„Lernen Sie die Schönheit zu beschmutzen, mein Freund“

„Es geht um eine erste Liebe und eine letzte Liebe. Um einen Eintritt ins Leben und einen Abschied vom Leben“, so Regisseur und Autor Christophe Honoré in einem Interview über seinen – spätestens nach diesem Zitat – mit keinen Genrebezeichnungen zu versehendem Film Sorry Angel. Ein Film, der für jene, die manche Honorés vorheriger Filme kennen mögen, trotz aller Veränderung eine Stringenz in dessen Werk, um nicht zu sagen filmischer Biografie, aufzuweisen vermag, und für jene, die ihm das erste Mal begegnen, erstmalig eine besondere Nähe zu Geschehen und Figuren aufzuzeigen weiß.

„Ich bin zu jung, um mich zu erinnern, was ich bin“

Wir sind im Jahr 1993 in Paris, wie uns eine Einblendung nach recht Honoré-typischem Opening zeigt. In diesem konnten wir allerdings schon einen Blick auf Jacques (Pierre Deladonchamps), Autor, Mitte 30 und in Paris lebend, und Arthur (Vincent Lacoste), angehender Filmemacher, Anfang 20 und in der Bretagne befindlich, werfen. Wir wissen: Die zwei Männer werden sich begegnen, sie werden Spuren im Leben des jeweils anderen hinterlassen und einander niemals ganz verlassen (was auch am Massive Attack Song „One Love“ liegen mag).

In der Bretagne lernen sie einander kennen, zufällig in einem an ein Theater, in welchem Jacques am Abend lesen soll, angeschlossenen Kino, es läuft Jane Campions Das Piano. Nach kurzem Blickwechsel entspinnt sich ein Gespräch, Arthur erwähnt er lese gern, Jacques glaubt, der junge Mann sei ein Fan. Ein Missverständnis, das Christophe Honoré mit vielen kleinen Feinsinnigkeiten auszuspielen weiß, bevor er es schließlich auflöst.

„Mich interessieren die Regungen deines schwachen Herzens“

Es gibt nicht wenige Momente in Sorry Angel, die darauf setzen, dass wir uns als Zuschauer*innen nicht nur auf exaltiertes Geschehen einlassen, sondern auch die Zwischentöne und das Zwinkern, die Pausen und Wahrnehmungswechsel erfassen. Eine Aufgabe, wie es scheint. Dabei ist es eigentlich ganz leicht, zieht uns Honorés bisher möglicherweise persönlichster Film doch prompt in seinen Bann.

Und wer bist Du? Jacques (Pierre Deladonchamps) und Arthur (Vincent Lacoste) // © Salzgeber

So wie der an erkrankte, nicht selten brüske und selbstbezogene Jacques den jungen, selten um Worte verlegenen und doch aufsehenden Arthur prompt in seinen Bann zieht. Wobei Bann hier zweimal ein kaum passendes Wort ist. Faszination, womöglich. Anziehung, sowieso. Interesse, in jedem Fall. Neugier – aber ohne die wäre Faszination ohnehin kaum möglich. 

„Sei doch stolz…“

Regisseur Christophe Honoré // Foto: © Raphael Neal

Eine Faszination, die aus Sicht von uns auf diesen Film Schauenden auch deswegen so frappant ist, weil der 1970 geborene Christophe Honoré die 90er-Jahre nicht einfach kopiert oder nachbaut, sondern sie durch Details schwulen Seins lebendig werden und, ja, sprechen lässt. Bilder und Bücher Hervé Guiberts1991 aus dem Leben gegangen -, Andy Warhols Plakat zu Fassbinders Querelle und nicht zuletzt eine steinerne Erinnerung an Bernard-Marie Koltès – all dies wirkt sich auf unser Empfinden beim Schauen aus.

Etwas, das, wie der Anfang der Neunziger noch in den kleinen Kinderschuhen steckende Autor dieser Zeilen behaupten möchte, für alle am Thema, queerer Historie und Büchern im Allgemeinen interessierten Personen gelten dürfte. Entdecken wir Guibert, Isherwood, Rimbaud (jaja, nicht die 90er und nicht mal das gleiche Jahrhundert und findet doch Platz im Film) und Co. nicht zuletzt wieder oder neu? Selbst falls nicht, schafft Sorry Angel Lust, sich einmal anzusehen, wessen Gesichter und Namen hier auftauchen.

