Will we meet again?

Ein Jahr ist es nun schon her, dass Queen Elisabeth II. verstorben ist – so lange mag es gar nicht scheinen. Andererseits, was ist schon ein Jahr? Gemessen daran, dass die britische Königin für viele Menschen auf der Welt gefühlt immer irgendwie da war. Gemessen daran, was in diesem Jahr alles passiert ist. Welche neuen und sich zuspitzenden Krisen uns umgeben. Welche politischen (Un-)Debatten den Alltag prägen. Gemessen daran, dass der Kriegszustand in der Ukraine fordauert.

Und doch ist es merklich, dass irgendetwas fehlt.

„Es hatte etwas Zuverlässiges, Stabiles, zu wissen, dass sie die Verantwortung trug.“

New York Times, 9. September 2022 in Ronald D. Gerste „Die Queen.“

Diesen Satz aus dem Nachruf der New York Times auf Elisabeth II. zitiert der Historiker und England- wie auch Amerikakenner Ronald D. Gerste im Epilog seiner politischen Biografie Die Queen. Elisabeth II. und ihr Zeitalter (erschienen im Klett-Cotta Verlag) und fährt mit eigenen Gedanken dazu fort: „Müsste es nicht allen in führende Positionen gewählten Politikern die Schamesröte ins Gesicht treiben, dass es eine Person war, die aufgrund eines überkommenen hereditären Systems ein Amt mit viel Pomp, Zeremoniell und Tradition geerbt hat, welche als Garantin für Stabilität gesehen wurde?“

Die Vergangenheit verstehen lernen

Müsste es wohl, sollte es vermutlich. Aber allein mit aktuellem Blick nach Bayern oder auf manch Einlassung im Rahmen der Haushalts-/Generaldebatte im Bundestag diese Woche sagen wir mal: Wird es nicht. Dennoch möchte mensch manch gewählter Person das an Informationen sowie nicht immer nur politischen Anekdoten und Bonmots reiche Buch Gerstes in die Hand drücken. Dies allein schon, weil es eine wunderbar zu lesende Geschichtsstunde ist.

Denn wie wusste schon August Bebel: „Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten.“ Recht hatte er, der alte Soze. Und wenn Ronald D. Gerstes Die Queen eines ist, dann sicherlich ein Buch, das eine*n vieles verstehen lässt. In insgesamt 22 Kapiteln plus Pro- und erwähntem Epilog nimmt er uns mit auf eine Reise der britischen, europäischen, amerikanischen und teilweise gar Weltgeschichte. Wenn auch mit Abstrichen und dem Fokus auf Schlaglichtern im (politischen) Leben der Frau, die nicht zuletzt vielen vor allem wegen ihrer bunten Hüte in Erinnerung bleiben dürfte.

Immer ein erstes und ein letztes Mal

Dabei ist diese Eingrenzung nichts Schlechtes. Hätte die Biografie doch sonst sicherlich statt um die 370 Seiten eine mehrbändige Ausgabe à 700 Seiten werden müssen. Solche Wälzer werden nur über Diktatoren wie Stalin, Hitler oder Ulbricht geschrieben. Gut die Hälfte nehmen dabei die Zeit vor ihrer Krönung und wie es überhaupt dazu kam, dass sie Thronfolgerin wurde sowie die Jahre bis in die 1960er ein. Dabei geht Gerste in erster Linie chronologisch vor, wenn er auch hin und wieder den Fokus auf ein Thema legt und somit manches Mal ein wenig in der Zeit zurückreist um anschließend vorzugreifen.

Etwa im Kapitel „Fiasko am Kanal“, in dem es um die vermaledeite Aktion Anthony Edens am Suezkanal geht. Oder im Kapitel „Noch eine ganz besondere Beziehung: Deutschland“, in welchem es um die Zögerlichkeit geht, Nachkriegsdeutschland zu besuchen, Philips zuvor schon erläuterte Herkunft einbezogen wird und wir schließlich in Erinnerung gerufen bekommen, dass der vierte und letzte Besuch Deutschlands von Elisabeth II. im Jahre 2015 ihr letzter offizieller Staatsbesuch gewesen ist. Anschließend trat sie kürzer und eine Reise nach Malta etwa galt eher einer Reise in die eigene Erinnerung, wie Gerste uns wissen lässt.

