„Wir wollen nicht sein, wie man uns haben will“

Beitragsbild: Fritzi (Lia von Blarer, vorne re.) und Hedi (Valerie Stoll, vorne li.) genießen den Augenblick mit ihren Freunden Georg (Damian Thüne, hinten li.) und Harry (Joel Basman, hinten re.) im Szene-Nachtclub „Eldorado“ // © ARD Degeto/RBB/Constantin Film/UFA Fiction/Dávid Lukács

Wieder ein Berlin-Thema. Wieder historisch. Wieder episch! Die Geschichte des KaDeWe, des „berühmtesten Kaufhauses der Welt“, wie die ARD zu dieser ersten gemeinsamen Produktion von Constantin Film und UFA Fiction betonen zu müssen meint. Die „roaring twenties“, endlich – hatten wir ja noch nicht! Außerdem: Jugend, Freiheit, Sexualität, Queerness, Nazis, Nutten, Suff und Drogen! Boom, boom, boom! Is’ halt Berlin, sind halt die Zwanziger. Kann ja gut werden, oder auch nicht. Definitiv war das Interesse geweckt.

Was so in die Zeit gehört

Zunächst einmal waren Skepsis und Hoffnung gleichermaßen groß: Skepsis, dass wir es hier mit einer Das Adlon-Nummer zu tun haben könnten, „Eine Familiensaga“ die sicherlich erfolgreich, für mich aber inhaltlicher und oft langweiliger Murks war – wenn schon Geschichtsklitterung, dann wenigstens unterhaltsam (Hallo, Der Palast, du abgefilmte öde Frechheit!). Andererseits begeisterte eine andere ARD Degeto/rbb-Produktion uns kürzlich sehr: Legal Affairs. Und mit „Rosakind“* Julia von Heinz sah es regieseitig schon mal vielversprechend aus. 

Willkommen im „Eldorado“, Hedi // © ARD Degeto/RBB/Constantin Film/UFA Fiction/Oliver Wolff

Julia von Heinz (Und morgen die ganze Welt) schrieb gemeinsam mit ihrem Partner John Quester sowie Sabine Steyer-Violet und Oskar Sulowski auch die Drehbücher der sechsteiligen Serie (oder der ersten Staffel, laut von Heinz gäbe es durchaus Ideen für eine Fortführung). In denen findet sich alles, was in so eine 20er-Jahre-Nummer gehört, jedoch glücklicherweise ohne, dass es zu einer flackernden Abarbeitung all der Dinge, die so irgendwie mit der Zeit assoziiert werden, verkommen würde.

Viel eher stehen sie hier zwar anfänglich im Fokus – die Mischung von Luxus und Armut, freiem Leben und sich verstärkenden reaktionären und nationalsozialistischen Tendenzen, Exzess und Absturz, Party und Gefahr – werden aber die Handlung begleitend und vorantreibend eingebunden und stehen ab etwa der Mitte der Serie insofern hinter den Figuren, als dass ihre Geschichten die Umgebung tragen. 

Fritzi und Hedi in Love // © ARD Degeto/RBB/Constantin Film/UFA Fiction/Oliver Wolff

Vier Menschen = ein Kleeblatt

Da ist Harry Jandorf (Joel Basman), Sohn des Kaufhaus-Patriarchen Adolf Jandorf (Jörg Pose), der, kriegsversehrt und von einem Dämon (verkörpert von Martin Bruchmann) begleitet aus dem Ersten Weltkrieg heimgekehrt, nun versucht sich im KaDeWe zu beweisen, dabei immer wieder über sich selber und seinen Hang zu Drogen stolpert. Ihm gegenüber steht (und oft sitzt) Georg (Damian Thüne), der es dank seiner Kompetenz in Bezug auf Zahlen im KaDeWe bereits weit gebracht hat und heißer Anwärter für einen weiteren Aufstieg im Haus ist. Bruderkrieg in Berlin quasi, geht auch ohne Blutsverwandtschaft.

