Nicht trans*, sondern trans*Feindlichkeit ist ein Trend

… und gedeiht nicht nur im Rechtspopulismus, wie uns die neueste Ausgabe des Jahrbuchs Sexualitäten zeigt und zugleich bestätigt: Reaktionär gibt es in allen politischen Farben.

Von Nora Eckert

Minderheiten waren schon immer geeignet, mal als Abladeplatz für ideologischen Müll, mal als Sündenbock, mal als Zielscheibe für Hass herzuhalten. Die reaktionären Denkmuster wiederholen sich und blühen derzeit förmlich auf, wenn es gegen trans* geht. Dann ist von einer gefährlichen trans*Ideologie die Rede und von einer angeblich mächtigen trans*Lobby, die die Kinder und Jugendlichen in unserem Land zum trans*Sein verführen.

Wie krank müssen Gehirne sein, die sich so etwas ausdenken und fähig sind, eine zweistündige, sogenannte „Dokumentation“ herzustellen, die „Transsexualität“ zu einem „Zeitgeist-Phänomen“ erklärt. Dass man Geld damit verdienen kann, andere zu diffamieren, mag freilich all jene freuen, die ohnehin schon die Taschen davon voll haben – wie beispielsweise der Milliardär Frank Gotthardt, Inhaber von NIUS, einem Nachrichtenportal mit Videoplattform, wo Julian Reichelt seine neue journalistische Heimat gefunden hat. Dort erschien gerade „Trans ist Trend. Wie eine Ideologie unser Land verändert“. Nein, ich werde mich hüten, mich auf eine Kritik einzulassen, denn mehr als Infamie vermag ich nicht wahrzunehmen. Mir fällt da nur der berühmte Ausspruch von Max Liebermann ein, als 1933 der Fackelzug an seinem Haus neben dem Brandenburger Tor vorbeimarschierte. Ihr wisst schon, es geht ums Kotzen.

Gebildeter, um es so auszudrücken, geht es dagegen in einer anderen Medienecke zu, aber eine gewisse partielle Geistesverwandtschaft zu dem oben genannten Produkt ist nicht zu übersehen. Gerade weil es gebildeter zugeht und sich von dem Hau-Drauf-Journalismus abhebt, erscheint es mir umso gefährlicher. Denn sind das nicht seriöse akademische Stimmen, die sich aus der Mitte der Gesellschaft zu Wort melden und scheinbar um Sachlichkeit bemüht sind? Nun ja, Scheinsachlichkeit weiß, was eine Tarnkappe ist. Ich komme darauf zurück.

Die Initiative Queer Nations hat über die Jahre hin ihren Lieblingsfeind gesucht und gefunden. Das neue Jahrbuch Sexualitäten, die mittlerweile achte Ausgabe seit 2016, legt nach im unverhohlenen Kampf gegen den trans*Aktivismus. Auffällig und ebenso irritierend ist das Unbehagen am Queersein. Nun trägt die Initiative in ihrem Namen ausgerechnet den Begriff queer, aber diejenigen, die für die Politik der Initiative verantwortlich zeichnen und auch für die hier zu besprechende Publikation des Jahrbuchs, beteuern zwar jedes Mal aufs Neue ihre Diskursoffenheit, tatsächlich aber pflegen sie einen ziemlich fragwürdigen Konservativismus, weshalb Begriffe wie Gender in Verbindung mit queer und fluide und inzwischen auch das Präfix cis (als das Gegenteil von trans) zu Reizwörtern für sie wurden.

Wer in der Zeit stehen bleibt, muss sich nicht wundern, wenn er/sie irgendwann für antiquiert gehalten wird, was wiederum keine Aufforderung sein soll, dem Zeitgeist hinterherzurennen. Aber es gibt bewusstseinsmäßig sicherlich noch mehr als nur Stillstand oder Hektik. Nur die offenen Horizonte erweisen sich als anschlussfähig. Derweil ist Ressentiment zum Standard und Solidarität zu einem fast unübersetzbaren Fremdwort geworden – zumindest in bestimmten Beiträgen im Jahrbuch und mit Blick auf trans*.

Noch etwas fällt auf: Das Jahrbuch nennt die Sexualität im Plural. Tatsächlich sind die meisten Beiträge ziemlich monokulturell, will sagen: Schwule Themen dominieren. Ich stelle das nicht zum ersten Mal fest. Gegen die Themen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, im Gegenteil. Aber was ist mit lesbischer Sichtbarkeit? Und haben wir schon mal was über Bisexualität lesen können? Und erst recht über andere Sexualitäten?

