Wien mordet!

Ab diesem Sonntag wird in Wien wieder gemordet. Ausnahmsweise heißt dies einmal nicht, dass es bereits den neuen Eisner-FellnerTatort im Ersten zu sehen gäbe, sondern dass die mittlerweile dritte Staffel der historischen Krimi-Reihe Vienna Blood im ZDF zu sehen sein wird (jeweils sonntags um 22:15 Uhr). Basierend auf den Max-Liebermann-Krimis von Frank Tallis wurde die Serie mit jeweils drei Folgen pro Staffel von Autor Stephen „Steve“ Thompson ins Leben gerufen. Der hat sich seine Krimi-Meriten bereits mit Drehbüchern zur gefeierten Serie Sherlock verdient. Hier war er unter anderem für die famose Folge Der Reichenbachfall verantwortlich. 

Das ungleiche Paar…

Ein Sherlock’scher Einfluss ist Vienna Blood so auch anzumerken. Angefangen bei dem Duo um den fiktionalen Arzt und Psychoanalytiker Max Liebermann (Matthew Beard, The Riot Club, Kiss Me First) und den Wiener Kriminalbeamten Oskar Rheinhardt (Juergen Maurer, Auris, Bonn — Alte Freunde, neue Feinde). Ein ungleiches Ermittlerpaar, das zu Beginn der Serie auch nicht unbedingt zusammenarbeiten mag — gerade anfangs steht Liebermann mit seinen im Wien des beginnenden 20. Jahrhunderts umstrittenen Methoden und als Freudianer erst recht, bei vielen Kolleg*innen und den Behörden nicht hoch im Kurs. Ach, und Jude ist er samt seiner wohlhabenden Mischpoke auch noch.

Pathologe Dr. Julius Jaeger (Robert Reinagl, l.) erklärt Max Liebermann (Matthew Beard, M.) und Oskar Rheinhardt (Juergen Maurer, r.) die Verletzung der toten Schauspielerin Ida // Foto: © ZDF/Szilagyi_Lenke

Das wiederum ist für den umsichtigen und emphatischen Rheinhardt immerhin kein Problem. Eher ist es für ihn wie auch seinen Sergeant Hausmann (Josef Ellers) zu Beginn erstaunlich, das Liebermann allzu oft allzu dicht am Tatgeschehen ist. In der dritten Staffel sagt Liebermanns Ex-Verlobte Clara Weiss (Luise von Finkh) dann auch zu ihm, dass er das Unglück anzuziehen scheine. Der Autor dieser Zeilen ist geneigt dem zuzustimmen; das allerdings hielt auch niemanden davon ab, Jessica Fletcher jahrelang einzuladen.

…trifft auf vielfältige Tötungsdelikte…

In dieser sehr unterhaltsamen, stimmigen und zumeist spannenden dritten Staffel, in der Liebermann und Rheinhardt mehr und mehr zu einem Team geworden sind, bekommen wir es in der Folge Rendezvous mit dem Tod nun mit einem Mörder zu tun, der Frauen während des Orgasmus beim Liebesakt mit einer Hutnadel tötet (Österreich hat es wohl ohnehin mit Femiziden). Was hat das angesehene Wiener Haute Couture-Haus der schweigsamen Kristina Vogl (Lisa Maria Potthoff, Sarah-Kohr-Reihe, Eberhofer-Krimis, Herzogpark) damit zu tun?

Kristina Vogl (Lisa Maria Potthoff) // Foto: © ZDF/ORF/MR Film

In Der Schattengott beginnt alles mit seltsamen Einbrüchen und der Bitte von Archivarin Fräulein Lindner (Miriam Hie), dass Herr Doktor Liebermann sich doch einmal den Hauptmann Georg Steiner (Cornelius Obonya, Tatort: Unten im Tal) anschauen möchte, der scheinbar wahnsinnig geworden, in einer Anstalt Hühner opfert — und kurz darauf tot ist. An ihm zu finden sind mysteriöse Wunden, Alkohol und Opium kommen im Verlauf ins Spiel und irgendwie hängt das alles mit dem Boxeraufstand in China (18. Oktober 1899 bis 7. September 1901) zusammen. 

…im uneinigen Wien…

In Der Tod und das Mädchen begegnen wir nicht etwa Egon Schiele, dafür der zum Star aufsteigenden Schauspielerin Ida Rego (Anne-Marie Waldeck), die auf der Premiere ihres neuen Films an einer Arsen-Vergiftung stirbt. Zuvor war sie wegen eines Traumas in der Klinik, in der Liebermann neben seiner Privatpraxis weiterhin tätig ist, in Behandlung. Geheilt durch ein Placebo von Prof. Neumann (Michael Kranz, Hannes, Oktoberfest 1900). Max und Oskar — die während der Premiere zugegen waren — stoßen auf Drohbriefe, die komplexe Studioleiterin Rosa Koller (Bibiana Beglau), einen speziellen Assistenten (Dominic Marcus Singer, Der Pass) und die „Altdeutsche Bewegung“, einem Netzwerk von Rechten, die die Monarchie stürzen und ein Österreich „reinen Blutes“ wollen. Hmm… könnte das zusammenhängen?

Die Regisseurin Rosa Koller (Bibiana Beglau, r.) zeigt im kleinen Vorführraum des Theaters Oskar Rheinhardt (Juergen Maurer, l.) und Max Liebermann (Matthew Beard, M.) einen Filmausschnitt // Foto: © ZDF/Szilagyi_Lenke

Alle drei Fälle sind sehr unterschiedlich und auch die von Robert Dornhelm inszenierten und Serienschöpfer Steve Thompson geschriebenen Folgen (gedreht wird in englischer Sprache, wobei die deutschsprachigen Schauspieler*innen sich selber synchronisieren; die Synchronisation ist übrigens recht gut) arbeiten mit jeweils unterschiedlichen Stilmitteln. Seien es Rückblenden in die Geschichte, solche in die Vergangenheit eines Opfers und eine stringent laufende Erzählung, in der sich der Kreis Verdächtiger solange erweitert, bis der Mörder sich aus Geltungsdrang selber enttarnt. 

