„Einer der Pfauen war verrückt geworden. Vielleicht sah er auch nur schlecht, jedenfalls hielt er mit einem Mal alles, was blau war und glänzte, für Konkurrenz auf dem Heiratsmarkt.“
Isabel Bogdan, Der Pfau
Mit diesen Worten beginnt der mittlerweile in der 13. Auflage bei Kiepenheuer & Witsch vorliegende erste Roman Der Pfau der Übersetzerin und Schriftstellerin Isabel Bogdan. Dieser vielversprechende Auftakt führt uns in die Welt einer Gruppe von Bankern, die auf dem etwas in die Jahre gekommenen Landsitz der McIntoshs in den schottischen Highlands für ein Offsite-Meeting zusammenkommen — und dann ist der Pfau tot; die Gruppe rätselt und ist dazu noch eingeschneit. Daraus ergeben sich Situationen, Missverständnisse und inhärente Sorgen, dass es nur so ein Fest ist.
„So beginnen gute Geschichten mit einem Buch und ‘ner Flasche Whisky“
Ein Fest war es auch dem Filmproduzenten, Autoren und Regisseur Lutz Heineking junior (KBV — Keine besonderen Vorkomnisse, Andere Eltern, Drinnen), der das Buch ironischerweise selber las (auch weil ihm das Cover gefiel, was mehr als nachvollziehbar ist), als er eingeschneit im Allgäu festsaß und sich mit schottischem Whisky dieser durchaus britischen Geschichte mit einem gewissen Agatha-Christie-Meets-Cluedo-Charme widmete. Wobei der Cluedo-Gedanke so recht erst später hinzukommt, also jetzt. Denn der Lutz Heineking jr. dachte sich nach Beendigung seiner wie wir vermuten heiter-angeheiterten Lektüre, dass er das Buch verfilmen wolle.
Noch am selben Abend machte er die Autorin Isabel Bogdan auf Facebook ausfindig, wie er im Presseheft-Interview angibt und so begann die Entwicklungsphase. Diese darf wohl nun als extrem abgeschlossen gelten, denn mittlerweile feierte Der Pfau erfolgreich seine Premiere im Cinedom Köln und startet am morgigen Donnerstag in unseren Kinos. Was ziemlich cool ist, denn so könnt ihr ihn alle anschauen. Was ihr dringend tun solltet, denn er dürfte so mit zu dem Witzigsten, Hintersinnigsten und Rundesten gehören, was es in diesem Jahr im Kino zu sehen gibt.
„Wald — im new context“
Das liegt gleich an mehreren Dingen: Dem dem Film zugrundeliegenden Roman, dem Drehbuch von Sönke Andresen (der schon ab und an mit Axel Ranisch zusammengearbeitet hat, so auch für das aktuelle Projekt Nackt über Berlin), Christoph Mathieu und Lutz Heineking jr. sowie dem Ensemble-Cast, zu dem unter anderem Lavinia Wilson (die so nach und nach zu einer unserer Lieblingsdarstellerinnen wird), Tom Schilling, Annette Frier, Serkan Kaya, Svenja Jung und David Kross gehören. Seine Gang sage über Lutz Heineking jr. immer, er könne zwei Sachen besonders gut: Casting und Wetter. Beides zahlt sich in Der Pfau aus.
Nach der Eröffnung aus dem Off von Annette Frier als „bester Köchin zwischen Nippes und Schottland“ Helen wechseln wir zur Investmentbankerin Linda (Wilson), die gemeinsam mit ihrem Hund, der zufällig den Allerweltsnamen Anshu trägt, durch die schottischen Highlands zum von ihr geplanten Team-Building unterwegs ist. Dort wird sie, samt ihres tollen deutschen Autos, von Lord und Lady McIntosh (Philip Jackson, Victoria Carling — die wunderbar zusammenpassen und glaubhaft ein mit alltäglichen Heimlichkeiten gewachsenes Paar geben) „aufs Hässlichste“ begrüßt.
