Zweite Kammer, zweite Geige – der Bundesrat in der öffentlichen Wahrnehmung

Zum 1. November wechselt jährlich die Ratspräsidentschaft im Bundesrat. Sie rotiert zwischen den Bundesländern, sodass im 16-Jahres-Rhythmus jedes Bundesland einmal an der Reihe ist. In diesem Jahr übergibt Daniel Günther, CDU-Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein, an seinen aktuell nur geschäftsführenden SPD-Amtskollegen Dietmar Woidke aus Brandenburg, der nach der Landtagswahl Anfang September erst noch in seinem Amt bestätigt werden muss.

Der Präsident des Bundesrats ist protokollarisch hinter dem Bundespräsidenten der zweithöchste Mann, bzw. die zweithöchste Frau im Staat, vor dem Bundestagspräsidenten und dem Bundeskanzler. Das ist vor allem dann interessant, wenn der Bundespräsident verhindert oder beispielsweise zurückgetreten ist. Ausgerechnet die damaligen Ministerpräsidenten der flächenmäßig kleinsten und größten Bundesländer, Jens Böhrnsen (Bremen, SPD) und Horst Seehofer (Bayern, CSU), mussten für die zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler und Christian Wulff in den vergangenen zehn Jahren in die Bresche springen und spontan höchste repräsentative Aufgaben übernehmen. Michael Müller (Berlin, SPD) ist im Moment sogar nur zweiter Stellvertreter, durfte vergangenen Sommer aber den im Urlaub weilenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und den auf dienstlicher Reise in Namibia befindlichen Daniel Günther vertreten, als mit Christine Lambrecht (SPD) eine neue Bundesjustizministerin förmlich ernannt werden musste.

Es gibt weitere Annehmlichkeiten, die der Vorsitz im Bundesrat mit sich bringt. Das jährliche Fest zur deutschen Einheit findet am 3. Oktober in der Landeshauptstadt statt, deren Ministerpräsident aktuell Bundesratspräsident ist. Es gab in den vergangenen 16 Jahren für fast jedes Bundesland eine Sonderprägung der Zwei-Euro-Münze – vor allem für Sammler sind diese interessant. Auch hier wurde bisher stets ein Motiv aus dem Land ausgewählt, das jeweils den Vorsitz im Bundesrat innehat.

Für die meisten Deutschen sind diese Vorgänge zumeist von weit geringem Interesse als die Festivitäten dieser Tage – Reformationstag, Allerheiligen, Halloween oder sogar die noch immer vorhandene Zeitumstellung. Das ist angesichts der Bedeutung des Bundesrats und seines Präsidenten im Gesetzgebungsprozess der Bundesrepublik Deutschland durchaus beschämend. Der Bundesrat hat – genau wie der Bundestag und die Bundesregierung – das Recht, Gesetzesinitiativen einzubringen. Er wird bei einer Reihe von Gesetzgebungsprozessen aktiv und ist ein wichtiger Bestandteil unserer Demokratie.

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Natürlich, die Bundesratspräsidentschaft ist nicht das wichtigste Zahnrad im System der bundesdeutschen Demokratie, aber seine Bedeutung wird in der öffentlichen Wahrnehmung dennoch oft verkannt. Ohne den Bundesrat würde die zweite Kammer und somit ein wesentlicher Vetospieler des in der öffentlichen Wahrnehmung viel bedeutenderen Bundestags fehlen. Ohne ihn gäbe es nur noch den Bundestag und die Bundesregierung, die Gesetzesvorschläge vorlegen dürften.

Da sich so viele Menschen mehr für die Feiertage dieser Tage interessieren, hier ein Vorschlag: Wenn das nächste Mal darüber debattiert wird, ob es zusätzliche Feiertage geben soll und zugleich wie die Demokratie gefördert werden kann – beide Debatten haben den öffentlichen Diskurs in der jüngeren Vergangenheit erreicht – vielleicht wäre es einmal an der Zeit, einen Feiertag der Demokratie einzuführen. Dieser kann dann stets nur in einem Bundesland stattfinden und zwar in dem, das die Präsidentschaft im Bundesrat innehat. 

An diesem Tag sollte die politische Bildung im Vordergrund stehen. Es würde innerhalb eines Zeitraums von 16 Jahren jeder Deutsche einmal bedacht – von Umzügen einmal abgesehen. Die Kosten dafür dürften überschaubar bleiben, da sich die wirtschaftlichen Ausfälle bundesweit ebenfalls auf 16 Jahre verteilen – oder durch höheren Konsum von Grenzgängern an diesem Tag wieder ausgeglichen werden. Wer in Berlin wohnt und alljährlich am Reformationstag von einkaufswütigen Brandenburgern heimgesucht wird, dürfte nachvollziehen können, was damit gemeint ist. Der politische Diskurs könnte von einer solchen Maßnahme jedenfalls profitieren. 

HMS

Beitragsbild: Das Gebäudes des Bundesrats / © Bundesrat

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