Lutz Heineking, jr. zeigt was sich gehört // © TOBIS
Mit der Literaturverfilmung von Isabel Bogdans Erfolgs-Debütroman Der Pfau (erschienen bei Kiepenheuer & Witsch und als Taschenbuch im Insel Verlag) hat Produzent, Autor und Regisseur Lutz Heineking, jr. seinen ersten Kinofilm vorgelegt. Obwohl er eigentlich nie einen machen wollte. Wir finden — wie ihr hier lesen könnt — es gut, dass er es nun doch getan hat. Und wollten mit ihm darüber sprechen wieso, weshalb, warum?!
Telefonisch via Freisprechanlage erreichen wir ihn wenige Tage nach der Premiere von Der Pfau im Cinedom Köln auf Motivtour. Die Premiere sei super und der Abend unfassbar gewesen, auch weil das Publikum den Film so verstanden habe, wie Lutz Heineking, jr. ihn gemeint hat. Bei einem Stoff, in dem die von Annette Frier gespielte Köchin Helen zu den Bankern (gespielt von Lavinia Wilson, Serkan Kaya, Tom Schilling, David Kross und Jürgen Vogel) sagt, dass es doch eigentlich um gar nichts ginge, mag das nicht selbstverständlich sein.
Wir haben über den Film, die Entstehung, manche Ambition, Filmförderung und Kunstschnee gesprochen. Wie erfolgreich unsere Unterhaltung war, haben wir daran gemerkt, dass Lutz Heineking, jr. sich am Ende verfahren hatte.
the little queer review: Der Entschluss, Der Pfau verfilmen zu wollen — ergab der sich am Ende der Lektüre oder im Verlauf des Lesens?
Lutz Heineking, jr.: Am Ende des Buches. Weil ich immer dachte: Jetzt eskaliert es richtig. Wie man es beispielsweise aus Das perfekte Geheimnis und anderen Ensemblefilmen kennt. Dass der dramaturgische Twist am Ende der Geschichte ein ganz anderer ist, das find’ ich mutig in der Literaturvorlage. Da hab’ ich beim Umblättern der letzten Seite gedacht: Okay, das muss man als Film machen.
the little queer review: Der Pfau ist Dein erster Kinofilm. Primär verbindet man Dich mit Serien wie Andere Eltern [die ab dem 17. März 2023 wieder in der ZDF-Mediathek verfügbar sein wird, Anm. d. Red.], KBV — Keine besonderen Vorkommnisse oder der Corona-Web-Serie Drinnen. Woher kam der Entschluss, Der Pfau als Film und nicht etwa als fünfteilige Mini-Serie umzusetzen?
Lutz Heineking, jr.: Ich wollte tatsächlich nie einen Kinofilm machen. Mit Serien war ich immer sehr glücklich. Als ich vor acht, neun Jahren angefangen habe fiktional zu inszenieren, da war die Serie gerade en vogue, da ging es los mit der Streaming-Liebe und allem. Deswegen hatte ich nie das Bedürfnis, einen Film zu machen. Als ich allerdings dieses Buch gelesen habe, hab’ ich gedacht, das ergibt nur im Kino Sinn.
Wäre die Geschichte auf mehrere Folgen gesplittet, wäre die Konstellation der Figuren nur schwer möglich und ich denke auch nicht, dass man diese Geschichte mit der Dramaturgie in fünf Folgen erzählen sollte.
the little queer review: Wie Du es ja auch im Presseheft sagst: „Für die unerfüllte Erwartung, braucht es die große Leinwand.“
Lutz Heineking, jr.: Genau. Und auch der Faktor Konzentration spielt mit rein. Im Kinosaal ist die Stimmung eine ganz andere. Man kann ganz anders mit der Erwartungshaltung spielen — und die Leute geben nicht so schnell auf [lachen]. Am Ende wird der Film aber sowieso gelesen, wie er individuell gelesen wird.
the little queer review: Da ist aber auch zu merken, wie viel ein guter Cast ausmacht. Also allein Lavinia Wilson, Serkan Kaya, Tom Schilling, David Kross und Co. dabei zuzusehen, wie sie miteinander agieren und aufeinander reagieren, bringt Freude und ist ein kleines Fest der Talente.
