Pappa-Probleme

Der Originaltitel Daddy-Issues legt gerade in der queeren Communitys schon eher ein gaaaanz bestimmtes Bild von Mann, Sex und Klischee zugrunde. Genau, der rassige, etwas üppigere Kerl, der sich mit ganzer Hingabe um ein oder mehrere Andere kümmert und genau weiß, wie er mit Hand, Mund und Zu…. Davon sollte mensch sich hier aber mal ganz schnell verabschieden. Auch aus dem Klappentext ist zügig und recht deutlich zu erkennen, dass es sich hier eben nicht um fulminante Einhandliteratur handelt. So bleibt denn auch so manche Enttäuschung wegen des Titels wenigstens aus. Zumindest wenn der potentielle Leser diesen Klappentext auch liest.

Ein kroatischer Autor schreibt über einen kroatischen jungen Schwulen, der in die kroatische Gesellschaft zurückgekehrt ist, dort seinen Platz sucht und sich mit seinem Vater auseinandersetzt? Klingt doch spannend, wenns auch vermutlich eben nicht soooo daddyish sein wird, wie der Titel anklingen lässt.

Depressiver Alkohol

So begleitet die geneigte Leserschaft den jungen schwulen Protagonisten in seinem recht trostlosen Alltag. Er hat sie alle gehen sehen, die jungen vielversprechenden Männer und Frauen. In die USA und auch in die angesagten europäischen Hot Spots. Davon angeregt war er selbst in Berlin. Dort hat er es aber nicht geschafft und ist nun wieder zu Hause. In seiner Sprache, seiner Gesellschaft, seiner Heimat. Er arbeitet in einem Hotel und wohnt möbliert zur Miete in einer Miniwohnung.

Knappe 50 Minuten Zugfahrt liegen zwischen Zagreb und der Kleinstadt, in der er aufgewachsen ist. Natürlich könnte er immer noch zu Hause wohnen, in der hellen, fast sterilen Wohnung, in der er aufwuchs. Aber dort gibt es nur noch den Vater, die Mutter ist seit langem tot. Alkohol in Verbindung mit einer Depression und einem Autoschlüssel ist halt nie eine gute Idee. 

Aber so müssen Vater und Sohn ihr Leben nun schon lange allein miteinander ausmachen, nur eine Brücke, die Kluft zu überwinden, die ist nicht in Sicht.

Selbstbestimmte Samenspende

Und dies hat sich bis zu dem Zeitraum, zu dem die Erzählung beginnt, auch nicht geändert, nur eine lebensbedrohende Erkrankung des Vaters führt dazu, dass beide an den Klippen des Abgrunds wesentlich schneller lang laufen müssen, um vielleicht doch noch eine Brücke zu finden und eine gemeinsame Kommunikation.

In einzelnen Abschnitten sowohl in Zagreb, in der Kleinstadt, bei Freunden (hier taucht dann doch auch mal ein Daddy auf, aber wirklich nur am Rande), bei der Arbeit und bei der Selbstfindung lesen wir dem Protagonisten hinterher. Wir begleiten ihn in das Hotel, erleben die Tristesse seines Alltages und seiner möblierten Wohnung und fahren mit ihm im Zug nach Hause in die Kleinstadt. Den Weg zur Findung seiner neuen Selbstbestimmung als Coach (kann ja mit den richtigen Materialien wohl jeder und verdient damit ein Vielfaches dessen, was man als einfacher Hotelangestellter hat) verfolgen wir ebenso, wie den Gedanken der Samenspende (Vater werden?). Dass der Vater sich als Todkranker noch in eine Krankenschwester mit Kind verliebt, mit dieser zusammenkommt und dieses Kind dann auch noch liebevoll umsorgt, bringt dann letztlich das bis dahin empfindliche Gleichgewicht ins Wanken.

Unzusammenhängend ist vielleicht noch die netteste Beschreibung, die man diesem Buch zukommen lassen kann. Wobei es nicht an einem roten Faden mangelt, sondern eher an einer stringenten Erzählweise. Kapitel fließen gefühlt teils ineinander oder setzen einfach irgendwo im Nirgendwo auf. Eher holprige Umschreibungen zur Vermeidung der Namensnennung des Protagonisten tun da ihr Übriges. So kommt es, dass mensch wirklich nachdenkt, ob mensch das Buch nun wieder zur Hand nimmt und weiterliest oder doch lieber ein paar unbeschwerte Minuten in Reels aufgehen lässt.

Gut gemeinte Kriege

Da liegt denn auch die Krux dieses durchaus gut gemeinten Buches. Mein Lieblingsspruch: „Aus gut gemeint sind schon Kriege entstanden!“ Und ja, die Intention mag es sein, auf die Generation Aussichtslos in Kroatien aufmerksam zu machen. Leider verfehlt das Buch dieses Ziel aufgrund seiner unverbindlichen Ausgestaltung und bleibt daher tragisch belanglos in einem Meer aus guten Ambitionen. Eine dieser Ambitionen soll wohl auch sein, einer vermeintlich liberalen Oberschicht Kroatiens mit diesem Buch einen Spiegel vorhalten zu wollen. Nun, so einen Spiegel sollte man dann auch halten und nicht nur beschreiben, dazu hätte es eine eindrücklichere Intensität gebraucht.

Wie gern würde ich an dieser Stelle zusammenfassend finden, dass sich Daddy Issues von Dino Pešut wirklich mehr lohnt, als eine ganze in Reels verdaddelte Zeit, aber in ihrer Belanglosigkeit tun sie sich leider nichts. Da rührt das ein oder andere Reel doch noch an oder ein hübsches Katzenvideo zaubert einem ein Lächeln aufs Gesicht. Das ist übrigens etwas, was dieses Buch leider auch nicht geschafft hat. Es ist deutlich zu merken, wie sehr der Protagonist und sein Wohl uns ans Herz gelegt werden sollen. Als dann aber endlich sein Name fällt, ist es zu spät. Wir sind bis zur letzten Seite leider Fremde geblieben. Mehr als ein unverfänglicher Gruß, den wir unseren flüchtig bekannten Nachbar*innen aus dem Hochhaus im Vorbeieilen zurufen, ist leider nicht drin.

Schade.

Frank Hebenstreit

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Dino Pešut: Daddy Issues; Juli 2022; Aus dem Kroatischen übersetzt von Alida Bremer; 200 Seiten; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-903365-05-6; Buchverlag TEXT/RAHMEN; 16,00 €

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