Wandel durch Kontinuität?

Chaos in der Koalition. Viele dachten, dass wir uns mit Angela Merkel auch mit dem Dauerstreit in der Regierung verabschiedet haben. Aber die Ampel belehrt uns dieser Tage immer wieder eines Besseren. Dabei ist es allerdings eher ungewöhnlich, dass es primär um die Außenpolitik geht, ist diese doch ein Feld, das den homo germanicus tendenziell nicht so sehr interessiert.

Zeitenwende?

Seit Putins Einmarsch in die Ukraine ist das jedoch anders. Vielleicht ist vielen Menschen hierzulande doch klar, dass ein Sieg Putins schwerwiegende Folgen hätte – ja sein Angriffskrieg schon heute gravierende Auswirkungen auf unser aller Leben und das internationale System hat. In einer solchen Situation gerade ein Schlüsselressort wie das Verteidigungsministerium über Monate mit einer nicht nur kommunikativ, sondern auch inhaltlich alles andere als trittsicheren Ministerin besetzt zu haben, war wohl einer der schwersten Fehler des Bundeskanzlers Olaf Scholz.

Nun ist Christine Lambrecht Geschichte (zumindest vorerst – mal gucken, ob wir sie in ein paar Jahren im Dschungelcamp sehen), der Krieg ist es noch lange nicht. Und so kann auch der Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums nicht verdecken, dass es gerade das Kanzleramt und die größte Regierungspartei SPD sind, die Deutschlands Außenpolitik dieser Tage lähmen.

Verschleppte Modernisierung

Ja, Außenpolitik ist mehr als die Frage nach Waffen- und Panzerlieferungen, aber dieser Tage kristallisiert sich eben alles um dieses Thema. Wenn die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der Regierungspartei FDP, den SPD-Kanzler sowie deren Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich öffentlich angreift und sinngemäß sagt, dass letzter das Abbild von jahrzehntelangen Fehlern in der Außenpolitik sei, dann sagt sie nichts als die Wahrheit. Mützenich war es, der über Jahre hinweg eine Modernisierung der Bundeswehr zum Beispiel mit bewaffneten Drohnen verhindert hat, obwohl auch laut Expertinnen (beispielsweise Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations) dazu wirklich schon alle Argumente ausgetauscht waren. Im Gegenteil, alle Argumente haben sich seit dem Krieg in der Ukraine immer noch mehr bewahrheitet.

Dass die Bundeswehr durch die CDU kaputtgespart wurde, stimmt nur in Teilen. Erstens haben Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer seit dem legendären NATO-Gipfel in Wales 2014 (für Deutschland damals übrigens vor Ort: der damalige SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier) immer mehr Geld für die Truppe beim Bundesfinanzminister organisiert. Und zweitens war es lange Jahre gerade die SPD, die sich einer besseren Ausstattung der Truppe verweigerte. Die SPD hat bei Budgeterhöhungen vielfach gebremst und gekürzt.

Ein Relikt des Zufalls

Eine Fraktion kann man so oder so führen. Mützenich jedenfalls führt sie in dem Sinne, dass sie den ideologischen Pazifistinnen und Pazifisten, die scheinbar auch mit dem Einsatz von Gewalt zur Selbstverteidigung (und der Befähigung von Partnern, diese autonom auszuüben). Die SPD – vielfach unter Führung ihres heutigen Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich – kann sich also nur mit einem großen Aber auf die Union zeigen, wenn es um den Zustand und die Ausrüstung der Bundeswehr geht.

Mützenich ist ein Relikt, das der politische Zufall an die Macht gespült hat. Wäre nicht Andrea Nahles nach der Europawahl 2019 von der eigenen Partei weggemobbt worden und wäre nicht Mützenich zu jenem Zeitpunkt zufällig der dienstälteste ihrer Stellvertreterinnen und Stellvertreter gewesen, säße er heute vermutlich nicht auf seinem Sessel. Anders als Angela Merkel jedoch, deren Fraktionsvorsitzende Volker Kauder und später Ralph Brinkhaus für sie die Fraktion im Griff hatten, ist es bei Scholz umgekehrt. Ihm diktiert die Fraktion unter Führung von Mützenich die Außenpolitik und das trägt zur aktuellen Lähmung Deutschlands in diesem Feld leider massiv bei.

Die Chance, Mützenich loszuwerden, gab es als er nach der Bundestagswahl 2021 Bundestagspräsident werden wollte und sollte. Diese konnte aber – welche Ironie – aus Paritätsgründen nicht realisiert werden, denn nur alte, weiße, sozialdemokratische Männer in vier der fünf höchsten Staatsämter, das wäre im Deutschland des Jahres 2021 nicht zu vermitteln gewesen. Dass sich nun mit Lars Klingbeil der Co-Parteivorsitzende bemüßigt sieht seine Amtskolleginnen und -kollegen der Koalitionsparteien dazu aufzurufen, sich im Ton zu mäßigen, zeigt einerseits, welch offene Flanke der SPD diese damit angreifen und andererseits aber auch, wie hilflos die Lage ist, in die sich die Sozialdemokraten unter Mützenichs Anleitung manövriert haben.

Ein neues Papier

Das kann auch die jüngste Initiative der SPD nur wenig richten. Am Montag veröffentlichte die Partei ein Positionspapier zur Außen- und Sicherheitspolitik, das der Co-Vorsitzende Klingbeil medienwirksam vorstellte. Vielfach finden sich darin Buzzwords und Plattitüden, manch Richtiges, was die Kontinuität der außenpolitischen Ausrichtung fortschreibt, aber auch manch eine Neujustierung. Dass sich die SPD beispielsweise auch international für soziale Gerechtigkeit oder Frieden und Abrüstung einsetzen will, dürfte wenig überraschen.

Dass mit ökologischen Aspekten oder einer verhältnismäßig chinakritischen Haltung, die auch Abhängigkeiten von Rohstoffen oder Handelsströmen in den Blick nimmt, scheinen hingegen erste Fortschritte zu sein. Für wen die SPD diese Politik machen möchte, ist allerdings aus dem Papier nicht unbedingt ersichtlich. Der Augsburger Historiker Dietmar Süß rekurriert in seinem Buch Der seltsame Sieg auf eine Äußerung Klingbeils im vergangenen Jahr, dass die SPD in Anlehnung an die USA eine Außenpolitik für die Mittelschicht machen wolle, aber das kommt in diesem Positionspapier eher implizit heraus.

Eigenwilliges Geschichtsverständnis

Am wichtigsten in diesem Papier natürlich: Sicherheit soll nicht mehr mit, sondern von Russland gedacht werden. Endlich scheint sich in der Partei der Schröders und Platzecks nun auch die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass Russland eben doch nicht der heiti-teiti-Partner ist, den wir uns lange gewünscht haben.

Dass diese beiden vormaligen Vorsitzenden in dem Papier nicht genannt werden, überrascht daher kaum. Dass sich die Partei in einem etwas eigenwilligen Geschichtsverständnis auf die früheren Bundeskanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt beruft, ist auch konsequent. Aber die Einordnung der beiden früheren Regierungschefs mutet doch komisch an:

„Mit einem erfolgreichen Dreiklang aus Diplomatie und Kooperation, dem klaren Bekenntnis zu Menschenrechten und internationalem Recht und dem Aufbau der eigenen militärischen Stärke haben Willy Brandt und später auch Helmut Schmidt die deutsche Außenpolitik während des Kalten Krieges geprägt.“

Ja, das mag in den ersten beiden Punkten zutreffen, aber sorry, liebe SPD, der „Aufbau der militärischen Stärke“ geht auf Konrad Adenauer und seine Westbindung zurück. Helmut Schmidt – in der Tat – war auch für eine rüstungspolitische Initiative verantwortlich, nämlich den NATO-Doppelbeschluss. Bekanntermaßen kostete ihn dieser das Amt. Sich dies auf die Fahnen zu schreiben, erscheint vor dem Hintergrund also mehr als kühn.

Fahrschein für die Trittbrettfahrt?

Und noch ein letzter Punkt aus dem Positionspapier soll an dieser Stelle Erwähnung finden: Die SPD bekennt sich klar zum Multilateralismus und zur internationalen Kooperation. Das ist gut und das ist richtig. Wenn Deutschland sich allein auf den Weg macht, dann haben wir vor rund achtzig Jahren gesehen, wo das enden kann. Gerade in einer Woche, in der wir der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gedenken und insbesondere der queeren Community, sollten wir uns dies immer wieder vergegenwärtigen. Deutschland muss und soll in einem Geflecht von multilateralen Beziehungen agieren.

Und doch ist das weder eine große Weiterentwicklung der Position, noch eine Neuigkeit. Das ist banale Kontinuität und im schlimmsten Fall ein „Weiter so!“. Zu einem solchen Bekenntnis muss auch die Bereitschaft zur Führung in Ausnahmesituationen gehören und diese – auch wenn mit einem eigenen Kapitel bedacht – scheint nicht die Priorität der SPD zu sein und zu werden.

Im schlimmsten Fall ist diese Positionierung für ein Deutschland im multilateralen Geflecht nichts anderes als eine Chiffre, um sich hinter den anderen – vor allem den USA – zu verstecken und wie gehabt weiterzumachen. Wandel durch Kontinuität also, aha. Au weh, liebe SPD, so nett das klingt, am Ende ist vieles davon vielleicht doch eher nette Show. Womit wir an dem Punkt wären, an dem wir einfach wiederholen müssen: Frau Strack-Zimmermann, Sie haben recht!

HMS

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