Lutz Heineking, jr.: Absolut! Für diesen Cast bin ich auch sehr dankbar und glücklich darüber, dass die vom Verleih [Tobis, Anm. d. Red.] da mitgegangen sind. Wäre das von wem anders inszeniert worden, hätte man wohl eher Bastian Pastewka oder Christoph Maria Herbst erwartet. Da hätte ich Angst gehabt. Man hätte dann diese ein oder zwei lustigen Personen im Cast gehabt, von denen erwartet wird, dass sie dann auch immer lustig zu sein haben.
Bei Der Pfau finde ich halt, ist es ein ganz wichtiger Punkt in der Besetzung, dass es allesamt sehr gute Schauspielerinnen und Schauspieler sind, aber nicht solche, die vor allem mit dem Wort „Komödie“ verbunden werden. Das ist ein essenzieller Teil des Films. Am Ende des Tages spielen die alle irgendwie Arschlöcher, aber man schafft’s dranzubleiben — weil die so gut spielen. Weil man, wie Du sagst, Freude dabei hat, denen zuzugucken. Also wir zwei zumindest schon mal [lacht].
the little queer review: Die Einzige die mensch direkt mit Comedy verbinden mag, wäre Annette Frier.
Lutz Heineking, jr.: Total, stimmt. Aber die ist die einzige Figur, die anders ist. Die Köchin im Ensemble, keine Bankerin. Eben eine Figur, die nicht negativ konnotiert wird in der Geschichte und quasi als Erzählerin dient, die das alles so ein wenig überblickt.
the little queer review: Apropos überblicken: Diese sehr feine Spielfeld-Optik — wann fiel die Entscheidung dazu, das als Stilmittel zu nutzen?
Lutz Heineking, jr.: Die Idee kam kurz vor Drehbeginn. So ein wenig war da der Gedanke an das Cluedo-Spiel, das in Deutschland nicht unbekannt ist, in anderen Ländern in puncto Bekanntheitsgrad aber gleichzusetzen ist mit Monopoly. Ich mochte den Gedanken mit dieser Spielfeld-Ästhetik zu spielen. So kann man sich hinterher auch fragen: War das alles ein Rollenspiel oder eine echte Story?
Plus: Ich bin zwar kein Freund dieses inflationären Gebrauchs von Drohnenflügen im Film, das mutet oft schon seltsam an. Hier ist das aber absolute Absicht, weil sie eben ein erzählerisches Mittel sind, auch, um die Handlungsmomente auf diesem Spielfeld zusammenzuhalten.
the little queer review: Zusammenhalten — auch ein gutes Stichwort. Ihr hattet um die 20 Drehtage, ein großes Ensemble, Tiere und diverse Drehorte und -länder. Läuft also ambitioniert?!
Lutz Heineking, jr.: Ja, ambitioniert ist n’ gutes Wort [lacht]. Also ja, das Drehen mit so einem Ensemble und Tieren und in drei Ländern bei nur 23 Drehtagen ist eine große Herausforderung. Da ballert man schon durch.
the little queer review: Drei Länder, stimmt. Wenn ich das richtig gelesen habe, dann steht der Landsitz auf dem das Teambuilding stattfindet gar nicht in Schottland, sondern in Belgien. Bessere Filmförderung?
Lutz Heineking, jr.: Das ist ein Grund. Es gab aber noch einen viel entscheidenderen: Corona. Wir konnten a) nach Belgien mit dem Auto fahren und b) haben die Schotten tatsächlich öfter die Schotten dichtgemacht. Und es gab mehrere Phasen, schon vor dem Dreh, wo du gar nicht nach Schottland einreisen durftest. Das kannst du bei einer Produktion, die ein paar Millionen Euro kostet, einfach nicht riskieren.
Da haben wir uns also aus logistischen Gründen und wegen eines guten Fördermodells für Belgien entschieden. Ich hab aber oft überprüft und überprüfen lassen, ob dieses Haus auch wirklich in Schottland stehen könnte. Das war mir ganz, ganz wichtig. Nicht, dass mir hinterher irgendwelche Schotten den Film um die Ohren hauen — „Das ist ganz klar belgische Architektur!“ Dem war nicht so.
Man wundert sich aber. Also ich hab da beinahe so eine Art kleinen Studiengang gemacht. Es ist erstaunlich, wie ähnlich sich die europäischen Bauweisen in dieser Epoche und dem Stand, den es damals brauchte, sind. Das war für mich auch neu. Hätt’ ich nicht gedacht.
the little queer review: Das ist doch was, wenn während so eines Schaffensprozesses noch dazugelernt werden kann.