„…und glücklich…“

Doch ist der Film keine historische Aufarbeitung der Zeit oder der Verfehlungen Frankreichs in Bezug auf Aids; er ist keine Erzählung des Widerstands, ist nicht 120 BPM, der ein gutes Jahr früher in die Kinos kam. Er arbeitet mit der Zeit, arbeitet mit einem Empfinden von Autor und Regisseur, der in Arthur eine Art Alter Ego erschaffen hat, das erlebt und kennenlernt, wen Honoré selber nie treffen und fühlen durfte: Einen eben dieser Schriftsteller respektive Kreativen einer Zeit, die dann plötzlich vergangen und verschwiegen schien und doch nie verarbeitet wurde.

Tanz der Liebe // © Salzgeber

„Noch heute habe ich das Gefühl, dass es in meinem Leben eine Leerstelle gibt. Ich möchte sie mit diesem Film nicht füllen, denn die Mühe wäre vergeblich, vielmehr möchte ich sie anhand einer Fiktion wachrufen und es mir gleichzeitig ermöglichen, eine nie gewesene Begegnung stattfinden zu lassen.“

Christophe Honoré zu Sorry Angel

Geschickt erzählt er das Kennenlernen, Annähern und Sich-Übereinander-Und-Selbst-Wundern der beiden Männer, die, wie er im Interview sagt, „mehr oder weniger dieselbe Person an zwei verschiedenen Zeitpunkten im Leben“ seien. Einer mag die Zukunft sehen, der Andere das Vergangene. Und womöglich den Mangel an Zukunft – aber kann das nicht gar für beide gelten? Die frühen 1990er-Jahre waren für homosexuelle Menschen eine unsichere und unstete Zeit.

„…wenn dein Körper jubelt“

So fangen beide einander auf auf einem Weg ins Ungewisse. Denn auch wenn der Tod gewiss scheint, so ist der kommende Moment es doch nie. Der Tod hingegen ist es für uns alle. Wie wusste es schon [George] Bernard Shaw zu sagen: „Nur sehr wenige derer, die sich das Essen angewöhnt haben, überleben.“ Selbiges kann übers Ficken gesagt werden.

Arthur sucht nach Anbindung // © Salzgeber

Was Arthur auf eine spezielle Art auch tut, als er ein wenig betrunken philosophiert und dabei so viel Richtiges über die schwule Welt, schwule Scham und schwule Rechtfertigung sagt, das schlicht als zeitlos aufgenommen werden darf. Übrigens auch ein Moment, der ganz dem ausgezeichneten Vincent Lacoste gehört, der seine Rolle wunderbar ausfüllt und uns beim Schauen beinahe Tränen der Begeisterung in die Augen treibt.

„Ich möchte nicht als Träumer sterben“

Tränen fließen in Sorry Angel übrigens seltenst; Melodramatik gibt es nur, wenn entweder Arthur, Jacques oder dessen bester Freund Mathieu (ein Fest: Denis Podalydès) sich gegenüber einander inszenieren wollen. Eher begegnen wir lakonischem Drama und einem aufmüpfig-stillen Witz, der an die besten Momente von Honorés Chanson der Liebe erinnert, auch dort ging es um schwierige Menschen in nicht leichten Konstellationen und den Tod.

Jacques (Pierre Deladonchamps), Arthur (Vincent Lacoste) und Mathieu (Denis Podalydès) // © Salzgeber

Ebenso begegnen wir dem Leben, dem Sex, der für die meisten zum Leben dazugehört, der Freiheit und dem Willen nach dem Selbst, Sensibilität und einer nach Eigenständigkeit im Verbundensein dringenden Kraft. Sorry Angel ist, trotz manch eines zu ausführlichen Nebenschauplatzes, famoses Kino, das Denkmalgedanken und Aktualität, Tragik und Leichtigkeit, Wunsch und Wirklichkeit gekonnt verknüpft und keinem Menschen Märchen erzählt.

AS

Der rbb zeigt Sorry Angel im Rahmen von rbb QUEER am Samstag, 6. August 2022 um 23:30 Uhr; im Anschluss ist er für 14 Tage in der ARD-Mediathek verfügbar.

Sorry Angel; Frankreich 2018; Buch und Regie: Christophe Honoré; Kamera: Rémy Chevrin; Darsteller*innen: Vincent Lacoste, Pierre Deladonchamps, Denis Podalydès, Adèle Wismes, Luca Malinowski, Thomas Gonzales, Sophie Letourneur, Tristan Farge, Quentin Thébault; Laufzeit ca. 130 Minuten; FSK 16; im Verleih von Salzgeber

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