Und schließlich: Hat trans* nicht auch etwas mit Sexualität zu tun? Ich meine hier keineswegs die „Transsexualität“, die als Begriff in großen Teilen der Community als obsolet gilt, aber dennoch als Selbstbezeichnung noch Verwendung findet. Mir persönlich war nie klar, was das eigentlich meint, obschon ich mich selbst in Ermangelung eines passenderen Begriffs lange Zeit transsexuell nannte. Das trans*Sein, wer das noch nicht weiß, kennt ebenfalls Lust und beteiligt sich am Spektrum sexueller Orientierungen. Jedenfalls mischt trans* heftig mit, um die Lust zwischen Hetero- und Homosexualität neu zu buchstabieren. Allerdings ganz zum Ärger so mancher Autor*innen im Jahrbuch.

Die aktuelle Ausgabe startet mit einem wirklich lesenswerten Essay von Martin Reichert, der in „Am Ende von Aids?“ einen persönlichen geschichtlichen Rückblick unternimmt. Sie kam Anfang der 1980er Jahre als „tödliche Seuche“ und „rätselhafte Krankheit“ über den großen Teich nach Europa – eine Krankheit, die wie „ein Schuß ins stille Glück“ fiel. Für fast zehn Jahre galt sie als nahezu sicheres Todesurteil. Sie bedeutete ein abruptes Ende eines hedonistischen Jahrzehnts, als das die 1970er Jahre in Erinnerung blieben, und entsprechend hemmungslos und angstfrei (trotz Hepatitis und Syphilis) lebten damals die großstädtischen Communitys. Die Parole hieß nun „Safer Sex“ und bescherte die Rückkehr des Kondoms – für das sich ausgerechnet, aber im Nachhinein bewunderungswürdig die CDU-Politikerin Rita Süssmuth stark machte. „Es ist eine Ironie des Schicksals“, schreibt Reichert, „dass das potenzielle Verschwinden der Schwulen, ihr Ausgelöschtwerden durch Aids zu einer größeren Sichtbarkeit und längerfristig größeren Akzeptanz geführt hat.“ 

Zwei Beiträge richten ihren Blick auf Osteuropa: Anastasia Tikhomirova berichtet unter „Unsere Pridefarben sind Blau und Gelb“ über den Kampf für eine queere Ukraine. Sie lässt keinen Zweifel, dass die Zeit nach dem Krieg eine kämpferische bleiben wird. Aber anders als Russland wird die Ukraine mit ihrer eindeutigen Westorientierung die Gleichberechtigung queerer Menschen nicht ausblenden können.

Alexander Friedman hingegen liefert in seinem Beitrag ein deprimierendes geschichtliches Panorama über die Situation queerer Menschen in Russland: „Homosexualität – ein ‚unerwünschter westlicher Import‘?“. Seine Betrachtungen reichen von der Situation zu Sowjetzeiten mit kurzen Phasen der „Liberalisierung“ bis zur gegenwärtigen Lage der Putin-Ära, dem absoluten Tiefpunkt in der Missachtung von Menschenrechten. Homophobie ist Staatsräson und die Verfolgung queerer Menschen an der Tagesordnung. 

Wolfgang Voigt liest in seinem Beitrag die Architekturgeschichte queer und befasst sich mit schwulen Architekten, während Vojin Saša Vukadinović an die 2022 verstorbene Literaturwissenschaftlerin und Soziologin Elisabeth Lenk erinnert und sie als eine der letzten Vertreter*innen der Kritischen Theorie würdigt. Bekannt war sie als Surrealismus-Expertin und Sympathisantin des französischen Utopisten Charles Fourier aus dem frühen 19. Jahrhundert, die den intellektuellen Mainstream eher mied, mit dem Zeitgeist sehr kritisch verfuhr und ein literarisch-philosophisches Faible für die Nacht und die Träume besaß. Überzeugen konnte sie damit nur wenige, und aus ihrer unmittelbaren Berührung mit der Kritischen Theorie ließ sich für sie am Ende doch kein Kapital schlagen.

Und damit komme ich nun zum Thema trans* im Jahrbuch und betrete vermintes Feld. Monika Barz sieht die queere Community auf dem Irrweg und unterstellt trans*Menschen ein „körperloses Geschlecht“, was noch das Harmloseste ist. Nebenbei: Sie benutzt – und das ist eine baden-württembergische“ Besonderheit – das Akronym mit Doppel-T, also LSBTTIQ. Wofür das zweite „T“ stehen soll, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Gut, das geht nicht auf ihre Rechnung, sondern ist Ländle-Wahn.

Ihre Ausfälle gegen die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer gleichen haargenau denen von Beatrix von Storch von der AfD – Extreme berühren sich bekanntlich und reaktionär, so meine Beobachtung, gibt es in der Tat in allen politischen Farben. Dass solcher Hass allerdings in einer sich akademisch-seriös gerierenden Publikation und unter der Fahne von „Queer Nations“ Platz findet, ist mindestens ein Skandal. Menschenverachtung ist keine Meinungsfreiheit.

Barz gehört zu den Feministinnen, die trans* mit Biologismus bekämpfen wollen und das geplante Selbstbestimmungsgesetz als Missbrauchsermöglichungsgesetz verteufeln: „Es geht um die sachliche Kritik an der ungeregelten Öffnung sämtlicher Frauen- und Mädchenräume für Millionen jugendlicher und erwachsener Männer in Deutschland […].“ Das ist keine Satire, sondern O-Ton. Karl Kraus hätte so etwas Realsatire genannt, weil sich hier der Wahnsinn namens Realität satirisch nicht mehr überbieten lässt. Dass trans* Einlass gefunden hat in das gesetzliche Verbot der Konversionstherapie, beklagt Barz ebenso heftig. Was nichts anderes heißt, als dass sie trans* für therapierbar hält – wohl um all die angeblich irregeleiteten Mädchen vor dem trans*Sein zu retten.

Barz erhält Unterstützung durch Petra Gehring, die im Jahrbuch mit ihrer Rezension von Kathleen Stocks Material Girls vertreten ist. Ursprünglich in Die Zeit erschienen, ist die Rezension nun um einige Passagen erweitert, was aber keinen Zuwachs an Erkenntnisgewinn, sondern nur die Vermehrung der Missverständnisse bedeutet. So gesehen hätte der Titel „Wer hat Angst vor genauer Lektüre?“ besser geheißen: Wer hat keine Angst vor Irrtümern? Gehring unterstellt, trans*Menschen würden ihr Geschlecht frei wählen. Sie würden mit Hormonen und Chirurgie die „Körpernatur“ zurückbringen und damit die Biologie. Hätte sie nun Stock wirklich genau gelesen, wüsste sie, dass es um die Geschlechtsidentität geht und dass es Stock ist und nicht die trans*Community, die mit dem sogenannten „biologischen Geschlecht“, also mit Biologismus als dem Missverständnis von Biologie argumentiert.

Auch spricht Gehring nur vom „gefühlten“ Geschlecht und macht sich darüber lustig, angeblich anerkennen zu müssen, was andere Leute sein möchten: „Letztlich gibt es Angemessenheitsgrenzen des gefühlt Wahren, das evaluieren und spüren wir alle. Denn man stelle sich vor, trotz bürgerlicher Jugend würde ich erwarten, als ‚gefühltes‘ Arbeiterkind, trotz weißer Hautfarbe als coloured [sic] oder mit einer Normalbiographie als Person mit Handicap anerkannt und gelesen zu werden.“ Das steht da wirklich im Jahrbuch. Natürlich können wir unser Geschlecht fühlen, aber dann würde ich richtigerweise von sexueller Erregung sprechen, oder was fühlt ihr?

Glücklicherweise gibt es im Rezensionsteil des Bandes eine Besprechung von Stocks Material Girls durch Anna Rifat Klassen, die nun wirklich genau gelesen hat und deshalb resümiert: „Dieses Buch ist im besten Fall eine populär-philosophische Auseinandersetzung mit einem Begriff von Geschlecht, der in der feministischen Philosophie und in der feministischen Geschichte der Lebenswissenschaften nicht verwendet wird. Im schlechtesten Fall ist es eine Schrift, die unter dem Deckmantel der akademischen Philosophie, des Feminismus und der Wissenschaftsfreiheit ‚Argumente‘ formuliert, die genutzt werden, um eine Geschlechterordnung aufrechtzuerhalten, die nur den Privilegierten nutzt und marginalisierte Menschen weiter oder noch mehr unterdrückt.“

Das trans*feindliche Sahnehäubchen liefert Dierk Saathoff mit „Queere Homophobie“, wenn er schildert, wie die armen Schwulen und Lesben zu Opfern und Verfolgten der trans*Community werden – nein, Lesben wollen keine Frauen mit Penis und Schwule keine Männer mit Vulva. Aber das entscheiden am Ende die Menschen selbst, wen und was sie lieben. Und dass Saathoff in dem Präfix „cis“ ein Diskriminierungspotenzial gegen Homosexualität ausmacht, das ist keineswegs als Witz gemeint. Menschen wie ich, müssen schon sehr lange mit dem Präfix „trans“ zurechtkommen. Wenn Saathoff sich über die mal subtile, mal offene Herabsetzung durch die Benennung „cis“ beklagt, kann ich als trans*Frau nur müde lächeln. Das Problem von cis/trans beschert uns unsere Geschlechterordnung, weshalb Beschwerden dorthin zu adressieren sind und nicht an die trans*Community.

Nora Eckert ist Publizistin, im Vorstand beim Bundesverbandes Trans* e.V. und bei TransInterQueer e. V. und Teil der Queer Media Society

Hg. im Auftrag der Initiative Queer Nations von Jan Feddersen, Marion Hulverscheidt und Rainer Nicolaysen; Jahrbuch Sexualitäten 2023; Juli 2023; 237 S., 8 farb. Abb., geb., Schutzumschlag, 15 x 22,3 cm; ISBN 978-3-8353-5482-1; Wallstein Verlag; 34,00 €

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