…samt eingängiger Motive…

Im Gegensatz zur zweiten Staffel kommen hier auch die erneut glänzend besetzten Nebenfiguren wieder mehr zur Geltung und das Sie-Lieben-Sich-Aber-Das-Wird-Nichts-Drama um Max und Clara rückt etwas mehr in den Hintergrund. Beides tut der Reihe gut. Ebenso die Mischung aus hie und da leichter Erzählung, manch blutigem Moment (allerdings weniger als in den vorhergehenden Staffeln) und einem angemessenen Ernst an mancher Stelle. Darüber hinaus überzeugen erneut die Hauptdarsteller Beard und Maurer genau wie die wirklich gekonnte Ausstattung. In der Tat können wir uns hier ins Wien der Jahre um 1900 denken (gedreht wird in Wien und Budapest). Unterstützt wird dieser Eindruck durch das Einbinden realer Ereignisse und Figuren.

Als angehende Journalistin versucht Clara Weiss (Luise von Finckh), Max Liebermann (Matthew Beard) als vertrauenswürdige Quelle für sich zu gewinnen // Foto: © ZDF/Szilagyi_Lenke

Gern würden wir nach diesen drei Staffeln und neun Folgen weitere Geschichten um das wahrlich zusammengewachsene Duo Liebermann-Rheinhardt mit all den schätzenswerten Nebenfiguren (u. a. gespielt von Conleth Hill und Charlene McKenna als Max’ Vater und Schwester, Raphael von Bargen als überzogener und doch annehmbarer Kommissar von Bülow, …) sehen. Allerdings besteht die Romanreihe lediglich aus sieben Büchern und einer Geschichte unabhängig von der Reihe.

…voller subtiler Momente

So sind bereits zwei Folgen entstanden, die mit den zugrundeliegenden Romanen nichts zu tun hatten. Die sehr gute Auftaktfolge der zweiten Staffel, Die traurige Gräfin, die jedoch auf einer Story von Tallis basierte und in Zusammenarbeit mit Marvin Kren entstand, und die ambitionierte aber auch etwas überladene zweite Folge dieser Staffel. Die Quoten würden jedenfalls darauf verweisen, dass eine Fortführung machbar wäre. 

Auf Bitte von Polizeiarchivarin Lisa Lindner besucht Max Liebermann Georg Steiner (Cornelius Obonya) in dem Kriegsversehrtenheim Haus Kierling. Steiner leidet unter Wahnvorstellungen // Foto: © ZDF/Szilagyi_Lenke

Bleibt nur die Frage: Wollen die Beteiligten dies und würde Frank Tallis hierfür Storylines konzipieren wollen? Wünschenswert wäre es. Hat Vienna Blood das Rad der Mörder*innen-Jagd zwar nicht neu erfunden, ihm aber doch ein paar so charmante wie entwicklungsreiche, gern auch mal subtil homophile und fein anzusehende neue Speichen hinzugefügt und ist im Rahmen von Period-Piece-Crime-Dramas in der Tat eines der Besten.

AS

PS: Die Musik, die übrigens nicht als Score verfügbar ist, stammt von Roman Kariolou. Der hat auch jene für die ebenfalls empfehlenswerte Reihe Maria Theresia geschrieben

PPS: „Was ist mit dem Kleid?“ — „Ich entnehme Fasern zur Analyse. Es ist elegant und nicht ihre Größe.“ Starke Analyse!

PPPS: „Freud lehrt uns, dass es der gefährlichste Fehler ist, den eigenen Schatten auf andere zu projizieren. So zu tun, als wären sie eine Verkörperung unserer Fantasien. Den Weg zum Glück findet man, indem man die Menschen annimmt, wie sie sind. Nicht, wie man sie gern hätte. Wenn man jemandem in einem klaren Licht sieht und ihn trotzdem lieben kann, dann hat man einen wahren Freund gefunden.“ 

Oskar Rheinhardt (Juergen Maurer, l.) und Max Liebermann (Matthew Beard, r.) // Foto: © ZDF/Petro Domenigg

Die dritte Staffel von Vienna Blood ist ab dem 26. März 2023 für drei Sonntage jeweils um 22:15 Uhr im ZDF zu sehen; in der Mediathek sind die Folgen jeweils am Vortag ab 10:00 Uhr verfügbar. Darüber hinaus ist die erste Staffel der Serie noch für ein knappes Jahr in der Mediathek verfügbar

Vienna Blood – Staffel 3; Vereinigtes Königreich, Österreich 2022; Idee und Drehbuch: Steve Thompson; basierend auf der Romanreihe von Frank Tallis; Regie: Robert Dornhelm; Kamera: Ádám Fillenz, Máté Herbai; Musik: Roman Kariolou; Darsteller*innen: Matthew Beard, Juergen Maurer, Charlene McKenna, Conleth Hill, Amelia Bullmore, Josef Ellers, Luise von Finkh, Raphael von Bargen, Miriam Hie, Robert Reinagl, Maria Köstlinger, Lisa Maria Potthoff, David Rott, Nils Arztmann, Xaver Hutter, Markus Freistätter, Michael Kranz, Cornelius Obonya, Mi Hae Lee, Samuel Koch, Simon Hatzl, Bibiana Beglau, Anne-Marie Waldeck, Dominic Marcus Singer, u. v. a.; drei Folgen à ca. 90 Minuten

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