Nicht nur, dass der Tod für die meisten Menschen nicht direkt leicht ist, weder für jene, die ihn erleben, noch für jene die ihn im Angehörigen- oder engen Freundeskreis zu verarbeiten haben. Richtig anstrengend wird es gern, wenn es dann ums Erben geht und vormals sicher geglaubte Gegebenheiten plötzlich geändert sind. So passiert es, als die 78-jährige Fabrikantenwitwe Elisabeth Klingler-Rathmann (Marie Anne Fliegel) im Tatort: Was wir erben ihren Kindern und der Enkelin verkündet, dass nicht sie die Familienvilla erben werden, sondern ihre Betreuerin Elena Zelenko (Wieslawa Wesolowska). Vollkommen vertrackt wird es, als sie nach einem vermeintlichen Treppensturz im Sterben liegt.
Die Erbschleicherin war’s
So scheint es also, als hätten wir im neuen Schwarzwald-Tatort eine klassische Krimigeschichte um die Frage: „Wer hat Mutti fürs Erbe gekillt?“ Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht, wie die hier geistig extrem behäbigen Kommissare Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) irgendwann merken. Klingler-Rathmann hat ihre Gesellschafterin, wie sie Elena Zelenko nannte, nämlich kurz zuvor geheiratet. So stehen schnell die Fragen im Raum: Warum? Und ist Elena nur eine Erbschleicherin?
Tochter Gesine (Jenny Schily) und Sohn Richard (Jan Messutat) sind sich da auf jeden Fall sicher und versuchen alles, um zu verhindern, dass Elena das Haus zufällt und stellen die Ehe in Frage. Die Enkelin der bald Verstorbenen, Toni Wood (Johanna Polley), hat zwar mit der Ehe der zwei Frauen kein Problem, das Haus jedoch würde auch sie nur ungern verlieren. So werden Tobler und Berg also dezent zwischen den Befindlichkeiten der Familie und insbesondere den Manipulationsversuchen Gesine Rathmanns herumgeschubst. Dass sie selber recht schnell meinen, in Elena Zelenko das Wesen allen Übels ausgemacht zu haben und dadurch so verblendet und aggressiv ermitteln, wie man es kaum jemandem wünscht, hilft sicherlich nur bedingt.
Stimmige Atmosphäre und stupide Ermittelnde
Der Tatort: Was wir erben ist ein mancherlei Hinsicht ein kleines Faszinosum: Zum einen ist er sehr stimmig, die Atmosphäre im Haus ist so passend zur Familie und ihren Konflikten, wie die selbstverständliche Anspruchshaltung Richards, der einfach nur ein hoffnungsloser Fall ist und bei anderer Abstammung sicherlich durchs Raster gefallen wäre. Zum anderen ist trotz dieser glaubwürdigen Atmosphäre (Regie: Franziska Schlotterer) und im Grunde guter Charakterisierung (Drehbuch: Patrick Brunken) der Beteiligten, der Kniff zum Ende ein wenig gaga, zumal sich Tobler und Berg schon sehr viel früher dieser Idee hätten öffnen können. Aber wie erwähnt, läuft ihre Ermittlungsarbeit von Beginn an einigermaßen stupide. Was schade ist, denn eigentlich sind sie ein sympathisches Team.
Diese Sympathie dürften die meisten Zuschauer*innen auch empfinden, wenn Tobler sich in einem Ton, wie wir ihn sonst eher von den Kölner-Kollegen kennen, pauschal über das unverdiente Privileg des Erbens aufregt, Berg sie aber auch an das veraltete Privileg von Beamtenpensionen erinnert (ist natürlich was ganz anderes). Oder wenn Berg einmal nicht ans Gendern denkt, dann einen semi-sexistisch geprägten Scherz macht und Tobler dabei das Gesicht verzieht. Dieser Moment ist insofern interessant, weil er von den Zuschauer*innen je nach Gemütslage als wohlwollend augenzwinkernde Message sowohl an jene, die vom „Gender-Gaga“ sprechen, als auch an jene, die der Meinung sind, Sprache sollte Menschen respektieren und reflektieren, verstanden werden kann.
Zwangsarbeiter*innen schafften Privilegien
Da Was wir erben sich aber recht stark bemüht von „Mitarbeiter*innen“ zu sprechen und überhaupt sprachlich vorn dabei zu sein, gibt es natürlich eine deutliche Tendenz. Von diesem Nebenschauplatz abgesehen holt der Fall auf der zweiten Ebene etwas spät einen ganz anderen Konflikt ans Licht: Zwangsarbeiter*innen. Vor allem in der zweiten Hälfte wird das deutlicher, wenn es auch von Beginn an über der Handlung schwebt. Das ist erzählerisch tatsächlich gut eingeflochten, verliert sich dann jedoch in recht plakativen Finten, die schließlich doch wieder an manch eine anspruchslose Vorabendserie oder schwächere Episoden der Drei Fragezeichen erinnern. Aber die sind ja auch alle erfolgreich.
Dennoch ist es „schön“ ein solches Thema auch mal wieder angesprochen zu haben und gerade in der Verbindung mit dem Anspruch auf ein stattliches Erbe – es geht ja hier nicht „nur“ um die Villa, sondern auch um die gut laufende Firma – das es vermutlich ohne Zwangsarbeiter*innen so nicht gäbe. Wie diese Geschichte dann jedoch auserzählt wird, ist wie erwähnt leider, leider eher weniger klasse und es entsteht der Eindruck, dass man sich hier ein kaum zu kauendes Stück Schwarzwälder Kirschpraliné genommen hat. Da machten sich die Saarländer im vergangenen Jahr weit besser.
Kommen wir noch zu einem weiteren Faszinosum des neuen Schwarzwald-Tatorts: Er ist wie erwähnt stimmungsvoll, alles in allem spannend und unterhaltsam, allerdings nicht kurzweilig und aus irgendeinem Grund zieht sich die letzte Viertelstunde ganz extrem und das Gefühl entsteht, hier wurden noch zwei, drei Ecken, um die zu gehen es gilt, geschaffen, weil die Macher*innen die Zeit sonst nicht vollbekommen hätten. So bleibt am Ende der Eindruck einen als Krimi verpackten sozialen Kommentar gesehen zu haben, der jedoch nicht recht nachhallen will.
AS
Tatort: Was wir erben: Am 25.4.2021 um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und bis zum 25. Oktober 2021 in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Was wir erben; Deutschland, 2021; Regie: Franziska Schlotterer; Drehbuch: Patrick Brunken; Kamera: Stefan Sommer; Darsteller*innen: Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner, Jenny Schily, Jan Messutat, Johanna Polley, Janina Elkin, Marie Anne Fliegel, Wieslawa Wesolowska, Christoph Jungmann, Christian Erdt, Anna Böger; Laufzeit ca. 88 Minuten; Eine Produktion des Südwestrundfunks.
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