„Diese ‚Da-Ist-Noch-Mehr‘-Momente zu finden, das ist spannend“

Wenn heute Abend die große Gala-Premiere zum neuen Musical Romeo und Julia — Liebe ist alles von Peter Plate, Ulf Leo Sommer und Joshua Lange im Theater des Westens steigt, dürfte auch der Puls manch Beteiligter und sicherlich auch Zuschauer*innen in die Höhe schnellen. Ein Grund dafür ist Nico Went, der als Mercutio nicht nur für Vernunft, sondern auch um sein eigenes Sein, seine Sexualität, seinen Romeo und die Herzen des Publikums kämpft. 

Erstmals wird die Figur mit einem queeren Twist erzählt — etwas, worauf wir in „Es lebe der Tod“ und „Kopf sei still“ bereits eingestellt worden sind. Wie aber hat sich Darsteller Nico Went auf diesen Mercutio eingestellt? Wie hat er die Rolle entwickelt? Wie schwer oder leicht fällt es ihm, Texte Shakespeares mit den neuen Original-Songs zu kombinieren? Über dies und manches mehr haben wir kürzlich gesprochen. 

the little queer review: In Ku’damm 56 warst Du als Freddy zu sehen und nun als Mercutio in Romeo & Julia — Liebe ist alles. Große Umstellung?

Nico Went: Hm, nö, gar nicht. Als Musicaldarsteller gibt es ja immer zwei Arten, wie man in diesem Job arbeiten kann. Einmal im Longrun und einmal im Stadttheater-Betrieb, was ich vor Ku’damm 56 sehr viel gemacht habe. Da hat man eigentlich jeden Tag eine andere Show und das hab ich in diversen Städten gemacht — Schwäbisch-Hall, Darmstadt, Dresden, Flensburg…

the little queer review: Gibt es da irgendeine Rolle, an die Du Dich aus welchen Gründen auch immer am ehesten erinnern magst?

Nico Went: Die coolste Rolle war an der Comödie Dresden in einem Boulevard-Stück. Das hieß Mit Herz und Promille, da habe ich Zwillinge gespielt, Benny und Björn König, das war sehr cool. Da hab ich auch einen Preis bekommen [den Deutschen Musical Theater als Bester Darsteller in einer Nebenrolle, Anm. d. Red.], deswegen würde ich da einfach mal sagen, die lag mir sehr gut. 

the little queer review: Und dann der Switch zu Ku’damm 56 und von dort nach Verona… 

Nico Went: Ich freu mich dann auch schon, nach um die vierhundert Shows, die es am Ende etwa gewesen sein dürften, mal wieder was anderes zu machen. Bei Ku’damm bin ich auch die Zweitbesetzung, das heißt, die Rolle von Freddy wurde von jemand anderem entwickelt und ich versuche an sich, das so gut als möglich „nachzuspielen“. Bei Romeo & Julia aber kann ich als Erstbesetzung den Mercutio mitkreieren und da freu ich mich extrem drauf. 

the little queer review: Bei einer Zweitbesetzung mag es auch tricky sein, dass manche Leute kommen, die die Rolle anders kennen, erneut hingehen und dann schon ein recht konkretes Bild davon vor Augen haben, was sie nun bekommen werden. 

Nico Went: Das stimmt. Die sehen es das erste Mal, sind total beeindruckt, sagen, dass sie es nochmal sehen müssen und dann sehen sie dich plötzlich als Zweitbesetzung. Da ist schon ein wenig der Druck da, ob ich diesem Anspruch gerecht werden kann. Allzu oft denk ich da aber auch nicht drüber nach. 

the little queer review: Wächst denn mit den Proben die Aufregung, je näher der Premierentag am 19. März rückt?

Nico Went: Das hat mich ehrlich gesagt erst so richtig heiß gemacht. Das kann ziemlich cool werden. Natürlich bin ich mega aufgeregt. 

the little queer review: Formst Du die Rolle denn noch ein wenig nach Deinem Gusto?

Nico Went: Natürlich hab ich die Rolle gemeinsam mit dem Regisseur angelegt. Aber mit jedem Mal, an dem man das Stück durchspielt, finden sich neue Sachen, die man reinbringen kann. So lässt sich die Figur gut erweitern. 

the little queer review: Und Romeo und Julia — das hattet ihr vermutlich in der Schule. Grundsätzlich gut?

