Tattoo, ja- nein – vielleicht?

Beitragsbild: links: Brat (they/she – @bigolebrat); mitte: Cover Queer Tattoo (@qttr_book); rechts: David Kodak aka Mono (he/him – @mono.tattooing) // © Verlag Kettler

Wer auf diese Frage eine Antwort sucht, ist eben noch nicht bereit. So zumindest die einhellige Meinung in Fachkreisen. Wer ein Tattoo wirklich will, geht los, informiert sich und kommt zumindest mit einer groben Vorstellung zur tätowierenden Person der Wahl. Wer ein genaues Motiv will, sucht sich ein talentiertes Copy-Cat; wer ein extra für sich gestaltetes einmaliges Motiv sucht, wird eher bei Creatives fündig. Fakt ist: Wer wirklich will, findet — in jeder Preisklasse und leider auch in jeder Qualität.

Der Wert des Tattoos

Was nichts kostet, ist auch nichts wert. Dieses althergebrachte Sprichwort stimmt hinsichtlich Tattoos auf jeden Fall. Deshalb gilt: Finger weg vom guten Freund, der auf einer alkoholhaltigen Party bereit ist, jedem das Wunschmotiv auf die Arschbacke der Wahl zu setzen und dafür auf ein gehöriges Maß Alkoholisiertheit als einziges Desinfektionsmittel setzt. Auch das Hinterhofstudio, in dem es nach altem Schweiß, Tabak und vollem Ascher riecht, wird gern idealisiert, entspricht jedoch in keinster Weise dem Standard, den seriöse Studios und Tätowierer*innen bringen, die etwas auf sich halten.

Alien Poeme (they/iel – @alien_poeme) in Queer Tattoo // © Verlag Kettler

Nach dem Tattoo ist bekanntlich vor dem Tattoo. Wer einmal losgelegt hat, belässt es in der Regel nicht bei einem einzigen. Das ist aber auch gut so, denn wie sollte sonst die wachsende Zahl der Tätowierenden leben. Nachdem Corona der Branche einen gehörigen Schlag verpasst hat, ist es nun an den verbliebenen Artists, die gestalterischen Wünsche ihrer Klientel möglichst kunstvoll umzusetzen.

Queere Tattoos auf 208 Seiten

Als Inspiration werden genauso gern einschlägige Suchmaschinenergebnisse herangezogen, Motivvorlagen des Wunschartists oder einfach Table Books in den Studios. 

Barbara Wilczek (she/her – @wilczvr_ink) in Queer Tattoo // © Verlag Kettler

Queer Tattoo aus dem Verlag Kettler sollte sich tatsächlich in jedem Studio auf den Tables finden. Es bedient einen Aspekt, der beim Tätowieren nicht gängig ist, mir erst durch das Buch bewusst wurde und den ich seitdem nicht mehr vergesse. Üblicherweise werden die Motive nach allen möglichen Aspekten wie Ästhetik oder Körperstelle entworfen, aber der häufig auch queere Beweggrund für das Tattoo steht nicht immer im Vordergrund. Dass das durchaus wichtig sein kann und auch mal sein sollte, das zeigt Queer Tattoo auf 208 wohlbebilderten und erläuterten Seiten. Hier werden unterschiedlichste Queere Tattoos gezeigt und deren Artists porträtiert. Die Herausgeber Florian Rudolph, Benjamin Wolbergs und Brody Polinsky haben wirklich ganze Arbeit geleistet.

Florian Rudolph (he/they – @florianrudolph) in Queer Tattoo // © Verlag Kettler

Wobei sich die Frage stellt, wann wird ein Tattoo queer? Wenn der Artist queer ist? Wenn der Tätowierte queer ist? Wenn das Motiv queer ist? Oder nur wenn alles zusammen kommt? „Egal“ ist eine der besten Antworten darauf. Wichtig ist hier, dass eine queere Identität dem ganzen Prozess zugrunde liegt.

Kunstvoll und gekonnt bis in die Feinheiten

Die breite Spanne von hochkünstlerischen bis zu pornografischen Motiven zeigt dieses Buch genauso, wie den Fakt, dass es nicht automatisch ein Regenbogen sein muss, um queer zu sein. 

Rita Salt (they/them – @rita_salt) in Queer Tattoo // © Verlag Kettler

Ich habe das Buch mehreren angesagten Tätowierern gezeigt und einhellig positive Feedbacks erhalten. Die Qualität der gezeigten Werke ist extrem hoch. Kunstvoll und gekonnt bis in die Feinheiten hat dieses Buch unter anderem Ivo Nascimento von little crime tattoo überzeugt. Der Portugiese, der auf der ganzen Welt tätowiert, zeigte sich von der Bandbreite ebenso fasziniert wie von der Ausführung der einzelnen gezeigten Kunstwerke.

Mars Hobrecker (he/him – @marshobrecker) in Queer Tattoo // © Flaminia Fanale/Verlag Kettler

Anjulie Knoxville, Inhaberin des weit über die Grenzen von Hamm und dem Ruhrgebiet hinaus bekannten Studios Elysium Tattoo, war es jedoch, die den Stein bei mir ins Rollen brachte.

„Und deins?“

„Wirklich coole Arbeiten und was für eine brillante Idee“, fasste sie ihren Gesamteindruck zusammen. „Was ist eigentlich Dein Queeres Tattoo?“ wollte sie von mir wissen. Nach nur kurzem innerem Aufbäumen gebe ich der Erkenntnis nach: „Ich habe keines!“

Johanna Henn (she/her – @johanna.tattoo) in Queer Tattoo // © Verlag Kettler

Ihre Entgegnung „Dann wird’s aber Zeit!“ war nicht nur absehbar, sondern auch folgerichtig.

Bild links: Vom Motiv (© René Farias) bis zum fertigen Queeren Tattoo am Strand; Bild rechts: Annjulie und Ivo im Gespräch über Queer Tattoo // © Frank Hebenstreit

Und voilá, als Ergebnis des Buches Queer Tattoo habe ich nun ein eigenes Queeres Tattoo. Natürlich: von Anjulie, keine Frage. Bei der Suche nach dem Motiv habe ich mich von der Intention des Buches leiten lassen und ein Werk des von mir hochgeschätzten Malers René Farias verwendet, den mensch durchaus als heutigen Meister der Schwulen Erotik bezeichnen kann. Ein Meermann, der sich liebevoll an seinen Matrosen lehnt. Erotisch und erkennbar queer. Als ich ihm das Ergebnis als Bild zusandte, bekam ich nicht nur einen ehrlich bewegten Dank für diese Ehre, sondern auch die Freigabe das öffentlich zu machen.

Philippe Fernandez (he/him – @philippefernandez) in Queer Tattoo // © Philip Nürnberger/Verlag Kettler

Also Florian, Benjamin und Brody: Job well done! Eurer wunderbares Portrait Queerer Tattoos hat ein weiteres Queeres Tattoo begründet, und ich bin mir sicher, es werden noch viele Menschen meinem Beispiel folgen.

Frank Hebenstreit

Florian Rudolph, Benjamin Wolbergs, Brody Polinsky (Hrsg.); Andrew Burford, Stewart O’Callaghan (Autor:in:): Queer Tattoo; März 2022; Softcover; 208 Seiten; Format: 21 x 27 cm; Texte in englischer Sprache; ISBN: 978-3-86206-931-6; Verlag Kettler; 45,00 €

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