Nähmaschinen und Glitzer

Wie Margaret Thatcher oder auch große Teile Großbritanniens während der nach der ersten britischen Premierministerin benannten Ära des Thatcherismus nicht nur mit einem gespaltenen Königreich, sondern auch mit der so genannten Arbeiterklasse, allen voran den Minen- oder Bergarbeitern und somit ihren Familien wie auch den Homosexuellen und der aufkeimenden und schließlich entflammten HIV/Aids-Krise umgingen, dürfte mittlerweile vielen bekannt sein. 

Mitglieder der Gruppe „Schwule und Lesben für die Bergarbeiter“ // © Nicola Dove/Foto: ARTE France

Nicht zuletzt griffen die weithin beachteten Serien The Crown (in der vierten Staffel) von Peter Morgan und It’s a Sin von Russell T Davies diesen teils nicht anders als menschenunwürdig zu nennenden Umgang mit Krisen auf (wobei hierzu angemerkt sei, dass Homofeindlichkeit und ein der widerwärtiger Umgang mit Aids auch woanders weit verbreitet waren; Peter Gauweiler und Johann Baptist Zehetmair, beide CSU, die in Deutschland im Grunde über Internierungen nachdachten, Zwangstests in einen Maßnahmenkatalog packten oder im Falle Zehetmairs in Bezug auf Homosexualität über den „Randbereich der Entartung“ sprachen – im Nachgang wurde das natürlich alles relativiert oder sei nicht so gemeint gewesen). 

Sozialdrama trifft auch Real-Märchen

Das waren also die rockig-poppigen 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, die so weit auch noch nicht zurückliegen. Und die im britischen Film Pride aus dem Jahre 2014, ausgezeichnet mit der Queer Palm in Cannes, von Regisseur Matthew Warchus und Drehbuchautor Stephen Beresford wieder lebendig werden und dies ganz ohne den riesigen Einsatz von Klimbim. Naja, etwas Klimbim vielleicht. Vorrangig aber verbindet Pride – auf Grundlage wahrer Ereignisse – sowohl den Kampf der Bergarbeiter während ihres beinahe einjährigen Streiks Mitte der 80er-Jahre mit dem um Anerkennung als helfende Hand von Lesben und Schwulen, namentlich LGSM (Lesbians and Gays Support the Miners).

Beispielhaft wird das im zwischen ernstem Sozialdrama, märchenhaftem Gleichberechtigungsstreifen, berührendem Befreiungsfilm und fiktivem Coming-out-Szenario changierenden Pride an den Gründer*innen von LGSM (allen voran Mark Ashton, durchaus einnehmend gespielt von Ben Schnetzer, u. a. Goat und The Riot Club), die, nach langem Versuch ihr gesammeltes Geld an die Streikenden und die Gewerkschaft zu geben, auf die kleine walisische Gemeinde Onllwyn stoßen. Aus dieser macht sich David Donovan (überzeugend: Paddy Considine) nach London auf, um die Gruppe kennenzulernen…

Stärken eines Ensemblefilms

…etwas, das als erster Stresstest gelten kann, denn die Gruppe – weiterhin bestehend aus Mike (etwas blass: Joseph Gilgun), Steph (wunderbar: Faye Marsay), Jonathan Blake (Dominic West, der hier die zweite in England mit HIV diagnostizierte Person spielt – und die immer noch am Leben ist), Gethin (immer gern: Andrew Scott, der übrigens solide 15 Jahre mit Pride-Autor Stephen Beresford zusammen war), Jeff (erst recht immer gern: Freddie Fox), dem Paar Reggie (Chris Overton) und Ray (Joshua Hill) sowie dem fiktiven Gruppenmitglied Joe aka Bromley (George MacKay, u. a. München – Im Angesicht des Krieges) – schleppt ihn sogleich in einen durch und durch queeren Laden, in dem er sich selber erst einmal beweisen muss.

Bergarbeiter Dai (Paddy Considine, Mi.) sammelt in einem Schwulen-Club Geld für seine streikende Zunft. Zudem bedankt er sich bei der schwulen und lesbischen Community für deren unerwartete Unterstützung // © Nicola Dove/Foto: ARTE France

Ein zweiter und quasi dauerhafter Stresstest steht natürlich an, als LGSM schließlich in die Gemeinde fährt und dort von so einigen zwar sehr herzlich, von anderen kritisch und von wenigen abgestoßen-feindselig empfangen wird. Die Bewohner*innen werden durchaus starträchtig und vor allem voller Talent von unter anderem Imelda Staunton (bald als die Queen in The Crown zu sehen), Jessica Gunning, Bill Nighy, Lisa Palfrey Menna Trussler oder Rodri Meilir dargestellt. Diese Schauspielpower ist eine große Stärke dieses Ensemblefilms, die über manche Holprigkeit des Drehbuchs, abrupte Szeneriewechsel und eine zuweilen nicht unbedingt stringente Figurenzeichnung hinwegsehen lässt. Schließen wir doch nahezu alle ins Herz und den Homohasser*innen muss mensch Respekt für das krasse Spiel zollen.