War da was mit Kolonialismus?

Auffälig ist sein Fokus auf innerbritische Ereignisse und der intensive, teils recht unkritische bis einseitig lobende Blick auf die Dominions und das Commonwealth (es gibt übrigens ein knappes, aber hilfreiches Glossar). So wird der Kolonialismus, dessen entsetzliche Ausartungen und Folgen sowie manche Nachlässigkeit der Queen nur an wenigen Stellen erwähnt und eher mit einem sinngemäßen „War halt doof, aber…“ abgetan. Das dürfte nicht nur Kritiker*innen der Queen und der britischen Royals im Allgemeinen irritieren – und dabei muss mensch nicht so undifferenziert weit gehen wie etwa die geschätzte Sarah Bosetti. (Wenn auch gesagt werden muss, dass Gerste durchaus interessante und differenzierte Einblicke in die Entwicklung mancher Länder Afrikas gibt, wie beispielsweise dem ehemaligen Rhodesien unter Ian Smith und was im heutigen Simbabwe unter Robert Mugabe oder nun Emerson Mnangagwa geschah.)

Generell klingt Gerste manches Mal beinahe wie ein großer Fan, der nun über die Liebe seines Lebens fabulieren darf. Oder anders: Die Queen ist keine Hagiographie, trägt aber doch hagiographische Züge. Das Quasi-Ignorieren kritischer Punkte wie etwa der oben erwähten, schmälert leider die durchaus zu benennenden und vom Autoren fein ausgeführten Vorteile des Commonwealth sowie die Darstellung des Engagements von Elisabeth II., was dieses angeht und das insbesondere in der Zeit von Margaret Thatcher (übrigens die am längste amtierende Premierministerin in Zeiten der Queen, keiner der Männer hielt sich so lange) herausgefordert wurde. An dieser Stelle räumt Gerste übrigens mit einem gern genutzten Klischee auf, nämlich jenem, dass Elisabeth II. und die hart konservative Premierministerin einander spinnefeind gewesen seien. Im Gegenteil sei das Verhältnis der zwei hart arbeitenden Frauen von sehr unterschiedlicher Herkunft durch Wertschätzung und Respekt geprägt gewesen.

Mal eine Runde Gerüchte auskehren

Überhaupt räumt Ronald D. Gerste in verschiedenen, immer von einer Schwarz-WeißFotografie eingeleiteten Kapiteln mit diversen Fehlannahmen und Gerüchten auf. Auch solchen, die sich zuletzt durch die – von ihm gelobte – Royal-Soap The Crown oder auch den Film The Queen mit Helen Mirren neuerlich festgesetzt haben. Nicht selten, so Gerste, seien manche Momente eben auf die politische Einstellung der Macher*innen der Formate zurückzuführen (etwa Aberfan oder der Umgang mit dem Tod Dianas). Stimmt ganz sicherlich. Überhaupt treffen wir auch viele Filmtitel, die sich mit den Royals und den Brits befassen. Natürlich auch auf The Darkest Hour und Dunkirk, wenn es um Winston Churchill und den Zweiten Weltkrieg mitsamt Luftkrieg geht.

Oder The Imitation Game mit Benedict Cumberbatch als Alan Turing, wenn Gerste vom Bletchley Park und die anschließende abscheuliche Behandlung des homosexuellen Mathematikers und Kryptoanalytikers berichtet – in diesem Zusammenhang lesen wir (in etwas holprigen Worten) auch, dass Homosexualität in England im Rahmen des Sexual Offences Act der Labour-Regierung unter Harold Macmillan 1967 entkriminalisert wurde. Bis zur Akzeptanz dauerte es natürlch noch ein wenig.

Da taugt ein Blick in den Film PRIDE, der sich mit dem letzten großen Streik der Bergbauarbeiter und der Gewerkschaft National Union of Mineworkers (NUM) befasst. Behandelt wird dieser Teil im Thatcher-fokussierten Kapitel „Konservative Revolution“.