Lutz Heineking, jr.: Ich lern’ jeden Tag dazu und bin auch so dankbar dafür, dass mein Beruf einfach so toll ist. Dass ich immer wieder in neue Welten schlüpfen kann. Aber natürlich — nur weil ich einen Arztfilm mache, kann ich noch keine Herz-OP durchführen. Bei dem Film jedenfalls hab’ ich sehr viel über Schottland gelernt.
the little queer review: Isabel Bogdans Der Pfau war beziehungsweise ist ein Bestseller. War es schwierig hier für die Verfilmung eine Finanzierung zusammenzubekommen? Nicht selten ist ein Großteil des Entstehungsprozesses von Filmen ja, die Finanzierung auf die Beine zu stellen.
Lutz Heineking, jr.: Also wie Du schon sagst, das Stichwort „Bestseller“ und es komödiantisch angehen zu wollen, das war schon ein relativ guter Door-Opener. Wir haben mit einer Million sehr viel Geld von der Filmstiftung NRW bekommen, also eine Spitzenförderung. Der Verleih war direkt an Bord, das war auch gut. Wir hätten nicht sehr einfach noch mehr Geld zusammenbekommen, deswegen auch die eher sehr kurze Drehzeit, aber dieses Geld war sehr schnell beieinander.
Also ich kann mich nicht beschweren, dass es sehr schwer gewesen wäre. Unser Studio, die MMCs, haben auch noch gut reingebuttert. Ich bin da also keinen schlimmen Weg gegangen, muss ich ganz ehrlich sagen.
the little queer review: Das ist doch gut. Nicht selten ist zu vernehmen, dass massiv um die Finanzierung eines Projekts gekämpft wird, in dem Prozess sollst du dann noch kreativ sein und bleiben und musst dich mit Bürokratie und Anträgen und allem rumschlagen…
Lutz Heineking, jr.: …naja, ja, leider. Man verzweifelt auch eher noch an gewissen Logiken. Wie eben gesagt: Dreh in Belgien, ein bisschen im Studio in Köln und die Landschaft in Schottland. Das ergibt nicht auch unbedingt nur Sinn. NRW muss halt mit rein, wenn die so viel Geld ausgeben. Die erste Logik wäre natürlich, das ganze Ding komplett in Schottland zu drehen, spielt immerhin dort.
Und Einschränkungen hast du sowieso immer. So durften wir nur bis zu einer gewissen Bildweite Schnee erzählen, weil der natürlich nicht echt ist und nur so und so viel ging.
the little queer review: Stimmt, ihr hab im Frühjahr gedreht. Wann genau?
Lutz Heineking, jr.: Wir haben am 28. Februar 2022 angefangen mit dem Dreh und hatten nun am 1. März 2023 Premiere — also Punktlandung.
the little queer review: Gibt’s oder gab es so einen Moment beim Dreh, der Dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Lutz Heineking, jr.: Naja, es gab viele Momente in denen die Schauspieler nicht immer wussten, was ihre Figur gerade denkt und macht. Persönlich bin ich sehr dankbar dafür, dass das so ist, weil es den Charakteren genauso geht. Das muss man als Schauspielerin oder Schauspieler natürlich auch aushalten. Es gab da eine Situation, in der Tom Schilling meinte, er wüsste überhaupt nicht was Andreas [sein Charakter im Film, Anm. d. Red.] jetzt denkt. Da meinte ich dann: Ja, super, Andreas weiß ja auch nicht was er denkt.
Dann meinte er: Ja, aber Du bekommst ja Tom Schilling, der nicht weiß was er denkt und nicht Tom Schilling, der einen Andreas spielt, der nicht weiß was er denkt. Da hab ich dann gesagt: Is’ doch scheißegal, sieht genauso aus [wir lachen].
Ich meine für so große Schauspieler ist es auch durchaus ein Wagnis mit mir zu arbeiten, weil ich normalerweise noch mehr improvisiere und dafür ist es ausschlaggebend, dass die Schauspieler nur den Wissensstand ihrer Figuren haben. Das haben wir auch versucht hier zu übertragen.
the little queer review: Das ist, wie wir meinen, in jedem Fall gelungen. Vielen Dank für’s Gespräch!
Lutz Heineking, jr.: Sehr gern, bis bald!
Der Pfau startet am morgigen Donnerstag, 16. März 2023, in unseren Kinos. Unsere Besprechung findet ihr hier.
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