Die ansteckende Ellbogen-Energie

Ein Autor, Schriftsteller großer Werke in spe, die nur noch zu enthüllende Entdeckung am schreiberischen Firmament, so einer ist der Erck Dessauer. Ein verunsicherter, an sich selbst leidender und neidischer ebenso. Womit viele Voraussetzungen für die gute Vermarktung eines großen Werks durchaus schon mal gegeben wären. Endlich hat er gar einen Vertrag für sein erstes Werk, ein Buch über Naftali Aronowitsch Frenkel, jenen Sowjet-Funktionär jüdischer Herkunft, der maßgeblich für die Entwicklung der Lagerstrukturen im Solowezki-Gulag verantwortlich war. Ein Werk, das aufzeigen wird, wie einer von ihnen letztlich für die Effizienz der KZ-Vernichtungsmaschinerie im Sinne des so genannten Weltbürgerkriegs haftbar gemacht werden kann.

Allerdings, ohoh, das ist die Gefahr, könnte ebenso einer von ihnen, der Autor Hans Ulrich Barsilay, womöglich dafür sorgen, dass der Vertrag mit der renommierten Verlegerin in ihrer Sacrower Ex-Martin-Bormann-Villa womöglich doch noch platzt, schließlich plane er doch wohl auch seit geraumer Zeit ein Finkel-Buch. Ausgerechnet Barsilay! Bekannt dafür, sich nicht festzulegen, immer im Ungefähren hart zu sein, berühmt für diese Barsilay-Drehs. Nein! So also steht Dessauer eines Nachts in einem Restaurant in der Berliner Torstraße (Berlin Midde halt) vor Barsilay, an dessen Tisch noch drei andere selbstvereinnahmte Genoss:innen sitzen, teils mit Dessauer bekannt, und macht „Nazigymnastik“, während er diesen Barsilay als „kleines Arschloch“ bezeichnet.

Flüssig nicht flüchtig

Das also ist die Prämisse von Maxim Billers im Sommer 2021 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienenem Roman Der falsche Gruß. Oder vielmehr bildet die „unheilvolle Begrüßungsgeste“ den Ausschlag für alles, was auf den kommenden etwa 120 Seiten folgen möge. Einiges davon – siehe oben. Anderes davon, oh boy. Biller macht in seinem knappen Romänchen nicht nur mehrere Zeitebenen – beispielsweise in die DDR-Jugend des jungen Erck Dessauer, der Leipziger ist, seine ersten Jahre in Berlin, inklusive einer Begegnung mit dem auch, aber nicht nur, neid-verhassten Barsilay, in die Zukunft nach dem Vorfall – auf, sondern reißt auch thematisch vieles an.

Dabei liest sich Der falsche Gruß unglaublich flüssig, was aber nicht zu einem flüchtigen Lesen verführen sollte. Denn zwischen oder hinter den an Adjektiven nicht armen Anwürfen Dessauers, der als Erzähler auftritt, und vielen Sätzen, die primär auf ihre knallende Ein-Satz-Wirkung angelegt sind (Hallo, Succession, du sexy Biest!), stecken viele feinaustarierte Beobachtungen, nicht ganz uneitle, aber ebensowenig unkritische Rückblicke und spannende kleine Lektionen in Geschichte und ihrer sehr unterschiedlichen Auslegung.

Nicht alles liegt im Offenen

Dabei kann Billers Buch in erster Linie als Persiflage auf die (Berliner) Literatur- und Kulturszene oder als Farce in derselben betrachtet werden. Das scheint mir aber nur die augenscheinlichste Lesart zu sein. Natürlich steht die von Ego, Geltungsdrang und Momentum getriebene Auseinandersetzung zwischen dem verletzlichen Erck Dessauer und dem scheinbar über allem schwebenden Hans Ulrich (der eigentlich gar nicht so heißen sollte) Barsilay im Vordergrund. Doch dient sie eher als Canvas für all die vielen kleinen, sich entspinnenden Konflikte, die „die Welt“ so beschäftigen.

Einige davon echter, andere weniger, oder nur „pseudointellektueller Mist“. Jenes Um-Sich-Selbst-Kreisen – viele kennen es, nicht nur aus Berlin, Hamburg und München, nicht nur aus der Welt der Schreibenden. Es ist ein Ding, es ist aber oft auch Performance, Leben, das Kunst imitiert und so weiter (wobei an dieser Stelle auf den Habitus mancher ohnehin zu Höherem Berufener versus jener, die es irgendwie schaffen müssen, eingegangen werden könnte, von Geschlechterungerechtigkeit mal ganz abgesehen, das holen wir aber an anderer Stelle nach). 

Doppelbödige Debatten

Vielmehr öffnet Biller auch noch eine Tür zu sich verändernden Feuilleton-Debatten, zu Dingen, die vom Politischen ins Gesellschaftliche ins Private wieder ins Öffentliche und auf den Boulevard gehen. Nicht selten ist alles ohnehin eines und verschwimmt (Hallo, Novak Đoković!). Im falschen Gruß ist es unter anderem der Historikerstreit und vor allem der ihn auslösende Ernst Nolte, der diverse Stufen eines Wandels aufzeigen darf. Ein, nicht nur der Zeit, in der er geführt, sondern auch der dort geäußerten und bis heute rezipierten Betrachtungen wegen, sehr westdeutscher Streit.

Gerade dieser Streit und die folgende „Behandlung“ Noltes aber sind es, die den ostdeutschen Dessauer dazu veranlassen, Geschichte nach seinem Dafürhalten richtig, also nicht im Sinne von ihnen, schreiben zu wollen. Damit wird im Hintergrund eine weitere Debatte eröffnet, die, wenn schon nicht ohnehin doppelbödig genug, noch durch eine erfundene Beschreibung eines „bewusstseinserweiternden“ Erlebnisses Barsilays in Auschwitz II in seinem einzigen wirklich kommerziell erfolgreichen Buch „Meine Leute“, um eine weitere Ebene ergänzt wird.

Ihr seid alle Arschlöcher

Dabei hält Maxim Biller die Fäden gekonnt in der Hand, schafft es zumeist durch eine interessante, schwer zu definierende Form der krass humorvollen Wiedergabe von Dessauers Gedanken dessen innere Konflikte mit sich und der Welt sprachlich zu verknappen, ohne zu verkürzen. Um zu meinen, dass sowohl Barsilay als auch der Ich-Erzähler Arschlöcher sind, muss nicht lange gewesen werden. Bei Dessauer erleben wir die Relativierung alles Fadenscheinigen, Selbstgerechten und Unerträglichen aus erster Hand; bei Barsilay, diesem „sadistischen Charmeur“, bekommen wir sie aus zweiter geschildert; trügt der Eindruck? Vermutlich nicht. 

Und am Ende? Da steht der Durst, in mehrerlei Hinsicht. Der Durst nach Ruhm, Anerkennung. Durst nach Mehr. Durst nach weniger Paranoia. Durst nach „Das-mal-noch-sagen-können-dürfen“. Durst nach Wasser. Und beim Rezensenten der Durst zu wissen, welche Schlaglichter und Feinheiten wohl überlesen sein worden mögen und der, Der falsche Gruß bei nächster Gelegenheit nochmals zu Hand zu nehmen.

AS

PS: Stalin als „obersten CEO der UdSSR“ zu bezeichnen ist schon klasse.

PPS: „Dann ist die Toskana sofort überall, sogar hier in Schöneberg, in Scheiß-Preußen“ lässt Biller den blendenden Künstler Zanussi sagen. Uhm, hey Thomas Mann

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Maxim Biller: Der falsche Gruß; August 2021; Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; 128 Seiten; ISBN: 978-3-462-00082-5; Kiepenheuer & Witsch; 20,00 €, auch als eBook erhältlich

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