Stimmungskanone und das Ende der Party

Immer heiter weiter – jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt. Der ist für Russell (Thomas Duplessie) aka Drag Queen Fishy Falters erreicht, als er vor einem Auftritt bereits so viel intus hat, dass er sich lang macht. Dass sein Freund diese ganze Drag-Zeugs ohnehin nicht mag, wird nicht geholfen haben. Russell entscheidet sich ihn zu verlassen und sich auf den Weg zu Großmutter Margaret (Cloris Leachman) zu machen, um hier ein ihm versprochenes Auto abzuholen und dann… ja, dann was eigentlich?

Oma und Enkel – bekannte Mischung?

Dessen ist sich auch Russell wohl nicht so sicher, als er schließlich bei ihr ankommt und den Taxifahrer noch mit dem guten Flüssigstoff (Alkohol, nicht Wasserstoff) bezahlen muss, scheint der Tag eh gelaufen. Ebenso ist er etwas ungläubig, als er sieht, wie angeschlagen – und auch schlagfertig – seine gut 90-jährige Oma dann doch bereits ist. So wird der Entschluss gefasst, dass er vorerst dort bleibt und der betagten Dame unter die Arme greift.

Margaret (Cloris Leachman) und Russell (Thomas Duplessie) genießen die Aussicht? // © PRO-FUN MEDIA

Nun mag mensch sich erst einmal denken: Kennen wir. Hatten wir. In der Tat klingt das Konzept von Jump, Darling (im Verleih von Pro-Fun), dem ersten Langfilm des kanadischen Autorenfilmers Phil Connell, zunächst einmal nach altem Wein in halbgebrauchten Schläuchen, inklusive dem Versuch einer Drag-Bar neues Leben einzuhauchen.

Nachdenklich und erbaulich

Doch Achtung! Das täuscht: Die Geschichte von Margaret und Russell weiß uns durchaus zu erreichen, abzuholen wie mensch so sagt. Das liegt vor allem an den Performances von Ikone Cloris Leachman, hier in ihrer letzten Hauptrolle zu sehen, und Newcomer Thomas Duplessie, die in der Tat ein ebenbürtiges Gespann abgeben; wenn natürlich auch die lebenserfahrene Großmutter im Zweifel die Nase vorn hat und verbal nicht zurücksteckt.

Es wird interessant, nicht nur für Russell // © PRO-FUN MEDIA

Denn das ist der nächste Grund, warum Jump, Darling so gut funktioniert: Phil Connell hat, gemeinsam mit Genevieve Scott, ein unglaublich erbauliches, nachdenkliches und an keiner Stelle sinnlos verbittertes Drehbuch über Veränderungen, mögliche Neuanfänge und ja, auch Endpunkte geschrieben. Dabei gibt es immer wieder Stellen, in denen die Erzählung zu überraschen weiß.

Ordentlich raustanzen

Etwa in Bezug auf Russells Mutter Ene (sehr glaubwürdig: Linda Kash) und seine mögliche Affäre Zach (Kwaku Adu-Poku), der jedoch theoretisch hetero ist und seine eigenen Unzulänglichkeiten gern durch Momente emotionalen Missbrauchs überdeckt. Ob Russell hier Opfer oder doch willentlicher Mitwirkender ist, das ist eine der Fragen, die Jump, Darling eindrücklich erörtert, ohne jedoch ein düsteres Drama über mögliche Traumata zu sein.

Alles muss raus… // © PRO-FUN MEDIA

Ganz im Gegenteil steckt der Film voller Leben und Kraft. Insbesondere in den Momenten, in denen sich Russell nicht nur seinem Alter Ego Fishy Falters hingibt, sondern ganz seiner Wut, dem Frust und der Angst und einfach alles aus sich raustanzt. In Performances, die durchaus eindrücklich sind – und dass endlich mal „SWERLK“ von den Scissor Sisters in einem Film verwandt wird, begeistert!

Famose Mischung

Ebenso wie Duplessie auch dafür Respekt zu zollen ist, dass er hier nicht nur Empfindungen auf die Bühne bringt, sondern gefühlt die Hälfte des Films im Slip verbringt. Das mit einer gern mal augenzwinkernden Selbstsicherheit, was wunderbar ist und insbesondere mit der lebensendbewussten und doch kein bisschen leisen Würde Cloris Leachmans ergibt eine famose Mischung.

Überraschung! // © PRO-FUN MEDIA

Dennoch hat Jump, Darling insbesondere im Mittelteil ein paar erzählerische Probleme, die jedoch durch treffende Bildsprache und vor allem ein fein funktionierendes Ende ausgeglichen werden, das bei manchen durchaus nachwirken mag.

Das Herz am rechten Fleck

Dass hier auch das Herz von Autor und Regisseur Connell drinsteckt, der den Film zwar nicht als autobiografisch verstanden wissen will, der aber dennoch durch Gespräche mit der eigenen Großmutter inspiriert wurde, ist deutlich zu merken. Auch was es bedeutet, ein queerer Kunstschaffender zu sein, sei eine Parallele zwischen Russell als Drag-Künstler und Connell als LGBTQ*-Regisseur. 

Zach (Kwaku Adu-Poku) und Russell – auf Augenhöhe? // © PRO-FUN MEDIA

Egal, ob wir als Zuschauer*innen diese persönlichen Ebenen erlebt haben oder noch leben, ist Jump, Darling ein herzensguter Film, mit der richtigen Mischung aus nachvollziehbarem Drama und stillem Witz, getragen von zwei grandiosen Hauptdarsteller*innen.

AS

Jump, Darling; Kanada, 2020; Regie: Phil Connell; Drehbuch: Phil Connell, Genevieve Scott; Kamera: Viktor Cahoj; Musik: Harry Knazan; Darsteller*innen: Thomas Duplessie, Cloris Leachman, Linda Kash, Jayne Eastwood, Andrew Bushell, Kwaku Adu-Poku, Rose Napoli, Mark Caven, Daniel Jun, Katie Messina; Laufzeit ca. 90 Minuten; FSK: 12; erhältlich als DVD und Video on Demand

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