Kein Brexit ohne „Mutti“?

Nun soll aber nicht der Eindruck entstehen, dass Ronald D. Gerste am Ende doch eine eher popkulturelle statt einer politischen Biografie geschreiben hat. Ganz und gar nicht. Doch die Erwähnung manches Films verrät uns a) mehr über seine unverkennbare Leidenschaft für das Thema und mag b) manch ein*e Leser*in ein wenig mehr erreichen. Natürlich kann er auch den Besuch der Beatles 1965 im Buckingham Palast nicht unerwähnt lassen (im C.H. Beck Verlag liegt mit 1964 – Augen des Sturms übrigens ein eindrücklicher Text-Bildband von Paul McCartney vor; eine Rezension folgt), lässt Twiggy genau wie Andy Warhol stattfinden und kann den durchaus sehr politischen Skandal um Christine Keeler nicht unterschlagen.

Genauso blicken wir aber auch über den jahrelang angestrebten EU-Beitritt der Briten, der zunächst einmal vom legendären „Non!“ des arroganten und bei der Queen vermutlich nicht allzu hoch angesehenen Charles DeGaulle scheiterte. Den Nordirland-Konflikt und dessen Ursrpünge erläutert Gerste ebenso wie jene des Brexits. Wenn auch harte (!) Zweifel angebracht sein dürften, wenn er auf Seite 204 die humane Flüchtlingspolitik der damaligen Regierung und somit von Bundeskanzlerin a. D. Angela Merkel für den Brexit in starke Mitverantwortung zieht:

„Im September 2015 sahen auch in Großbritannien die Fernsehzuschauer in den Nachrichtensendungen täglich die Bilder von Tausenden, die – oft ohne Papiere – nach Deutschland und damit in die EU einströmten, […]. Für die brexiteers war das Wasser auf die propgandistischen Mühlen. Angesichts des knappen Ausgangs von rund 52 Prozent pro Brexit und 48 Prozent für remain kann man argumentieren, dass die Berliner Politik das Zünglein an der Waage war.“

Lesenswertes über die Königin mit starker „soft power“

Kann man. Halte ich aber für Unsinn. Wie beispielsweise Stefan Schulz in seinem hervorragenden Buch Die Altenrepublik herausarbeitet, dürfte nicht zuletzt auch eine gewisse Bequemlichkeit junger Remain-Anhänger*innen, die sich ihrer Sache allzu sicher waren, zu dem Ergebnis geführt haben. Wie zum Ausgleich dieser als Annahme formulierten Behauptung finden wir reichlich mahnende und treffende Worte, die Vergangenheit und Gegenwart verknüpfen und zum Lernen auffordern. Oder anders: Lessons to be drawn. Dies nicht zuletzt auch zum nicht selten unlauteren Umgang der (Klatsch-)Presse mit öffentlichen Personen und eigenen Fehlern. Ein Bewusstsein, das im Angesicht aufgeheizter Debatten präsent sein sollte.

Die Queen. Elisabeth II. und ihr Zeitalter ist größtenteils sehr elegant geschrieben und zeugt vom enormen Kenntnisreichtum Ronald D. Gerstes, der diesen ohne unangenehmen Habitus zu vermitteln weiß und durchaus an so mancher Stelle gar britischen Humor durchblicken lässt. Ein Buch für jene, die nicht in aller Ausführlichkeit noch etwas zu Tampon-Gate, Scheidungskriegen, Charles‘ Kindheitstraumata oder Megxit lesen, sondern mehr über die politischen Zeitverläufe im Leben von Princess und Queen Elisabeth II. sowie ihrer gar nicht so unpolitischen Möglichkeiten als „soft power“ erfahren wollen.

AS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Ronald D. Gerste: Die Queen. Elisabeth II. und ihr Zeitalter; November 2022; gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; 368 Seiten mit zahlreichen s/w-Abbildungen; ISBN 978-3-608-98675-4; Klett-Cotta Verlag; 25,00 €

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