„Royal Blue“ ist eine fürstliche Enttäuschung

Beitragsbild: links das Weiße Haus und das Washington Monument und rechts der Buckingham Palace (beide via Canva), in der Mitte der Buchcover.

Puh… Kürzlich haben wir das Buch Nach der Sonne von Jonas Eika vorgestellt, das ich im letzten Sommer gelesen und beinahe ein Jahr lang nicht die richtigen Worte gefunden hatte, all das zu beschreiben, was das Buch in mir auslöste und mit mir machte. Etwa zur gleichen Zeit wie Eikas Erzählungen las ich auch Royal Blue von Casey McQuiston (in Deutschland erschienen bei Knaur Taschenbuch, übersetzt von Hannah Brosch). Ich brauchte ein Dreivierteljahr um das Buch abzuschließen. Ein Satz, den ich eigentlich nicht so mag, aber was soll’s: Es hat mich nicht abgeholt. 

Präsidentinnensohn und Prinz in Love

Nun liegt das nicht etwa daran, dass ich die Geschichten-Collage Eikas mit der Young Adult-Novel von McQuiston – selber bi, queer und nicht-binär – in der sich ein britischer Prinz und der Sohn der amerikanischen Präsidentin ineinander verlieben, direkt miteinander vergleichen würde. Sie fallen zeitlich eben nur beide im Grunde in den vergangenen Lektüre-Spätsommer. Ärgerlich ist, dass, auch aufgrund diverser sehr positiver, ja begeisterter, Stimmen, insbesondere in den sozialen Netzwerken und der (queer-)bookstragram-Bubble auf Instagram, die Vorfreude auf Royal Blue hoch war. Erwartet hatte ich eine dezent hintergründige, aber doch leicht erzählte und unterhaltsame Geschichte, vielleicht ein wenig Selbstfindung einzelner Charaktere und eben die Verstrickungen, die die Konstellation Prinz und Präsidentinnensohn so mit sich bringen könnte. 

Angemerkt sei, dass in der Story, in der Alex Claremont-Diaz, Sohn der ersten Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika, sich nach einiger Zeit eingestehen muss, dass sein vermeintlicher Hass auf den etwa gleichaltrigen jüngeren Spross der britischen Königsfamilie, Henry, nicht etwa aus Abneigung kommt, sondern eigentlich verkapptes mindestens sexuelles, wenn nicht gar darüber hinausgehendes, Interesse ist. 

Alex, seine Schwester June und deren beste Freundin Nora sind das junge, hippe Kulttrio in Washington, D.C., und Alex hat einen perfekten Plan für seine Zukunft. Zielstrebig will der total smarte, aber angeblich zero-fucks gebende Junge diese verfolgen. Dabei soll ihm natürlich auch sein Herz nicht im Weg stehen. Henry hingegen ist im Zweifelsfall – und sollte es zu vielen Todesfällen in seiner Familie kommen – Thronfolger. Aber selbst, wenn das nicht der Fall wäre, hat er eben doch den Schein zu wahren und Erben zu produzieren. Sehr, sehr vertrackt also alles.

Was an Royal Blue sehr, sehr fein ist, ist, dass Casey McQuiston in der Tat einiges auf die Mechanismen und Problemfelder amerikanischer Politik gibt und diese in dem Buch immer wieder Einzug finden. Mutter Ellen befindet sich im Wieder-Wahlkampf, gegen einen Republikaner, der wie ein Nixon 4.0 daherkommt. Es gibt private E-Mail-Server, Skandale die eigentlich keine sind, Wähler*innen die eine starke Hand wollen und so weiter und so fort. Es ist löblich, dass McQuiston hier in eine vermeintlich simple Geschichte durchaus sehr politische Punkte bringt. 

Verwöhnt und dämlich

Alex arbeitet im Wahlkampfteam der Mutter, er ist das kleine Genie darin. Womit wir schonmal bei einem Problem sind, das mich das ganze Buch über störte: Er soll so smart, wortgewandt und blitzschnell denkend sein, doch dann langweilen ihn wesentliche Dossiers zur transpazifischen Partnerschaft oder er schuftet Nächte durch, ohne wirklich irgendwas beizutragen. Große Politiker waren auch immer gute Außenpolitiker und wussten Prioritäten zu setzen. Und auf der Charakterebene ist er einfach ein Kind von Anfang zwanzig. Er ist selbstbezogen ohne Ende, erratisch, er ist nicht feist, sondern einfach ein unhöfliches Arschloch, das sich seiner Privilegien kein bisschen bewusst zu sein scheint und so weiter. Alles andere als privilegiert ist beispielsweise einer der Hauptcharaktere in Was ist mit uns, aber die Geschichte ist ebenfalls  mit jugendlicher Unsicherheit gespickt und erzählt viel angenehmer über eine erste schwule Liebe.

Und er trägt das Buch und die Handlung, denn sein britischer Loverboy Henry ist zwar natürlich fortwährend präsent, doch im Grunde Nebenfigur in der Geschichte von Alex, der sich entscheiden muss, was er im Leben will und wie weit er gehen möchte, welche Risiken er in Kauf zu nehmen bereit ist. Am Ende entwickelt er dann auch durchaus Charakter, wobei wir das streng genommen auch einfach als „er wird endlich mal geerdet“ bezeichnen können, denn seine so tollen Zukunftsentwürfe waren von einer weltlichen Entrücktheit und Ignoranz geprägt, dass es einen schier vor Ärger erblassen ließ.

So handeln vor allem die ersten beinahe zweihundert Seiten primär von Alex, seiner Crowd, seiner Position, seinem Leben, und so weiter. Dann vertieft sich die Geschichte in Bezug auf Alex und Henry und ab Seite dreihundert wird Royal Blue sogar beinahe packend. Die letzten einhundertfünfzig Seiten habe ich dann auch quasi gebinged (auch aus Angst, es sonst wieder frustriert drei Monate zur Seite zu legen). Denn das war Royal Blue leider an so, so vielen Stellen – frustrierend.

Gute Ansätze…

Auch weil sich im Grunde viel Gutes erkennen lässt: McQuiston weiß durchaus, über wen sie dort schreiben; es gibt einige grundsätzlich interessante Charaktere, die McQuiston aber nur schablonenhaft und alle „großartig“ bleiben lässt, Nuancen fehlen also beinahe völlig; wenn sie Berichterstattung wiedergibt, liest sich das sehr echt; der eine oder andere Coming-out-Moment von Alex; die Mails zwischen Alex und Henry im letzten Drittel sind teils wunderbar und sehr rührend; es gibt Momente, in denen das Buch mich dann doch erreichte, eben jene, in denen ebenfalls im letzten Drittel die Konfrontation zwischen Realität und Sexualität ausdiskutiert wird; auch die Sexszenen sind fein beschrieben, sie wirken im Großen und Ganzen glaubwürdig, was vielen dieser Bücher bei schwulem Sex vollkommen abgeht.

All sowas. Aber eben auch die angedeutete Eindimensionalität. Und alles, alles, FUCKING ALLES, wird immer und immer wieder nochmals und nochmals erklärt. Exposition durch Dialog und erklärende Einschübe McQuistons bestimmen das Buch. Gut vierhundertsechzig Seiten sind nicht nur in der Hinsicht viel zu lang. Das Buch hätte auf maximal dreihundert Seiten kondensiert werden sollen und ich schwöre euch: Ihm würde nichts fehlen, ganz im Gegenteil hätte es unglaublich davon profitiert.

…versanden im Rest

Diese fortwährende Übererläuterung jeder charakterlichen Oberflächlichkeit, die als famose Eigenschaft gelten soll, ist so anstrengend und unsexy. So ganz scheint McQuiston der Fabelhaftigkeit der Figuren auch nicht zu trauen, sonst müsste vielleicht auch nicht immer wiederholt werden, wie cool die alle sind?! Das alles verhindert es auch, dass es mir als Leser wirklich gelingen hätte können, in diese Welt einzutauchen. Sie bleibt wie unter einer Rauchglaskuppel und durch Lautsprecher wird uns verkündet, was wir hinter dieser zu vermuten haben sollen. Das ist enervierend. So, so enervierend.

Nun könnte ich mich noch in anderen nicht zusammenpassenden Handlungsebenen, charakterlichen Unsauberkeiten und inhaltlichen Längen ergehen, aber lassen wir das. Es ist schön, dass die Geschichte Fans gefunden hat. Es ist schade, dass es eine gute Idee mit tollen Ansätzen ist, die in der Ausführung schlicht wenig gelungen ist. Das letzte (auch etwas zu lange) Drittel reißt einiges raus, aber alles in allem gehört Royal Blue zu den großen Leseenttäuschungen des letzten Jahres.

Casey McQuiston wollte mit Royal Blue wohl ein modernes Märchen, eine leicht eskapistische Geschichte mit realen Bezügen und uns nahen Charakteren erzählen. Insofern mag es gar gut zur echten Welt passen: Sieht erstmal ganz toll aus, scheint fein, ist aber doch eher so lala. 

JW

UPDATE, 12. August 2023: Seit gestern ist auf Prime Video die – sehenswerte – Verfilmung des Buches zu finden. Unsere Rezension gibt es hier.

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Casey McQuiston: Royal Blue – Wahre Liebe ist nicht immer diplomatisch; Aus dem amerikanischen Englisch von Hannah Brosch; April 2020; Taschenbuch; 464 Seiten; ISBN: 978-3-426-52615-6; Knaur Taschenbuch; 12,99 €, auch als eBook erhältlich

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Comments

  1. Royal Blue ist einer der schönsten Filme den ich jemals gesehen habe. Es ist das erste schwule romantische Märchen, dass mein Herz gerührt hat. Ich finde es überaus schade, dass gerade unsere Community einen romantischen Film derart zerlegen & in falscher Weise analysieren muss, anstatt dieses Märchen zu feiern.

    In den sozialen Medien hat sich mittlerweile weltweit schon eine riesige Fanbase gebildet, die Männer wie Frauen zusammenführt, die sich sehnlichst eine Fortsetzung wünschen.

    Vielleicht sollten die geschätzten Journalisten, Redakteure oder Kolumnisten einfach mal, den eigentlichen Sinn des Films erkunden. Und die Liebe, den Charme & das Märchen auf sich wirken lassen.

    Jeder von uns braucht solche Geschichten, die Zuversicht, Mut & wahre Liebe propagieren. Und das zerfetzen und hinterfragen auf verdrehter, intellektueller Weise schadet nur den Lesern & bei genauer Betrachtung, den Verfassern ebenso.

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