Beitragsbild: Moderator Jo Schück auf dem 13-Fragen-Feld // Foto: © ZDF/David Biene
Morgen ist es wieder so weit: Berlin und die Welt, also jedenfalls ein Großteil der Film-, Kultur- und Feuilletonwelt, stehen bis einschließlich 26. Februar 2023 Kopf. Denn es ist wieder Berlinale — oder in Langform: Es finden wieder die Internationalen Filmfestspiele Berlin statt. Und dieses Mal wieder so richtig. Zwar gab es bereits im vergangenen Jahr nach der Corona-Hochzeit eine Publikums-Berlinale, diese jedoch reduziert, mit strengen Auflagen et cetera. Ein rechtes Festivalfeeling wollte sich so nur bedingt einstellen.
Der Journalist und Moderator Jo Schück sagt denn auch in unserem Gespräch, das wir anlässlich dieser 73. Berlinale, die seit 2019 von Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek und dem Künstlerischen Leiter Carlo Chatrian geleitet wird, führten, dass er sich darauf freue, dass wieder mehr Internationalität und Glamour kämen, durchaus verbunden mit politischen Anliegen. Überhaupt begrüßt er es, dass dieses Filmfestival eines sei, das Boulevard und Politik verknüpfe (im Grunde also wie the little queer review 😉). So gebe es reichlich Filme, „die als Werkzeug des Widerstands und Plattform des Aktivismus gesehen werden können.“
Rampensau mit Demut
Schück, der den meisten vor allem als eines der Gesichter des vom Böhmermann Jan gern durch den Kakao gezogenen ZDF-Kulturmagazins aspekte sowieso als Moderator der ZDFneo-Reihe 13 Fragen bekannt sein dürfte und der uns sagt, dass er durchaus Spaß daran habe, auch ein wenig Rampensau zu sein, wird morgen Abend gemeinsam mit Hadnet Tesfai die Eröffnungsgala der Berlinale moderieren. Wir fragen ihn gleich zu Beginn unseres Gesprächs, ob er aufgeregt sei, da ganz routiniert rangehe oder einfach voller Vorfreude darauf ist, ein volles Haus zu bespielen?
Jo Schück: Natürlich freu ich mich darauf, dass die Berlinale in diesem Jahr wieder voller Frau- und Mann-Stärke stattfinden kann, weil ich ganz persönlich Fan dieser Art Veranstaltungen bin. An oberster Stelle steht jetzt aber erstmal die Berlinale-Galaeröffnung. Obwohl ich diesen Job nicht erst seit gestern mache, ist das für mich schon so eine große Besonderheit. Da blicke ich mit großem Respekt, einer gewissen Demut, aber auch viel Vorfreude drauf.
Vor vollem Hause und mit internationalem Publikum gemeinsam mit Hadnet so einen Riesen-Wumms auf die Bühne zu bringen, das ist natürlich schon eine große Sache für mich. So sehr ich meinen Reporter-Job bei aspekte liebe und so gern ich auch Autor hinter der Kamera bin, muss man schon sagen: So eine Bühne bespielen zu dürfen, das setzt so ein Sahnehäubchen auf die Moderatorenrolle.
the little queer review: 2023 findet nach Corona-Pandemie, Einschränkungen und Lockdowns die erste Berlinale statt, die wieder auf vollen Touren und ohne Beschränkungen läuft. Vorfreude erwähntest Du, aber existiert auch der Gedanke — so schlimm war es in den Pandemie-Jahren auch nicht? Gegebenenfalls gar stressfreier.
Jo Schück: Na, aus meiner Sicht war es ja immer stressig. Auch bei den Berlinalen, die nicht mit vollem Hause liefen, sind wir und bin ich mit aspekte dennoch unterwegs gewesen. Da ändert sich vom Workload nicht so viel. Was sich in diesem Jahr im Gegensatz zum vergangenen ändert, ist, dass der internationale Filmtross wieder unterwegs ist. Dass da wieder mehr Internationalität und Glamour kommt, das tut dem Festival und allen richtig gut, glaube ich.
Von morgens um neun bis nachts um eins
the little queer review: Wie sieht denn so ein Berlinale-Tag als aspekte-Reporter aus?
Jo Schück: Puh. Also wir schauen uns natürlich vorher an, was findet statt, was kommt in unsere Sendung rein, was können wir überhaupt abbilden und welchen Filmschaffenden können wir überhaupt habhaft werden, das spielt natürlich auch eine Rolle. Dann ist es eigentlich zehn Tage lang stundenlang Filme schauen, Interviews führen; auch Gespräche führen, die nicht unbedingt sendungsrelevant sind, aber wichtig für Hintergrund und Recherche. Oftmals geh ich morgens um neun ins Kino und nachts gegen zwölf, eins, je nach Party– und Gesprächslage, wieder nach Hause und am nächsten Tag geht’s weiter. Man kommst so richtig in einen Festivalmodus rein.
Dabei muss ich irgendwie den Spagat schaffen, möglichst viele Filme zu schauen und eben doch Interviews und Sendung vorzubereiten. Da gerät man in so einen Lauf, beinahe als würde man mit Scheuklappen nur in diese Welt eintauchen. Was auch schön ist. Zwar wenig Schlaf, unglaublich viel zu tun, unzählige Leute, die man trifft — und am Ende des Tages müssen wir irgendwie noch eine 45-Minuten Sendung hinbasteln. Da steht aber auch ein großes, tolles Team hinter und so funktioniert das auch gut.
the little queer review: Was sagt denn der Blick ins Berlinale-Programm — gibt es da schon etwas, das Dich lockt, wo Du sagst, da ist Vorfreude da?
Jo Schück: In diesem Jahr wird sich natürlich aus der weltpolitischen Lage heraus einiges um die Ukraine und den Iran drehen — und ich bin ein großer Fan davon, dass es das gibt und beides geben darf. Also dass wir sowohl den großen Glamour sehen werden, wenn wir etwa auf Steven Spielbergs Film Die Fabelmans schauen, der nicht die Welt verändern wird, aber in der Filmwelt eine große Rolle spielt. Gleichzeitig aber auch Filme haben, die als Werkzeug des Widerstands und Plattform des Aktivismus gesehen werden können.
Sehr politisch und queer geht es in diesem Jahr übrigens in der von Michael Stütz geleiteten Panorama-Sektion der Berlinale zu. Unter den 35 Spiel- und Dokumentarfilmen finden sich 16 queere Produktionen und auch die Parität ist gewahrt: 19 Frauen und 21 Männer sind als Regisseur*innen dabei.
Dabei wird u. a. in dem Animationsfilm „La Sirène“ der in Frankreich lebenden Iranerin Sepideh Farsi und der Dokumentation „And, Towards Happy Alleys“ der indischen Regisseurin Sreemoyee Singh auf den Iran geblickt, in „The Burdened“ von Amr Gamal auf den Jemen und in „Iron Butterflies“ des ukrainischen Regisseurs Roman Liubyi auf den Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17.
Sisi und die Rache einer Drag Queen
Ebenso begegnen wir in „Femme“, dem Debütfilm von Sam H. Freeman und Ng Choon Ping, einer sich nach Rache sehnenden Drag Queen, schwuler Berliner Clubkultur in Hannes Hirschs „Drifter“ (im Verleih von Salzgeber) und in „Passages“ von Ira Sachs einem schwulen Paar (gespielt von Franz Rogowski — der mit „Disco Boy“ ebenfalls in einem Wettbewerbsfilm zu sehen ist — und Ben Whishaw). Die Beziehung gerät ins Wanken, als einer von beiden eine Affäre mit einer Frau (Adèle Exarchopoulos) beginnt.
In den Dokumentationen „Transfariana“ von Joris Lachaise und D. Smiths „Kokomo City“ werden trans*Frauen in den Mittelpunkt gestellt. Nicht zuletzt sei auf „Sisi & Ich“ von Frauke Finsterwalder hingewiesen, den sie gemeinsam mit Ehemann Christian Kracht geschrieben hat und der mit Sandra Hüller, Susanne Wolff und Georg Friedrich queer auf den Mythos Sisi schaut.
Außerdem wird Todd Fields neuer und schon mehrfach ausgezeichneter Film „TÁR“ mit Cate Blanchett als fiktionaler, streitbarer Chefdirigentin Lydia Tár in der Sektion Berlinale Special laufen. Vorgestellt haben wir ihn in unserem Beitrag Biss dass Bewegtbild nicht mehr will; eine Besprechung folgt zum regulären Kinostart am 2. März 2023.
Jo Schück: Das schätze ich wirklich sehr an der Berlinale — dass vom absolut abseitigsten bis zum großen Hollywood-Blockbuster alles präsentiert wird. So ist halt auch das Leben und deswegen mag ich die Berlinale als Festival ganz besonders. Weil sie sich eben nicht von der gesamtweltlichen Politiklage verabschiedet und trotzdem den Film als Medium feiern darf. Das finde ich toll.
In diesem Jahr sehen wir im Wettbewerb auch relativ viele deutsche Filme. Das finde ich auch gut, weil ich denke, der deutsche Film muss sich nicht verstecken. Eine Zeitlang musste er das vielleicht ein wenig, mittlerweile aber nicht mehr. Bei aspekte werden wir uns natürlich auch viel mit dem Wettbewerb beschäftigen.
Die institutionelle Anstalthaftigkeit der Filmförderung
the little queer review: Stichwort deutscher Film: Beim diesjährigen Filmfestival Max Ophüls Preis war neben den Filmen vor allem Thema, wie Film in Deutschland entsteht und dass sich da einiges ändern müsse. Speziell was den Prozess der Anbahnung, das Schreiben von Drehbüchern und vor allem die Filmförderung angeht. Einige junge Filmemacher*innen testen da auch neue Wege aus, drängen sich in den Fokus des Publikums. Denkst Du, dass das ein Thema ist, das mehr und mehr im Fokus sein und auch auf der Berlinale stattfinden wird?
Jo Schück: Ja! Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth ist ja auch an einer Reform der Filmförderung dran, aus gutem Grund. Es ist, wie ich glaube, für Produzenten in Deutschland wahnsinnig schwierig eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Sie müssen sich durch dieses seltsame Labyrinth aus Landesfördertöpfen, Senderförderung, teilweise ausländischer Förderung kämpfen… Es wäre wünschenswert, würden diese Bürokratie und diese institutionelle Anstalthaftigkeit, wie ich es mal bezeichnen möchte, eingegrenzt werden. Das ist natürlich eine enorme Kreativitätsbremse.
Da unterhält man sich auch mal mit Filmschaffenden und fragt: „Warum spielt Dein Film denn plötzlich in Frankfurt am Main? Berlin oder Paris wären doch viel besser gewesen.“ Ja, gab halt gerade nur eine hessische Filmförderung, also müssen die Protagonisten dann da auch rumrennen. Vielen Filmen tut das keinen Abbruch, bei manchen fragt man sich aber schon: Warum?
Das hat natürlich alles seine Gründe und es ist auch gut, dass Regionen abgebildet werden, die sonst vielleicht nicht so präsent sind. Aber es könnte einfacher sein, könnte unbürokratischer sein und es könnte ein System sein, das Kreativität freieren Lauf lässt.
Abwechslung oder Brainfuck?
the little queer review: Bei aspekte geht es nun nicht nur um Filme, sondern ihr begleitet auch die Buchmessen, wie überhaupt Literatur und Co. und eben Kultur so als großes Ganzes. Da hat man doch sicherlich einen guten Blick für die Beschaffenheit bzw. Verfasstheit der deutschen und auch europäischen Kulturwelt. Droht da manchmal so ein wenig die Gefahr eines Brainfucks oder doch eher Tunnelblick oder nehmt ihr euch da persönlich quasi raus, haltet doch irgendwie Abstand?
Jo Schück: Also zunächst einmal ist es für jegliche Form des Journalismus ganz wichtig, dass er sich nicht mit einer Sache gemein macht. Ich habe den Eindruck, da gab es in der Vergangenheit gerade im Kultur- wie auch im Sportbereich, Kolleg*innen, die sich dann als Teil der Szene gesehen haben. Das halte ich für einen großen Fehler. Weil ich denke, dass es uns allen guttut, wenn wir noch ein wenig Distanz wahren. Natürlich kann man sich nicht komplett loslösen, man ist halt innerhalb dieses Trubels unterwegs. Was auch gut und wichtig ist, so entstehen Kontakte, es entwickeln sich Netzwerke, die die Arbeit besser machen und für guten Journalismus essenziell sind.
Dennoch ist es immer wichtig sich bewusst zu machen: „Warte mal, nur weil Du Filmemacher interviewst, bist Du selber kein Filmemacher.“ Das gilt genauso für Schreibende und sonstige Kunstschaffende. Das ist unbedingt hilfreich und notwendig. Ich finde es auch schwierig, wenn manche Leute versuchen sich im Glanz einiger namhafter Menschen, mit denen man so zu tun hat, zu sonnen. Das ist nicht unsere Aufgabe und es macht unser Produkt nicht besser.
the little queer review: Volle Zustimmung. Zusätzlich taucht dann noch die Frage nach fehlender Objektivität auf.