Hetzerei mit verzeihlichen Längen 

Vor allem im letzten Viertel das knapp zweistündigen Films wirkt manches sehr gehetzt, da alles noch irgendwie zusammengebracht und zum und größtenteils wahren und primär versöhnlichen Ende kommen muss. Also gibt es hier noch die volle Ladung Gewalt gegen Homosexuelle, ein spätes Coming-out, Gespräche über Aids, das unfreiwillige Outing daheim, die Flucht aus dem eigenen Leben für kurze Zeit und am Ende natürlich den großen London Gay Pride March 1985, der Pride mit Texttafeln zur Konklusion bringt. 

„Walisische Männer tanzen nicht“: Jonathan (Dominic West) bricht alte und verhärtete Gewohnheiten auf und bekommt dafür von der ganzen walisischen Gemeinde Zuspruch // © Nicola Dove/Foto: ARTE France

Womöglich hätte hier die eine oder andere „Wir-Verstehen-Uns-Alle-Wunderbar“-Szene im Mittelteil etwas abgekürzt werden und dafür die an sich durchaus interessanten Punkte am Ende des Film ein wenig ruhiger betrachtet werden können. Dieser Kritikpunkt ist allerdings kein Grund, von Pride Abstand zu nehmen, ist der Film doch genau die oben beschriebene Mischung, die zumeist wunderbar funktioniert (wenn sie manch einem doch zu seicht sein dürfte, aber für jene gibt es ja immer noch 120 BPM).

Schwächen eines Teil-Queerbaitings?

Ein anderer Kritikpunkt, der für mich persönlich schwerer wiegt, ist, dass wir zwar Andrew Scott in einer Nebenrolle oder als Gast Russell Tovey sehen und ebenso Freddie Fox, der mal sagte, sich lieber in eine Person als ein Geschlecht verlieben zu wollen, die Hauptrollen jedoch allesamt mit (soweit bekannt) heterosexuellen Personen besetzt worden sind. Gerade bei den Figuren die LGSM-Gruppe umgebend kann das auch nicht mit Stardom begründet werden, standen doch sowohl Schnetzer wie auch MacKay noch am Anfang ihrer Karriere, galten als unverbrauchte Gesichter. 

Bei der „Gay Pride“-Demonstration in London am 29. Juni 1985 unterstützen Bergarbeiter die Lesben- und Schwulen-Bewegung. Ein Akt der Solidarität und zugleich ein Dank für deren Unterstützung bei ihrem eigenen Streik // © Nicola Dove/Foto: ARTE France

Gerade bei der fiktiven Figur Joe „Bromley“ Cooper, die MacKay schon solide gibt, hätte hier jedoch überlegt werden können, diese Rolle mit einem nicht-heterosexuellen Schauspieler zu besetzen. Andererseits gehöre ich nicht der Gruppe an, die sagt, queere Rollen sollten (langfristig) nur noch durch queere Menschen verkörpert werden. Bei Pride stößt mir in dem Punkt eher der Fakt auf, dass queere Personen beteiligt sind, eben nur in geringem Grad. Das irritiert, insbesondere mit Blick auf den Filmtitel. 

Dessen unbenommen ist der Film eine Empfehlung – jene, die ihn noch nicht kennen, sollten Pride unbedingt anschauen. Jene, die ihn bereits kennen, dürften beim zweiten oder dritten Anschauen auf diverse Details treffen, die insbesondere im Zusammenspiel der Beteiligten ihren Eindruck hinterlassen dürften. Nicht zuletzt ist er vor allem für diejenigen etwas, die sich wünschen, nicht immer nur düstere Filme, die mit dem Tod der nicht-heteronormativen Figuren beschlossen werden, zu schauen.

AS

PS: Von ehemaligen Weggefährt*innen Mark Ashtons wurde der Film dafür kritisiert, dass er sein politisches Engagement in anderen Bereichen und seine kommunistischen Überzeugungen unterschlage. So war er beispielsweise der erste schwule Vorsitzende der Young Communist League, des Jugendverbandes der Communist Party of Great Britain (CPGB).

PPS: Sind nicht alle Frauen tief im Inneren lesbisch? Ein halbironischer Song im Film schlägt das mal vor; ja, auch deine Mutter, Reggie! 

PPPS: Beim Schauen in der Mediathek oder auf DVD, VoD, … empfehlen wir, wie so oft, die Originalversion, allein schon der Dialekte wegen. Die Synchronisation ist allerdings durchaus gelungen. 

arte zeigt Pride am Donnerstag, 3. November 2022, um 20:15 und in der Mediathek bis zum 9. November 2022

Pride; Großbritannien, 2014; Drehbuch: Stephen Beresford; Regie: Matthew Warchus; Kamera: Tat Radcliffe; Musik: Christopher Nightingale; Darsteller*innen: Ben Schnetzer, George MacKay, Imelda Staunton, Dominic West, Andrew Scott, Bill Nighy, Faye Marsay, Monica Dolan, Matthew Flynn, Paddy Considine; Laufzeit: ca. 114 Minuten; FSK: 6; Ein Produktion von Calamity Films, Pathé, BBC Films, Proud Films und dem British Film Institute

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