Büchern, sind auch Illustrationen zu sehen, die Jansson für anderen Werke wie J.R.R. Tolkiens Der Herr der Ringe schuf. Ebenso sind einige der Karikaturen, die sie während des Nationalsozialismus zeichnete, zu sehen und natürlich spielen auch ihr Privatleben und ihre frei ausgelebte Homosexualität eine Rolle. Die Ausstellung zeige dazu über 40 hochkarätige Leihgaben aus Finnland. Zusätzlich zu der noch bis zum 25. September 2022 laufenden Ausstellung gibt es Workshops, Führungen und derlei. Das macht einen (früh-)sommerlichen Lübeck-Besuch doch noch umso empfehlenswerter.

PPPS: #FunFact: Das zweite Mumin-Buch – Komet im Mumintal – ist inspiriert vom Ausbruch des Vesuvs 1944, den Tove Jansson 1939 bereist hatte und der sie tief beeindruckte. Bei uns wird gerade Tage in Sorrent von Andrea und Dirk Liesemer, erschienen im mare Verlag, gelesen, in dem es in einer Situation mit Malwida von Meysenburg und Richard Wagner so zugeht: „Sie tut ihm den Gefallen und findet bewundernde Worte für die Räumlichkeiten, den Blick über die Bucht und den Vesuv, den sie unbedingt eines Tages besteigen wolle. Diesen Traum hege sie schon lange, dort oben zu stehen und über die weite Bucht zu schauen. Sie stelle es sich versöhnlich und friedlich vor, selbst wenn der Berg letztlich ein gewaltiger Vulkan sei und dessen Hänge vermutlich grausig aussähen.“ Wie die Dinge doch manches Mal ineinandergreifen. 

Tove läuft seit dem 24. März in den Kinos; Termine und Orte findet ihr bei Salzgeber

Tove; Finnland/Schweden 2020; Regie: Zaida Bergroth; Drehbuch: Eeva Putro; Kamera: Linda Wassberg; Musik: Matti Bye; Darsteller:innen: Alma Pöysti, Krista Kosonen, Shanti Roney, Joanna Haartti, Robert Enckell, Kajsa Ernst, Eeva Putro; FSK: 12; Laufzeit: ca. 104 Minuten; im Verleih von Salzgeber

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitstzeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert