Sümpfe sind meist braun – in der Natur und auch in der Gesellschaft. Dass das sie speisende Wasser aber auch mal rot sein kann, ist vielen weniger bewusst. Jedenfalls bergen sie so manche Gefahr, vor allem jene, dass mensch in ihnen versinken kann.
Roter Sumpf
In den roten Sumpf der Hamburger alternativen Szene begibt sich die Polizistin Ela Erol (Elisabeth Hofmann) im neuen Nord-Tatort: Schattenleben. Die feministisch und antipatriarchal orientierte Zelle, in die sie sich als verdeckte Ermittlerin begibt, wird mit einem Brand im Haus eines Polizisten in Verbindung gebracht, in dessen Zuge seine Frau ins Koma fällt. Thorsten Falke (Wotan Wilke Möring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) übernehmen die Ermittlungen.
In deren Zuge kontaktiert Erol ihre frühere Partnerin Grosz, schildert ihr ihre Sorge, denn der verdeckte Einsatz scheint sich anders entwickelt zu haben als gedacht. Als Erol schließlich tatsächlich verschwindet, beschließt Grosz, sich in die Höhle der Löwinnen zu wagen und nistet sich selbst undercover in der nicht wenig radikalen Frauen-WG um die überzeugten Linksaktivistinnen Nana Leopold (Gina Haller) und Maike Nauener (Jana Julia Roth) ein – und droht selbst in diesem Sumpf zu versinken…
Frau(en) im Fokus
Anders als in Tyrannenmord, dem letzten Film mit Falke und Grosz, steht hier nun also die Kommissarin im Zentrum des Geschehens. Grosz ermittelt auf eigene Faust und Gefahr in der Szene-WG, während Falke ihr gemeinsam mit Thomas Okonjo (Jonathan Kwesi Aikins) durch Hintergrundrecherchen den Rücken freihält. Das ist gut, denn die letzten Fälle waren sehr auf den rauchenden Milchtrinker zugeschnitten.
Die Ermittlungen haben dabei sowohl eine persönliche als auch eine fallbezogene Ebene. Ohne Groszs gemeinsame Geschichte mit der verschwundenen Kollegin, die einst offenbar deutlich über das Polizeigeschäft hinausging, ließe sich dieser Fall so gar nicht erzählen. Groszs bereits früher angedeutete Bisexualität wird nun manifest, prägt hier Figur und Fall. Das tut gut, denn sie steht bislang immer noch ein wenig im Schatten des hier schon länger ermittelnden Falke. Regisseurin Mia Spengler und Drehbuchautorin Lena Fakler verpassen Grosz eine glaubwürdige und berührende Hintergrundgeschichte.
Extrem links
Aber auch auf der Fallebene ergibt sich ein sehr spannender Tatort – natürlich nicht ohne gesellschaftspolitische Perspektiven. Erstens sind das die Ermittlungen in der linksextremen Szene. Ja, Rechtsextremismus ist selbstverständlich das größere Problem in unserer Gesellschaft, aber auch die Zahl der linksextremen Taten hat in der Vergangenheit zugenommen, wie wir erst vergangene Woche im Extremismusbericht der Bundesinnenministerin lesen konnten. Es ist gut, dass die Macher und (überwiegend) Macherinnen dieses Tatorts dieses Thema in die ARD-Primetime heben.
Primär sind es aber die Mittel der Szene, die hier plakativ dargestellt und angeprangert werden (sollten). Bereits vor einem Jahrhundert diente das Fahrrad dem (legitimen) Kampf der Suffragetten für Frauenrechte, wie wir bei Hannah Ross erfahren. Leider fielen damals aber auch Brandanschläge unter dieses Verständnis von Legitimität und hier sollten wir im Jahr 2022 nun doch schon deutlich weiter sein.
Extreme Polizei
Das Ableben eines Polizisten und seiner Familie billigend in Kauf zu nehmen, denn „All Cops Are Bastards“ ist leider ebenso undifferenziert wie strukturelle Gewalt und Rassismus in der Polizei oder deren unreflektierte Verunglimpfung von internen Ermittlungen der Kolleginnen und Kollegen als „Kameradenschweine“. Die Verhärtung von Fronten und gegenseitige Geringschätzung („Zecken“) sind oft die logische Konsequenz, können aber die strukturelle Gewalt nicht entschuldigen. Wie sich die Gewalt auf beiden Seiten gegenseitig reproduziert und auf der eigenen Seite immer wieder legitimiert wird, wird also im Tatort: Schattenleben sehr schön herausgearbeitet.
Besonders die Figur der Nana – schön ist, dass ihre Hautfarbe in diesem Fall keine offensichtliche Rolle spielt – zeigt diese Ambivalenz, aber vor allem die häufig mangelnde Reflexion der linken Szene sehr gut. Dass wir – oder vielmehr die geneigten Tatort-Zuschauerinnen und -Zuschauer – auch noch über Begriffe wie FLINTA aufgeklärt werden, umso besser.
Bleibt friedlich!
Gewalt ist und darf keine Lösung sein – und zu unserer Gesellschaft gehört dazu, dass das Monopol auf legitime Gewalt beim Staat und vor allem bei der Polizei liegt. Gleichsam muss auch diese Gewaltausübung stets in legalen Bahnen erfolgenund sie muss kontrollier- und nachvollziehbar sein. Wo dies nicht der Fall ist, muss so mancher Tümpel auch mal trockengelegt werden – um von den kleinbürgerlichen Pinneberger Bonzen schlimmstenfalls durch einen bourgeoisen Pool ersetzt zu werden.
Der Tatort: Schattenleben erzählt eine wunderbar spannende und eindrückliche Geschichte über die linksextreme Szene, radikalsten Feminismus (deren Vertreter*innen sich ganz bestimmt nicht korrekt dargestellt fühlen werden – Shitstorms sind vorprogrammiert) und eine berührende Geschichte von vielerlei Liebe. Bis zum Ende ergibt sich somit ein fesselnder und spannender Film zum Sonntagabend.
HMS
Tatort: Schattenleben läuft am 12.6.2022 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Schattenleben; Deutschland 2022; Regie: Mia Spengler; Drehbuch: Lena Fakler; Kamera: Zamarin Wahdat; Musik: Marc Fragstein; Darsteller*innen: Wotan Wilke Möhring, Franziska Weisz, Gina Haller, Elisabeth Hofmann, Jonathan Kwesi Aikins, Jana Julia Roth, Robert Höller, Christian Kerepeszki, Matti Krause; Laufzeit ca. 89 Minuten; Eine Produktion der Wüste Medien GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für Das Erste.
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