Jo Schück: Genau. Gleichzeitig ist es natürlich wichtig, dass man eben weiß, wen man anrufen muss, wenn man mal einen O-Ton braucht, eine Reportage formt. Das ist auch das Tolle bei aspekte — wir haben so viele unterschiedliche Redakteurinnen und Redakteure da sitzen. Da gibt es die Filmexperten, die Popexperten, die Klassikexperten, die Kunstexperten, … Das ist total wichtig.
Spagat delikat: Aktuell — aber mit Vorlauf
the little queer review: Wo Du von tollen Redaktionen sprichst, mal ein Schwenk zum Format 13 Fragen, das ich sehr schätze. Auch weil da mal Themen der Stunde oder auch Aufregerthemen auf eine Art durchgenommen werden, die zwar durch die Teilnehmer*innen subjektiv geprägt aber eben auch bodenständig und faktenbasiert ist. Wie kommt ihr da zur Themenauswahl; bist Du daran beteiligt? Ist das ein Blick ins politische Feuilleton oder in die Twitter-Blase oder…?
Jo Schück: Ja, ich stecke da mit drin, genauso wie Salwa Houmsi auch, wir sind also Teil der Redaktion. Es werden gemeinsam verschiedene Themen ventiliert — was steht gerade so an, was finden wir auch selber spannend. Manches Mal haben wir auch Themen, die noch so gar nicht in der Öffentlichkeit stattfinden, die wir aber für diskussionswürdig halten. Gerade haben wir eine Folge zum Thema Aktienrente gemacht. Das ist zwar latent irgendwie aktuell und da, ist aber kein Riesenthema. Aus journalistischen Gründen halten wir es jedoch für wichtig darüber zu reden.
Bei 13 Fragen haben wir so ein wenig das Problem, den Spagat schaffen zu müssen, auf der einen Seite Themen zu besprechen die einigermaßen aktuell sind, auf der anderen Seite aber auch einen relativ großen Produktionsvorlauf haben. Wir veröffentlichen alle zwei bis drei Wochen, das heißt, wir müssen auch manchmal produzieren in der Erwartung, was dann womöglich Talk of the Town ist. Das klappt mal mehr, mal weniger gut.
Beispielsweise hätte ich wahnsinnig gern die Panzerlieferungen an die Ukraine bei 13 Fragen auf dem Feld gehabt. Aber wir können nicht binnen drei Tagen ein Panel zusammenstellen, aufwendige Postproduktion gewährleisten und das dann auf den Schirm bringen. Das würde ich mir natürlich wünschen und ich habe auch die Hoffnung, dass die eine oder der eine Senderverantwortliche die Geldschatulle einmal so aufmacht, dass wir das können, im Moment ist das aber nicht machbar.
Themen, die bleiben
the little queer review: Ihr könnt ja nun über Kampfflugzeuge reden, das bleibt noch ein wenig erhalten…
Jo Schück: [lacht] …ja, das stimmt. Ich meine wir hatten die Ukrainediskussion und die werden wir in diesem Jahr sicherlich nochmals führen. Da muss man jetzt nicht speziell über Leopard 2 A6 reden, sondern zum Beispiel über Waffenlieferungen allgemein.
the little queer review: Kann ja auch spannend sein, zu schauen: Wir haben dann und dann darüber gesprochen und was ist so passiert, wo stehen wir jetzt?
Jo Schück: Das ist es und natürlich ein Vorteil, dass es die 13 Fragen nun seit drei Jahren gibt und wir so auch Veränderungen darstellen können.
the little queer review: Wir bleiben gespannt, welche Veränderungen uns erwarten. Vielen Dank für das Gespräch!
Jo Schück: Ebenso und alles Gute!
Teddys sind nicht nur zum Knuddeln da
Wir sind also gespannt, auf welche Filme und Momente uns aspekte in diesen zehn Berlinale-Tagen hinweisen wird, worüber in 13 Fragen in der kommenden Zeit debattiert werden wird und welche Perlen wir entdecken.
An dieser Stelle sei natürlich noch auf den Queeren Filmpreis der Berlinale hingewiesen. 2023 wird der TEDDY Award zum mittlerweile 37. Mal vergeben. Ausgewählt werden die Preisträger*innen in den Kategorien Bester Spielfilm, Bester Dokumentar-/Essayfilm, Bester Kurzfilm und TEDDY Jury Award von einer sechsköpfigen Jury renommierter Film- und Festivalmacher*innen (Alfonso F. Escandón, Darunee Terdtoontaveedej, Melanie Iredal, Sasha Prokopenko, Tom Oyer und Xena Scullard). Alle Infos zum Programm von Filmen zu TEDDY Talks und der Verleihung am 24. Februar 2023 in der Volksbühne Berlin findet ihr hier.
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