Harry zwischen Rausch und Trauma: Während ihm Erica (Christine Grant) einen Schuss setzt, sieht er seinen toten Kriegskameraden (Martin Bruchmann) // © ARD Degeto/RBB/Constantin Film/UFA Fiction/Dávid Lukács

Harrys Schwester Fritzi (Lia von Blarer) mag sich mit der Rolle, die Papa und Mama Cordula (Victoria Trauttmansdorff) ihr zugedacht haben, nicht begnügen. Sie will arbeiten, Geld verdienen und eine Frau lieben dürfen. Beispielsweise die Hedi (Valerie Stoll), die im KaDeWe als Verkäuferin arbeitet, meist weiß, wie sie bekommt, was sie will und ebenfalls damit hadert, vermutlich den KaDeWe-Buchhalter Rüdiger (Tonio Schneider) heiraten zu müssen. Diese vier treffen nun aufeinander und nach einer durchzechten Nacht haben sie alle ein Herztattoo auf der Kuppe ihres kleinen Fingers – zusammengesetzt ergibt es ein Kleeblatt und den Schwur geleistet, das Glück nie vorüber ziehen zu lassen.

Harry Jandorf und Georg Karg gab es wirklich, wie auch einige andere Figuren; Fritzi Jandorf und auch Hedi Kron samt Familie (Vater Rudolf, gespielt von Martin Ontrop, und ihre Schwester mit Down-Syndrom Mücke, Neele Buchholz) sind, wie ebenfalls manch andere Figur, frei erfunden, was den gesellschaftspolitischen Realitätsbezug von Eldorado KaDeWe jedoch nicht stört. Nicht zuletzt dürfte das auch an der intensiven Recherche von Julia von Heinz liegen, die sie unter anderem im Spinnboden-Archiv vornahm und sich Bücher zum ebenfalls realen Nachtklub Eldorado zu Gemüte führte. 

„Das Glück nie vorüberziehen lassen“: Ein Kleeblatt von vier Freunden (. li. n. re.): Hedi (Valerie Stol), Fritzi (Lia von Blarer), Harry (Joel Basman) und Georg (Damian Thüne) // © ARD Degeto/RBB/Constantin Film/UFA Fiction/Dávid Lukács

Homo- und Queerfeindlichkeit – damals und heute

So findet auch die Zeitschrift Liebende Freundin (Die Freundin) Einzug in die Serie, wie überhaupt LGBTQI*-Themen und die Rechte von Frauen einen wesentlichen Anker von Eldorado KaDeWe ausmachen, wie auch Fremdenfeindlichkeit und vor allem Antisemitismus, der schon der Handlung oder eher dem wahren Verlauf der Geschichte wegen (kurz: Wirtschaftskrise und Hyperinflation, die Juden sind schuld, Nazis, Enteignung) präsent sein muss, thematisiert. Gedreht wurde vieles in Budapest, Ungarn, einem Land, in dem Antisemitismus und der Hass auf Juden noch einmal auf ganz andere Art und Weise präsent ist, als er es hierzulande leider auch wieder verstärkt ist.

„Immer wenn ein Jude ein Gleichnis erzählt, endet es damit, dass wir verloren sind.“

Harry Jandorf in Eldorado KaDeWe

Ebenso die Homo- und Queerfeindlichkeit, teils in einem neuen Gesetz festgehalten. Wenn Julia von Heinz etwa erzählt, dass sich transgender Komparsen nicht trauten „geschminkt zu uns ans Set zu kommen, da sie Angst vor Übergriffen hatten“ ist das bitter. Dazu fiel der Dreh in die Zeit der Fußball-EM und der Entscheidung der UEFA, dass die Allianz-Arena nicht in Regenbogenfarben angestrahlt werden dürfe. Eine Razzia von Nazis im Eldorado – „weil das ‚gleichgeschlechtliche Leben in Berlin überhandnimmt‘ (Original-historisches Zitat)“ – wurde übrigens an jenem Tag gedreht, an dem „Zehntausende zum CSD in Budapest kamen“, wie von Heinz im Presseheft berichtet. „Diese Aktualität mitzuerleben war schmerzlich, hat uns aber vor allem von der Wichtigkeit dessen, was wir drehen, überzeugt“, in der Tat – so ein Dreh kann nicht zuletzt auch Möglichkeit sein, dem Repressiven zumindest bis zu einem gewissen Grad zu entkommen.