Nico Went: Uhm, ich bin leider einer der Schüler gewesen, der die Bücher nie gelesen hat. Als ich dann wusste, dass ich Mercutio spielen werde, musste ich mir das Stück durchlesen [lacht]. Fand ich auch sehr gut; aber während der Schulzeit, nun ja, wäre es wohl nicht so meins gewesen.

the little queer review: Hast Du denn Motive aus dem Buch mitgenommen für die Rolle?

Peter Plate und Ulf Leo Sommer // Foto: © Ferran Casanova

Nico Went: Hmm… spannend ist es vor allem, dass wir in dem Musical die von August Wilhelm Schlegel übersetzen Texte Shakespeares mit den Songs von Peter Plate und Ulf Leo Sommer verknüpfen. Das ist eine spannende Mischung und wird richtig cool. Shakespeare-Texte spricht man jetzt im Musical auch nicht alle Tage. Das ist mega toll und macht Spaß.

the little queer review: Dafür muss ja auch immer ein Schalter umgelegt werden.

Nico Went: Ja. Das arg Deutliche in der Sprache und dann die Poplässigkeit in den Songs. Das ist komplex, bekommen wir aber alle(s) gut hin. 

the little queer review: Nun sind da queere Motive drin, die so in der Interpretation und popkulturellen Verwertung noch kaum dargestellt worden sind. Auch cool so, oder?

Nico Went: Was mir dabei Spaß macht, ist herauszufinden, in welchen Momenten kann man das einbringen. Geschrieben ist das nicht von Shakespeare. Da muss man also immer diese „da ist noch mehr“-Momente finden. Also ich lauf’ da jetzt nicht als Drag Queen über die Bühne. Da werden keine Klischees erfüllt. Das ist schön. 

Es ist eher schön, dem Zuschauer Momente zu zeigen, in denen er sich denken kann: Ah, das war eine Sekunde zu lang. Der Blick, die Umarmung und so. Da gibt es dann auch den Song „Kopf sei still“, in dem Mercutio die Liebe zu Romeo besingt, sich das aber selber nicht eingestehen will. Das ist eine schöne Note, die man Mercutio da noch gegeben hat. 

the little queer review: Hast Du auf der Bühne denn generell einen gewissen Erwartungsdruck oder auch eine Erwartungshaltung, wie das Publikum auf Dich reagieren sollte?

Nico Went: Also, tatsächlich mach ich Theater weniger fürs Publikum, sondern einfach, weil es mir total viel Spaß macht [wir lachen]. Und vermutlich bin ich selber mein größter Kritiker, aber das sagen wir alle — ist allerdings auch oft so. Ich liebe das einfach, auf der Bühne zu stehen. Das zu perfektionieren und dann zu versuchen, das jeden Abend gleich zu machen und besser zu werden. 

the little queer review: Mal so hypothetisch: Wenn am Ende ein halber Saal still bliebe oder Buh! riefe — wie würdest Du damit umgehen? Würdest Du das auf Dich oder das Stück beziehen, also irgendeines. 

Nico Went im Video zu „Es lebe der Tod“ // © Jörn Hartmann

Nico Went: Ha! Also wenn ich mich verbeuge und die Leute „Buh!“ rufen, würd’ ich schon drüber nachdenken, „okay, offensichtlich mach ich irgendwas falsch“ [lacht]. Natürlich anschließend Leute, die Ahnung haben, fragen, was ich besser machen kann. Hoffentlich wird es aber nie so weit kommen, vor allem nicht bei einem so tollen Musical wie Romeo & Julia.

the little queer review: Wahrscheinlich nicht. Aber die Frage, gerade in aufgeregten Zeiten, wie man so mit harscher, vielleicht auch nicht immer berechtigter Kritik umgeht oder umgehen würde, ist schon spannend. 

Nico Went: Voll. Vielleicht würd’ ich auch doch am Ende heulend hinter die Bühne rennen. Kommt dann auch immer drauf an, ob man als Darsteller oder eben das Stück gemeint wäre. Bei Romeo & Julia werden es hoffentlich Freudentränen. Alle geben jedenfalls alles!

Romeo & Julia – Liebe ist alles. Das Musical // Foto: © BMG

the little queer review: Eben. Danke Dir, Nico!

Nico Went: Danke Dir. 

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