Rollenspiele

Es kann tief nach unten gehen. Vom H des bekannten „Hollywood“-Schriftzugs oder auch nur in den eigenen Keller, wenn der Mann mit seinen Liebhaberinnen im Innenpool planscht. Selbst wenn es noch einen Außenpool gibt, manch eine Enttäuschung sitzt tief und viele dieser Enttäuschungen ergeben sich aus dem menschlichen Miteinander.

Von einigen solcher Enttäuschungen erzählt die Autorin Sarah Pines, deren erster Geschichtenband Damenbart dieser Tage im Verlag Schöffling & Co. erscheint. In 17 einander nur leicht überschneidenden Kurzgeschichten von jeweils etwa sechs bis 15 Seiten nimmt sie ihre Leserinnen und Leser mit auf eine kleine Reise an verschiedene Orte, in verschiedene Lebenssituationen ihrer Hauptcharaktere.

Verschrobene Figuren, die mal etwas vom Leben wollten

Das sind fast ausschließlich Frauen. Sie sammeln alte Mixer und Toaster in den Garagen, denken an die Freude des Großvaters an afrikanischen Orangen zurück, lassen den Urlaubsflirt einfliegen und dann links liegen oder jetten durch halb Europa, um sich von ihrer Affäre schwängern zu lassen – ohne wirklich existenten Kinderwunsch. Sie sind verschroben, vom Leben und ihren Beziehungen enttäuscht, trauern häufig einer „besseren“ Vergangenheit hinterher und funktionieren zumeist doch in ihrer Rolle.

Das fällt nämlich auf: Die Schauspielerei taucht erstaunlich häufig in Pines‘ Geschichten auf. Die Frauen leben in oder träumen von Hollywood und der großen Bühne, sind gute und bekannte Schauspielerinnen oder auch solche, die eher weniger Aussicht auf Erfolg haben. Eine Schlüsselrolle mag daher die Geschichte Peg E. einnehmen, die die fiktionalisierte Geschichte der Peg Entwistle und ihr verhängnisvolles Schicksal in der Filmstadt behandelt.

Mensch fragt sich…

An vielen Stellen ergeben sich für die Leserinnen und Leser Fragen: Wem spielt die Hauptfigur etwas vor? Den Eltern? Dem fremdgehenden Mann? Dem Urlaubsflirt? Den Nachbarn? Oder doch sich selbst? Und warum? Warum geht es den Charakteren in Damenbart nicht gut? Haben sie zu viel vom Leben erwartet? Sind es vielleicht alte Entscheidungen, die sie in ihre heutige Position oder Rolle stecken? Und wer ist dafür verantwortlich – wenn denn jemand dafür verantwortlich gemacht werden kann…

Gibt es die Möglichkeit einer Ausflucht? Und wenn ja, wie erreiche ich sie? Ist sie für immer? Oder muss ich doch zurück in den tristen Alltag? Allerdings kommt das häufig zu dem Preis, die kleinen Schönheiten und Annehmlichkeiten im Leben vielleicht zu übersehen. Es sind solche Dinge, die Leserinnen und Lesern von Damenbart in den Sinn kommen dürften.

Facettenreich und manchmal unschön

Denn – das muss mehr als positiv hervorgehoben werden – Sarah Pines zeichnet ihre Charaktere in vielen Facetten, ähnlich wie das beispielsweise die nordmazedonische Autorin Rumena Buzarovska in ihren Geschichten schafft. Wir lernen viel über die Personen selbst, aber auch die Situationen, in denen sie sich gerade befinden oder eben in ihrer Erinnerung. Als Leserin oder Leser sieht mensch häufig das Bild einer Situation vor sich, die den Hauptcharakter gerade bewegt. Das ist manchmal große Farbenvielfalt, mal aber auch die (vermutete) Tristesse von Buffalo im „rust belt“ der USA.

Nein, Sarah Pines‘ Damenbart ist kein fröhliches Buch und hebt die Stimmung seiner Leserinnen und Leser wohl eher selten. Aber es ist doch eine fesselnde Lektüre mit faszinierenden Charakteren, die mensch mag und versteht, und doch gleichzeitig hin und wieder die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Durch die kurzen Kapitel ist es eine Lektüre, die sich immer auch im Alltag dazwischenschieben lässt. Und das ist gut, denn vom Alltag so vieler Menschen handelt das Buch und im Alltag kann es von den Leserinnen und Lesern gut reflektiert werden. Ein gelungenes Erstlingswerk.

HMS

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Sarah Pines: Damenbart – Geschichten; Februar 2022; Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen; 200 Seiten; ISBN: 978-3-89561-711-9; Schöffling & Co. Verlag; 20,00 €; auch als eBook erhältlich

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