Kurz nach ihr trifft das teil-zerstrittene Team ein: Anzugschnösel Andreas (Schilling), der „Typ mit dem unsichtbaren Arschlochaufkleber auf der Stirn“ Bernhard (Kaya), „Milchbubi“ David (Kross), der eigentlich mit seinem Mann auf E-Bikes im Hinterland von Ibiza Flitterwochen machen sollte, und „Papa“ Jim (Vogel), der das etwas rustikale Gästehaus vor allem „authentisch piktoresk“ findet. Nun heißt es warten auch den Coach. Der allerdings fällt aus, stattdessen kommt Rebecca (Jung), was vor allem bei Linda auf Skepsis und Ablehnung stößt. Immerhin will sie ihr Team auch auf ein drohendes Compliance-Verfahren einstellen und da braucht es keine fremden Stimmen — und vor allem Ohren — von außen („Sach mal, für wen hältst du dich Ricarda?“ — „Für Rebecca.“).
„Bernhard, du hast dein Stehziel erreicht“
In diese Gemengelage mischen sich erwähnter toter Pfau, eine neugierige Köchin, manch Tröpfchen Wunderwasser, kein Handynetz, ein herren- oder damenloses Gewehr, eine verschwundene Gans, unterdrückte Gefühle, Schnee und ein Stromausfall. Nur eine Frage der Zeit also, bis die Situation in „piktoresker“ Umgebung (die übrigens in Belgien und nicht in Schottland liegt; warum das so ist, lest ihr im Interview, das wir mit Lutz Heineking jr. geführt haben) eskaliert.
Der Pfau wurde von der Deutschen Film- und Medienbewertung bereits mit dem Prädikat besonders wertvoll geadelt. In der Begründung heißt es unter anderem, die Geschichte sei ein reizvolles Spiel mit menschlichen Eitel- und Befindlichkeiten, das mit besonderen Kniffen arbeite und in dem sich die Charaktere wie Spielfiguren in einer klassischen Krimikomödie verhielten. Dem ist absolut so. Besonders hervorzuheben ist auch, dass die Banker-Truppe am Ende des Tages zwar irgendwie alles Arschlöcher sind, aber nicht solche, in denen wir nicht doch immer mal einen Bissen Menschlichkeit finden können.
Zwar ist hier sehr viel Satire, viel garstig, viel Schlagabtausch, viel Misstrauen, wenig Gönnen-Können und mehr Triezen, doch wird uns Zuschauer*innen auch vermittelt, dass diese sehr speziellen Personen alle ihr Leben mit ihren Kämpfen haben (am ehesten Projektionsfläche bleibt Linda, die allerdings im famosesten Entsperren eines Smartphones der Film– und TV-Geschichte zeigt, wie sie tickt). So mischen sich in Der Pfau auf zumeist witzige Art Gesellschaftskritik und Erzählung von Menschen, die beinahe schon nicht mehr anders können, als fortwährend über die Schulter zu schauen und parallel neidisch auf die Nachbarn zu schielen.
„Ich bitte Sie: Wir sind Banker, keine Biber“
In wesentlichen Teilen lebt Der Pfau neben einer verspielt-zackigen Inszenierung und eindrücklichen Bildern (Kamera: Matthias Schellenberg, Philipp Pfeiffer) und einer wie Arsch auf Eimer zum Film passenden Musik von Karre Kvam von der Chemie der Darsteller*innen untereinander. So erzählte Heineking im Rahmen einer Pressevorführung und unseres Interviews, dass es ihm wichtig gewesen sei, nicht unbedingt Gesichter zu besetzen, die „Comedy“ schreien, sondern ein Ensemble zusammenzustellen, das die Zuschauer*innen primär aus anderen Filmkategorien kennen.
