„D’Sandra isch halt d’Sandra“

Eine Siedlung von Einfamilienhäusern (hallo, liebe Grüne), behäbiger Wohlstand und Pioniergeist. Welcome to „The Länd“, wie sich Baden-Württemberg seit einiger Zeit markentechnisch schimpft. Vielfach belächelt, ist das Land aber doch ein geheimer Job- und Innovationsmotor Deutschlands. Doch auch im Land von Kuckucksuhr und Kirschtorte geschieht Merkwürdiges und Verbotenes.

D’Sandra hat’s ned leicht

Das Ermittlungsduo Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) wird im Tatort: Die Blicke der anderen in ein kleines Dorf im Schwarzwald gerufen, in dem mensch einander kennt. Was jedoch erst einmal ein Rätsel bleibt – daher der Auftritt von Tobler und Berg –, ist, warum sich im Schlafzimmer von Sandra und Gerd Vogt (Lisa Hagmeister und Daniel Lommatzsch) Blutspuren oder vielmehr eine Blutlache befindet. Diese findet Mutter Edeltraud (Ruth Wohlschlegel) eines Tages vor, die Bewohnerin und die Bewohner des Hauses allerdings nicht. Das lässt also Böses ahnen…

Rückblick in glücklichere Momente: Sandra Vogt (Lisa Hagmeister) beim Spielen mit ihrem Sohn Noah (Aureus Anker) // © SWR/Benoît Linder

Sandra Vogt wird später an einer Autobahnraststätte aufgegriffen, sie scheint… sagen wir mal: ein wenig durch den Wind. Der ältere Sohn Lukas (Sean Douglas) taucht auch auf, aber von Ehemann und Vater Gerd sowie dem jüngeren Sohn Noah fehlt erst einmal jede Spur. Statt jedoch vollauf mit der Polizei zu kooperieren, lässt Sandra Vogt sich nicht allzu sehr in die Karten blicken, vor allem, was ihr Alibi angeht.

Tobler und Berg müssen also viel Zeit und Energie in die Ermittlungsarbeit stecken, die sie unter anderem in die örtliche Gärtnerei, das Rathaus, Gerds vormalige Lithium-Akku-Firma, mit der er im Clinch liegt und in die Wohnung der aufmerksamen Nachbarin Anna Gentner (famos: Margot Gödrös). An potentiellen Täterinnen und Tätern sowie Zeuginnen und Zeugen mangelt es also nicht. Und das Motiv? Streit mit dem Geschäftspartner? Erbschaft? Ehekrach?

D’Sandra isch überall

Zentrale Figur in diesem Tatort von Regisseurin Franziska Schlotterer ist immer wieder Sandra Vogt – d’Sandra. Jeder und jede scheint sie zu kennen, eine Meinung über sie zu haben, manche vielleicht sogar ein Verhältnis mit und zu ihr. Die Schwiegermutter ist nicht sehr zufrieden mit ihrer Schwiegertochter, Freundinnen und Bekannte, Geschäftspartner, Kolleginnen und Vorgesetzte, alle können etwas zu unserem Hauptcharakter sagen – und die meisten stänkern irgendwie herum.

Die schroffe Zurückweisung ihres Sohnes Lukas (Sean Douglas) tut Sandra (Lisa Hagmeister) weh // © SWR/Benoît Linder

Sandra ist tatsächlich irgendwie immer überall und doch nirgendwo. Erst unauffindbar schafft sie es, später wie durch einen guten Riecher immer an den Orten zu sein, die für das Geschehen zentral sind. Nicht selten müssen wir also in die überraschten Gesichter von Tobler und Berg blicken, wenn sie Sandra unerwartet begegnen. Und doch bleibt sie die ganze Zeit stoisch und stur, will ihr Alibi nicht verraten, denn der Mann, mit dem sie eine Affäre hat, habe Familie. Hat sie diese Affäre genutzt, ähnlich wie Elisabeth Berger-Böttcher im derzeit in den Kinos laufenden Film Der Nachname, um ihre Ehe gar zu retten? Aber warum – fragen sich nicht nur Tobler und Berg sondern auch wir Zuschauerinnen und Zuschauer.

D’Sandra macht Schluss

Es hilft dabei und ist ein netter Kniff der Regisseurin sowie Drehbuchautor Bernd Lange und Kameramann Stefan Sommer, dass wir immer wieder kurze Rückblenden eingeschnitten bekommen. Ein Ehestreit der Vogts, eine Szene des ehelichen Beischlafs, der fast schon manisch aggressive Gerd mit seinem heutigen Ex-Geschäftspartner… Diese Einschnitte lockern den Film immer wieder auf und geben uns anschauliches Hintergrundwissen – selbst wenn wir auf viele davon rein inhaltlich vermutlich verzichten könnten. Die Garstigkeit vieler der Charaktere trägt aber gut zum Unterhaltungsfaktor von Die Blicke der anderen bei.

 

Sandra (Lisa Hagmeister) erträgt die blutdurchtränkte Matratze nicht mehr im Haus und fackelt sie kurzerhand ab // © SWR/Benoît Linder

Alles in allem ist dieser Fall somit trotz seiner leichten Behäbigkeit spannend, kurzweilig und verspricht solide Unterhaltung für den Sonntagabend. Wunderwerke sollten die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht erwarten, aber nach dem sehr schwachen Fall Saras Geständnis aus dem Februar 2022 gibt es hier nun einen doch unterhaltsamen Tatort aus dem Schwarzwald.

HMS

Tatort: Die Blicke der Andere – der als Auftakt zur ARD-Themenwoche Wir gesucht! – Was hält uns zusammen? dient läuft am Sonntag, 6. November 2022, um 20:15 Uhr im Ersten, um 21:45 Uhr auf one und ist anschließend für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Die Blicke der Anderen; Deutschland 2022; Regie: Franziska Schlotterer; Drehbuch: Bernd Lange; Kamera: Stefan Sommer; Musik: Verena Marisa; Darsteller*innen: Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner, Lisa Hagmeister, Daniel Lommatzsch, Sean Douglas, Ruth Wohlschlegel, Margot Gödrös, Ulrich Blöcher, Nikola Kastner, Daniel Friedl, Niels Bruno Schmidt; Laufzeit: ca. 89 Minuten

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