Weiße Nächte – oder Blut, Gin und schöne Füße 

Von Alexander Schütz

„Weiße Nächte“, klingt poetisch, nach verschneiten, romantischen Wochenenden, gemütlich vor dem Kamin verbracht oder Schneeengel im weiß überzuckerten Garten machend. Doch diesen „White Nights“ ist noch ein dreifaches F vorangestellt: Fantasy Filmfest – White Nights. Während dieser zwei Tage wird jedes Jahr das wunderbare Residenz Kino in Köln zu meinem Wohnzimmer. Gemütlich ist es auch, poetisch eher selten, romantisch, nun ja, das ist Ansichtssache. 

Der Horror, der Wodka und neue Freundschaften

Mir reicht es an trautem Zusammensein völlig, mir an der Kinobar einen Wodka– oder Gin-Tonic zu genehmigen und mir zwölf Stunden am Tag Filme anzuschauen. Lange vor einem offiziellen Start in Deutschland dürfen hier echte Perlen aus den Genres Horror, Thriller, Science-Fiction und allem was dazugehört bestaunt und manchmal auch bejubelt werden. Der Kinosaal war oft gut gefüllt, mehrmals sogar ausverkauft, was aber auch kein Wunder ist bei diesem sympathischen Publikum. Neben den gezeigten Filmen ist dieses nämlich ein weiteres Highlight. Wer hierher kommt, liebt Filme, das Genre, Kino, man kommt ins Gespräch, fühlt sich wohl unter Gleichgesinnten, knüpft, wie ich, sogar Freundschaften. 

Dieses Jahr wurden wir nach einem guten Einstieg am ersten Tag mit einer erfreulichen Qualitätssteigerung am zweiten Tag belohnt. Doch der Reihe nach. 

Aus Lockdown Tower // © Charades

Lockdown Tower aus Frankreich war ein starker, dreckiger, gesellschafts– und sozialkritischer Start in den Tag und das Festival. Danach folgte mit Hit Big leider ein Abfall in der Qualität und geriet entgegen seines Titels zum „Big Miss“. Vielleicht bin ich aber nur nicht empfänglich für finnischen Humor. Aber so hatte ich den Tiefpunkt auch direkt abgehakt. Evil Eye vermischte dann mexikanische Folklore geschickt mit märchenhafter Stimmung und sorgt als klassischer Grusler für die erste Gänsehaut des Tages

Jagen und gejagt werden

Mit Project Wolf Hunting lieferte Südkorea eine heiß erwartete Schlachtplatte — ultrabrutal, Splatter und Gore galore. Diese genießt man am besten mit wenig Vorwissen, dann schmeckt sie nämlich umso besser. 

Das spanische Gefängnisdrama Prison 77 entließ uns dann unerwartet berührend, dramatisch und wieder sehr gesellschaftskritisch. Ein würdiger Rausschmeißer für einen guten ersten Tag. 

Aus Prison 77 // © Plaion Pictures

An Tag zwei hatte ich persönlich dann große Erwartungen und diese sollten mehr als erfüllt werden. Soft & Quiet, der neueste Blumhouse-Streich, ist ein hartes Brett. Eine Gruppe rassistischer Damen trifft sich zum arischen Kaffeekränzchen. Dass der Kuchen mit einem Hakenkreuz garniert ist, ist nur die Spitze des Eisbergs. In einem einzigen Take in Echtzeit gefilmt, werden wir gezwungen Zeug*innen einer wahnsinnig unangenehmen, unerträglichen Eskalation von rassistischer Gewalt zu werden.

TOP 3 in Reihenfolge

Danach hatte ich mir den Gin-Tonic mehr als verdient und weil es im Kinosaal dunkel war, zählte auch die Uhrzeit nicht. Dann folgte mein unangefochtenes Highlight: Limbo. Soi Cheang erfindet den Serienkiller-Thriller neu und lässt mit einer beinahe unerträglich spannenden Geschichte, die in erlesenen Schwarz-Weiß-Bildern erzählt wird, sogar den ewigen Klassiker Sieben hinter sich. Ein traumhafter Rausch von Film, brutal, berührend und wirklich wunderschön. Wunderschön ging es dann weiter, denn Eva Green durfte bewundert werden. In Nocebo trifft sie nicht nur auf riesige Zecken, sondern auch auf eine zwar nicht überraschende, dafür sehr runde und leider auch sehr aktuelle und wichtige Geschichte (siehe Beitragsbild). So liefen meine TOP 3 Filme des Festivals direkt hintereinander und sorgten dafür, dass ich zwar nicht vom Cocktail, wohl aber von der cineastischen Genialität betrunken war.

Aus Limbo // © capelight pictures

Mit Satans Slave 2: Communion folgte die Fortsetzung eines indonesischen Hits, dem ich auch sehr gut ohne Vorwissen folgen konnte und der mich zu vorgerückter Stunde mit sehr gut platzierten Jump-Scares wieder wach schockte. Der letzte Film wurde dann wieder mit Spannung erwartet, jedoch nur in zweiter Linie der skurrilen Story wegen. Vor allem aber, weil vom wunderbar sympathischen Moderator bereits recht früh im Festival die „wahnsinnig schönen Füße“ des Hauptdarstellers angepriesen wurden.

Ausbaufähiger Kink-Faktor

So wurden dann Toilettengänge und Getränkekäufe tunlichst vor dem Film erledigt und auf ausreichende Zucker- und Koffeinzufuhr geachtet, damit nicht der Körper durch Übermüdung oder andere Forderungen einen um ein angepriesenes Highlight der beiden Tage beraubt. Irgendwie passte dieses Ausschauhalten nach wohlgeformten Männerfüßen dann auch unerwartet gut zum leichten Kink-Faktor von Good Boy. Pet-Play und leichtes Spanking unterhielten gut, doch die Geschichte um einen gutaussehenden Millionär, der sich einen ganz besonderen Hund hält, ruhte sich leider zu sehr auf ihrer skurrilen Idee aus.

Aus Good Boy // © Blue Finch Film Releasing

Ernüchternd war dann auch die Erkenntnis, dass die schönen Füße lediglich in Socken zu bewundern waren. Auch nett, aber es wurde eben mehr erwartet, genau wie vom Rausschmeißer-Film selbst. Aber so entstanden dann wenigstens noch kurze Gespräche über die ausbleibende Befriedigung eines mal mehr, mal weniger heimlichen Fetisches, bevor ich mich auf den Heimweg begab.

Aus Soft and Quiet // © Blue Finch Film Releasing

Ein bisschen müde, sehr glücklich, den Kopf schwirrend vor filmischen Eindrücken, verliebt in das dreckige, schwarz-weiße Hongkong, einmal mehr in Eva Green und auch sehr in das Residenz Kino und natürlich die Fantasy Filmfest — White Nights. Ich freue mich auf den April, wenn die nächsten, klassischen Nights anstehen. Dann sogar vier Tage lang, genug Zeit also, neben ansprechenden Filmen ebensolche Körperteile zu bewundern. Dann aber wirklich.

PS: Zum Kinostart am 2. März 2023 werdet ihr noch eine Besprechung zu Project Wolf Hunting bei uns finden; Anm. d. Red.

Unser Gastautor Alexander Schütz wurde 1985 geboren und ist gelernter Buchhändler – und Horror-Enthusiast in jeder Form. Auf Instagram betreibt er die Kanäle bookhouse_boy_from_twin_peaks und lets_scare_alex_to_death

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