Eine Rechnung die wunderbar aufgeht. Wie miteinander interagiert, aufeinander reagiert sowie gern mal improvisiert wird, dürfte für Menschen, die Wortwitz, kleine Blicke und konstante Anspannung in jedem Wort schätzen, ein großes Fest sein. Das Faszinierende an dieser kammerspielartigen Party ist: Es muss gar nichts Großes passieren, um uns gefesselt zu halten. Es ist schlicht ein galantes und gehaltvolles Vergnügen, diesem talentierten Cast dabei zuzusehen, wie sie einander beäugen und anzweifeln. Und dann doch mal den Schutzpanzer fallen lassen. So gibt es zu „Bello e impossibile“ eines der schönsten verkappten Coming-outs und kaschierten Geständnisse von Zuneigung seit langem.
Damit hebt sich Der Pfau auch von vielen deutschen Komödien ab, die häufig nach dem selben Schema verlaufen oder gern eine Humor-Schiene fahren, die zumindest nicht unbedingt unsere ist. Manch eine*r nennt das unangestrengt, wir nennen es gern überkonstruiert und zeitgleich ambitionslos (es gibt natürlich Ausnahmen; außerdem sollte es nicht dazu führen, deutschen Komödien keine Chance mehr zu geben. Wie es etwa eine Kollegin im Publikum tat, die schon vor Filmbeginn verkündete, dass der Film nicht gut würde, weil deutsche Komödien nie gut seien. Mit der Einstellung kann’s dann allerdings auch nichts werden).
„Hallo, ihr süßen Zuckermäuse!“
Wir jedenfalls haben uns köstlich amüsiert. So wird auch manch abstruser Moment auf den Cringe-Gipfel getrieben und dann schlicht dort gelassen, weil es an anderer Stelle schon weiter geht. Dies allerdings jederzeit ohne die Situation in Bahnen zu lenken, die jedwede Möglichkeit des Echtseins beiseite ließen. Im Gegenteil: In der grandiosen Hot Tub-Szene, die David Kross vollkommen korrekt als schlicht „awkward“ beschreibt, hätten wir gar noch länger verharren und dabei zusehen können, wie sich alle irgendwie aus anderen Gründen animiert und doch peinlich berührt fühlen. Da wird sehr viel nahezu ohne Dialog vermittelt.
Das passt, schließlich spielt sich auch Isabel Bogdans Buchvorlage lediglich in den Köpfen der Figuren ab und es lässt sich sagen, dass Heineking jr. und seine Co-Autoren Andresen und Mathieu es außerordentlich gut verstehen, dies auf Dialoge und Handlungen zu übertragen. Die beteiligten Schauspieler*innen wiederum schaffen es, Witz und Motivation sowohl in Wort als auch Mimik und Gestik zu übertragen. Das wiederum überträgt sich auf uns und lässt diese Literaturverfilmung wahrlich nachklingen.
AS
PS: Der Pfau hat den nahezu ultimativen Test bestanden: Wir haben den Film binnen kurzer Zeit zwei Mal gesehen und uns beide Male köstlich amüsiert; beim zweiten Anschauen gar noch manch neue Nuance entdeckt.
PPS: „Was ist das?“ — „Tierleichen. Auf Brot.“, hach die diesjährige IBES-Staffel war wirklich toll.
Der Pfau ist am dem 16. März 2023 im Kino zu sehen.
Der Pfau; Deutschland, Belgien 2022; Regie: Lutz Heineking jr.; Buch: Sönke Andresen, Christoph Mathieu, Lutz Heineking Jr, basierend auf dem Roman Der Pfau von Isabel Bogdan; Bildgestaltung: Matthias Schellenberg, Philipp Pfeiffer; Musik: Karre Kvam; Darsteller*innen: Lavinia Wilson, Serkan Kaya, Tom Schilling, David Kross, Svenja Jung, Annette Frier, Jürgen Vogel, Philip Jackson, Victoria Carling, Domitila Barros, Linda Reitinger, Peter Trabner; Laufzeit: ca. 106 Minuten; FSK: 12; ab dem 16. März 2023 im Kino
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