Fritzi soll in der Nervenheilanstalt ihre sexuelle Orientierung ausgetrieben werden // © ARD Degeto/RBB/Constantin Film/UFA Fiction/Dávid Lukács

Dem Lauf der Geschichte entkommt jedoch niemand: vieles, von dem vermutet wird, dass es im Rahmen der Handlung geschehen könnte, geschieht auch. Die Drogenexzesse Harrys führen in eine Sackgasse, auch wenn ihn die Liebe zu Erica (Christine Grant), der schwarzen Betreiberin eines Amüsierbetriebs, ein wenig stützt, Fritzi soll von ihrer Homosexualität, also ihrer Krankheit, geheilt werden, Hedi muss den Nazi-Rüdiger ehelichen, um sich und ihre Schwester durchzubringen, Georgs Loyalität wird ein ums andere Mal auf die Probe gestellt, und so weiter und so fort. Diese gewisse Vorhersehbarkeit stört aber nicht, da die Art des Erzählens hier die Musik macht (die übrigens auch fantastisch ist und zum Teil in Zusammenarbeit mit Inga Humpe entstand) und Eldorado KaDeWe darüber hinaus von vier sehr individuellen Figuren erzählt, die es in dieser Kraft so (oft) auch noch nicht im deutschen Fernsehen gab.

Relevantes Zeitporträt

Wie erwähnt schafft die Serie es eine:n spätestens mit dem Ende der dritten, zuerst etwas schlingernden, Folge endgültig in ihren Bann zu ziehen. Sie markiert den Übergang von Aufbau zu Ausführung, wenn wir so wollen. Ab hier sind die Charaktere frei in ihrer erzählerischen Entwicklung und wir begleiten sie gern. Was dabei jedoch etwas unter die Räder der teils heutigen BVG-Busse gerät (immer wieder überlagern sich historische Elemente mit jenen aus dem Jetzt, ein sehr feiner, subtiler Kniff), ist das KaDeWe selber. Zwar gibt es immer wieder feine Außenansichten, auch wird hier und da mal in eine Abteilung geguckt. Der Glanz, Glamour und Luxus jedoch, der, wie immer wieder betont wird, das Haus ausmacht, ist selten zu sehen.

Die frei fliegende Gang // © ARD Degeto/RBB/Constantin Film/UFA Fiction/Dávid Lukács

Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit ist also nur zu geringem Teil die Geschichte des traditionsreichen Hauses in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, sondern vor allem die von vier Personen, die trotz aller Unterschiedlichkeit den Gedanken der Selbstverwirklichung und eines möglichst glücklichen Lebens gemein haben. Das ist allemal ausreichend, teils beeindruckend und als relevantes, unterhaltsames Zeitporträt tauglich. 

JW

PS: Die Serie ist Else Lasker-Schüler gewidmet. Love it!

PPS: Oliver Polak als Tietz ist ein Fest! 

* Julia von Heinz war von 2005 bis 2006 künstlerische Mitarbeiterin von Rosa von Praunheim an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam Babelsberg und Rosa bleibt durchaus gern Bestandteil der (künstlerischen) Lebens seiner „Rosakinder“. 

Ein Ort, der für Glamour und Luxus steh: Das KaDeWe // © ARD Degeto/RBB/Constantin Film/UFA Fiction/Dávid Lukács // © ARD Degeto/RBB/Constantin Film/UFA Fiction/Dávid Lukács

Eldorado KaDeWe ist seit dem 20. Dezember 2021 in der ARD-Mediathek verfügbar; Ausstrahlung im TV: Das Erste zeigt am 27.12.2021 ab 20:15 Uhr alle sechs Folgen am Stück; rbb zeigt die Serie jeweils in Doppelfolgen ab 20:15 Uhr am 14., 15. und 16. April 2022

Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit; Deutschland 2021; Regie: Julia von Heinz; Drehbuch: Julia von Heinz, John Quester, Sabine Steyer-Violet, Oskar Sulowski; Kamera: Daniela Knapp; Szenenbild: Petra Albert; Kostümbild: Maxi Munzert; Musik: Matthias Petsche; Darstellende: Valerie Stoll, Lia von Blarer, Joel Basman, Damian Thüne, Bineta Hansen, Jörg Pose, Victoria Trauttmansdorff, Oliver Polak, Christine Grant, Rüdiger Hentzschel, Toni Schneider, Neele Buchholz, Martin Ontrop, Martin Bruchmann, Lana Cooper, u. v. a.; sechs Folgen, jeweils circa 44 Minuten; bis zum 16.5.2022 in der ARD-Mediathek verfügbar; eine Produktion der Constantin Television und UFA Fiction in Co-Produktion mit ARD Degeto und dem rbb; gefördert vom Medienboard Berlin-Bran- denburg (MBB), FilmFernsehFonds Bayern (FFF), German Motion Picture Fund (GMPF) und Hungarian Tax Credit. 

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