Arrivederci, au revoir and goodbye ARISE Grand Show

Der Untergang des Lichts! Das Ende ist nah! Und doch: nach dem Verlöschen des Lichtes wird die Liebe geboren.

Was sich an dieser Stelle wie Plattitüden oder Fangphrasen versprengter Endzeitsekten lesen könnte, ist dann doch nur eine einfache Ablaufbeschreibung.

Nur noch bis 5. Juli dieses Jahres kann mensch die aktuelle ARISE Grand Show im Friedrichstadt-Palast Berlin besuchen, dann kommt eine Sommerpause und ab dem 21. September wird Falling | In Love auf dieser Bühne zu sehen sein.

Hausansicht zur aktuellen ARISE Grand Show // Foto: © Bernd Brundert

Abgesehen von der großartigen Architektur mit Beton und buntem Glas sowie dem wunderbaren Ambiente, macht dieser Palast aber auch mit klaren Statements gegen Homophobie und für Toleranz und Diversity von sich reden. Apropos reden, bei einem Gespräch mit unserer Freundin Heike kamen wir jetzt auf den Palast. Heike, waschechtes Ostkind der 60er-Jahre musste die Frage, ob sie denn schon einmal drin war, im Palast, mit „Neeeee!“ beantworten. Das konnten wir als wirkliche Fans des Friedrichstadt-Palastes doch so nicht stehen lassen.

Was liegt also näher, diesen besonderen Moment der ausgehenden Show zu nutzen und der ARISE Grand Show eine letzte Aufwartung zu machen? Gedacht, gesagt, getan. Und so rollen wir in den bequemen Sitzen der Bahn unserem Abenteuer Arise entgegen. Wie wird der Palast auf unsere Freundin wirken? Was wird sie zu dieser Wahnsinnsshow sagen? Wir sind gespannt.

Schon auf dem Weg zum Einlass sprechen die großen Augen unserer Heike Bände. „Was ein Palast!“ meint sie, aber er heißt ja eben auch „Friedrichstadt-Palast“. Als wir das Foyer betreten und ihr Blick über die Fenster, die Einrichtung und die Lüster gleitet, kommt ein leises „Whow“ über ihre Lippen. Na bitte. Ein Palast eben.

Das beeindruckende Foyer im Friedrichstadt-Palast Berlin // Foto: © Bernd Brundert

Wir nehmen unsere Plätze im Zuschauerrund vor der größten Theaterbühne der Welt ein. Zahllose Scheinwerfer und Lichter tauchen das Theater noch vor Showbeginn in unterschiedlichste Lichtstimmungen.

Kaum, dass die Musik einsetzt, beginnt eine farbenfrohe Reise, die ihresgleichen sucht. Grobe Rahmenhandlung: Fotograf Cameron hat seine Muse verloren und verfällt seitdem in trübe Stimmung und schafft keine guten Fotos mehr. Er bittet die Zeit, seine Muse nur noch einmal sehen zu dürfen. Die Zeit gewährt ihm diesen Wunsch unter der Bedingung, dass er von da an das Leben genießt und jeden Moment auslebt.

Über 100 Tänzer*innen, Schauspieler*innen, Sänger*innen und Akrobat*innen geben sich auf dieser Bühne im Laufe der Vorstellung die sprichwörtliche Klinke in die Hand. Als im ersten Teil hinter dem Orchester tatsächlich die Sonne aufgeht, wird einmal mehr deutlich, warum dieser Palast häufiger mit Superlativen beschrieben wird. Und doch bleibt ein kleiner Wermutstropfen: Zum Sonnenaufgang sollten wohl richtig fetzige Rhythmen über das Publikum fegen, bleiben jedoch mangels Stimmgewalt eher am Bühnenrand hängen. Insgesamt reichen die Stimmen des Abends nicht ganz an die Grandezza und das Volumen der Inszenierung und des restlichen Ensembles heran.

The Love of Light is Divine // Foto: © Nady El-Tounsy

Von Sonnenaufgang über dunkle Schatten bis zum Sonnenuntergang trägt sich die Inszenierung mit großen Choreografien und buntesten Kostümen. Sie rahmt zwei extrem hochkarätige Artistiknummern ein, eine mit Schwingschaukeln auf dem Boden im ersten Teil und eine Trapeznummer in der Dachkonstruktion. In beiden Darbietungen beeindrucken gewagte Salti, Schrauben und Positionswechsel mehr als einmal.

Im ersten Akt findet aber auch ein Klassiker des Palastes seinen gebührenden Platz – die Girlsreihe. 26 wunderschöne Damen lassen die Beine fliegen und beweisen, dass Kettenreaktionen und absolute Gleichheit auf dem Parkett keine Hexerei sind. Kenner*innen der letzten Jahre mögen Effekte wie die Zeitlupe aus the one oder auch den Lichtereffekt aus Vivid vermissen oder die Inszenierung dieser Show als „back to basics“ bezeichnen. Ungeachtet der Bezeichnung gilt hier: Sieht es so einfach aus, ist es die hohe Kunst.

Den zweiten Akt (siehe Beitragsbild) eröffnet eine berührende Choreografie von Ohad Naharin, die ganz dem Dunkel und den Schatten in dieser Welt voll Druck und Konformität geschuldet scheint. Die Fachwelt nennt das Werk „Echad Mi Yodea“ ikonisch. In der ARISE Grand Show des Friedrichstadt-Palastes wird sie erstmals in einer Unterhaltungsshow präsentiert. Wem auch nur ein Hauch Empathie innewohnt, der bleibt danach still und leise zurück. Aber die geneigte Leserschaft kann unbesorgt sein, das Monochrome wird besiegt und die Farben und Freude kehren zurück. Ach… das berühmte Wasserbecken kommt übrigens auch wieder zum Einsatz.

Full of Dreams aus dem zweiten Akt // Foto: © Ralph Larmann

Nach knapp 2 1/2 Stunden Magie wird zum großen Finale noch einmal alles inklusive Sonne aufgeboten. Fulminante Bilder verwöhnen das Auge, bevor es in den Sommerabend geht.

Unserem Palastneuling Heike haben sich leider nicht alle Zusammenhänge des Abends erschlossen und auch wir als Fans hatten teilweise Anschlussschwierigkeiten. Auch wenn es eine dem Namen entsprechende, große Show war, fehlte doch der kleine letzte Funke, der den Saal zum Kochen bringt.

Aber davon abgesehen, wenn Ihr auf die Frage „Wart Ihr schon im Friedrichstadt-Palast?“ mit „Nein“ antworten müsst, gönnt es Euch— und zwar jetzt. Denn nach dem 5. Juli 2023 ist die ARISE Grand Show Geschichte und sie ist wirklich sehenswert.

Unser Autor Frank Hebenstreit und sein Ehemann sagen: „Arrivederci, au revoir and goodbye ARISE Grand Show“ // Foto: © Frank Hebenstreit

Die Zukunft des Friedrichstadt-Palastes ist auch gesichert. Ab September wird eine neue Grand Show kommen. Und es wirkt schon als wirklich gutes Zeichen, dass Jean-Paul Gaultier wieder bei den Kostümen an Bord ist. Hatte er doch mit seinen erstaunlichen und höchst fantasievollen Kostümen schon zu dem Megaerfolg von The One in großem Maße beigetragen. Da können wir sicherlich einiges erwarten. Und dann heißt die Neue auch noch Falling | In Love Grand Show. Gibt es bessere Vorzeichen? Ich denke nicht.

Nun denn, vielleicht sieht mensch sich ab September in der neuen Grand Show des Friedrichstadtpalastes. Ich gehe auf jeden Fall hin. Und Ihr?

Ja cool.

Na dann… bis dann

Frank Hebenstreit

ARISE Grand Show ist noch bis zum 5. Juli 2023 im Friedrichstadt-Palast Berlin zu sehen. Infos und Tickets findet ihr hier

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitszeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun – oder ihr schaut in unseren Shop. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert