Kaukasischer Tanz ums Feuer

„Im georgischen Tanz gibt es keine Sexualität“, erklärt Tanzlehrer Aleko (Kakha Gogidze) seinen Student*innen an der Akademie des Georgischen Nationalballetts in Tiflis gleich zu Beginn. Ehrfurcht, Tradition, Männlichkeit – das seien die Ingredienzen des Ganzen, so erfahren es die angehenden Tänzer*innen wie auch wir Zuschauende gleich mehrmals in Als wir tanzten, einem Film der sich anhand georgischer Nationaltänze mit verkrusteten, patriarchalen Strukturen, Homofeindlichkeit und dem falschen Leben auseinandersetzt.

„Im engeren Sinne erzählt der Film…“

Wir stellten den Film des schwedischen Autorenfilmers mit georgischen Wurzeln, Levan Akin, bereits vor ziemlich genau zwei Jahren vor und schrieben dort auch von den Protesten und Unruhen, die es unter anderem im Rahmen seiner Vorführungen in Tiflis und Batumi gab. Etwas, das die Notwendigkeit dieser energetischen Filmperle, die an diesem Montag um 22:00 Uhr in deutscher Erstausstrahlung auf arte zu sehen wird, umso mehr verdeutlichte.

Neuzugang Irakli (Bachi Valishvili) sorgt für Irritationen – vor allem bei Merab (Levan Gelbakhiani) // © Salzgeber

Im Mittelpunkt des queeren Tanzdramas Als wir tanzten steht der junge Tänzer Merab (zurecht einer der European Shooting Stars der Berlinale 2020: Levan Gelbakhiani), der ehrgeizig und entschlossen seinem Ziel entgegenarbeitet, professioneller Tänzer zu werden, wenn auch erwähnter Lehrer ein besonders kritisches Auge auf den Jungen hat, den er für im Leben zu weich und im Tanz zu emotional zu halten scheint. Als der talentierte Irakli (ebenfalls aus gutem Grund ausgezeichnet: Bachi Valishvili) neu in die Klasse kommt, wittert Merab Konkurrenz…

…doch auch anderes. Er, der eher eine platonische Beziehung mit seiner Tanzpartnerin Mary (Ana Javakhishvili) führt, fühlt sich von dem aus Batumi kommenden Neuzugang angezogen. Die zwei verbringen mehr und mehr Zeit miteinander: Gemeinsames Trainieren, Feiern, Familie besuchen und so weiter. Bei einem Ausflug aufs Land kommen sich Merab und Irakli noch näher; doch zwei schwule Tänzer, nein, das geht nun wirklich nicht. 

„…die Geschichte von jungen queeren Menschen…“

Insgesamt gibt es 16 verschiedene Arten des traditionellen georgischen Tanzes, wie wir im Presseheft zu Als wir tanzten erfahren und ihnen allen ist gemein, dass sie laut breiter Interpretation die oben genannten, alttradierten Werte hochhalten sollten. Dass vom Gründerehepaar des 1945 eingerichteten, bekanntesten georgischen Nationalensembles, Iliko Sukhishvili und Nino Ramishvili, auch folgender Satz überliefert ist: „Der Volkstanz ist kein Museumsstück und kein Artefakt. Er ist eine lebendige, stets in Erneuerung begriffene Struktur, der Lebenssaft, das Leben selbst“, spielt dabei häufig keine Rolle.

„Der Volkstanz ist kein Museumsstück und kein Artefakt.“ // © Salzgeber

Dies kann wohl zum Teil auch mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erklärt werden, dem (vermeintlichen) Verlust der Identität eines Landes und dem Zerplatzen der eigenen Lebenswelt also. Etwas, das jedenfalls in Teilen von der Georgisch Orthodoxen Kirche (der aktuell in etwa 83 % der Georgier*innen angehören) aufgefangen wurde, die ein strikt patriarchales Männlichkeitsbild vorgibt und verkörpert und Homosexualität weitgehend ablehnend gegenübersteht. 

Geneigte Leser*innen werden sich erinnern, dass es in Tiflis erst 2021 zu massiven Attacken seitens rechtskonservativer Georgier*innen gegen Teilnehmer*innen des „Marsches der Würde“ kam. Unter den Gegner*innen und Angreifer*innen befanden sich auch Priester der Orthodoxen Kirche. Ebenso sprach der Patriarch Ilia II. in diesem Zusammenhang vom „pervertierten Lebensstil“ und – besonders beliebt in Gebieten der ehemaligen Sowjetunion – von „LGBTQ+-Propaganda-Aktivitäten“.

„…und von ihren Schwierigkeiten,…“

Autor und Regisseur Levan Akin // © Salzgeber

Diese Betrachtung bestätigt der Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation Equality Now, die sich für die Rechte von LGBTIQ* einsetzt, Lewan Berianidze: Die Orthodoxe Kirche habe den Menschen insbesondere seit Anfang der 1990er-Jahre Halt und Orientierung geboten und füllte so ein Vakuum, das durch das Wegbrechen von Autoritäten, welches mit dem Ende des Kommunismus einherging, entstanden sei.

Dies verknüpft mit den traditionellen Werten Georgiens und einer Skepsis bis Feindseligkeit gegenüber allem Westlichen, inklusive eben Homosexualität beziehungsweise Queerness, bringen einen gefährlichen Mix, der natürlich immer wieder zu Ausbrüchen und weiterer Radikalisierungsmobilisierung ganzer Bevölkerungsteile führen kann. 

„Für ein Land, das im Laufe der Jahrhunderte immer wieder bezwungen wurde, ist die Erhaltung seiner kulturellen Identität eine Frage des Überlebens. Die georgische Sprache, ihr altes Alphabet, die Weinkultur, die Esskultur und so weiter – all das ist für die Georgier extrem wichtig. Mit diesem Film versuche ich zu zeigen, dass man seine Traditionen bewahren kann, auch wenn man sich neuen Wegen öffnet.“

Levan Akin über Als wir tanzten

„…aber in einem größeren Rahmen…“

Etwas, das Akin, der ebenso betont, dass alle Teile seines mehrfach prämierten Films auf wahren Geschichten beruhen, die er zusammengesammelt habe, durchaus gelingt. Natürlich liegt dieses Gelingen auch im Auge oder vielmehr an der Einstellung der jeweils Betrachtenden. Mag das, was für uns als Erfolg gilt, für andere als Teufels Werk frei von Gottes Beitrag erscheinen. Was im Umkehrschluss für andere wieder nur den Erfolg bestätigen würde.

Eigene Momente der Freiheit kreieren // © Salzgeber

Diese Verknüpfung gelingt auf erzählerischer Ebene schon allein dadurch, dass Akin zwar eine bedächtige Erzählweise aber keine düstere wählt. Die Student*innen der Akademie brechen auf ihre Art mal im Großen und mal im Kleinen immer wieder aus einem strengen Korsett aus, das insbesondere in der Schule noch einen Anschein von Sowjetzeiten vermittelt und auf Konformität setzt. Hier erinnern übrigens nicht wenige Stellen an Erzählmomente aus Im Wasser sind wir schwerelos (oder umgedreht?).

„…erzählt er auch von der Historie und…“

Auch die Besetzung des georgischen Tänzers und Schauspielers Levan Gelbakhiani ist ein Volltreffer sondergleichen (und ein mutiger dazu). Nicht nur, da er in der Tat ein großes Talent ist, sondern ebenso, da er den angesprochenen Ehrgeiz und unbedingten Willen zur Perfektion genauso ausstrahlt wie auch die als unmännlich angesehene Sensibilität und Nachdenklichkeit. Diese Nachdenklichkeit ist es schließlich auch, die die von ihm verkörperte Figur Merab das enge Wertkorsett hinterfragen lässt.

Spürbare Anziehung: Merab (Levan Gelbakhiani) und Irakli (Bachi Valishvili) // © Salzgeber

Dies mitnichten nur bezogen auf die in ihm reifende Erkenntnis, dass er sich nicht nur zum Mitstudenten Irakli hingezogen fühlt und womöglich in ihn verliebt ist, sondern schlicht und ergreifend schwul ist. Nein, vor allem auch in Bezug darauf, wieso es in Ordnung sein sollte, dass ihm Männer von gestern seine Aktivitäten im Heute vorgeben und damit sein Leben in der Zukunft bestimmen sollten. 

„…der heutigen Lage des Landes.“

Als wir tanzten arbeitet zielstrebig und doch nicht im Stakkato auf ein Ende hin, dem natürlich auch im Sinne des Spannungsaufbaus für Zuschauer*innen noch einen dramatischer Bruch vorausgeht, der im Grunde nur als konsequent aber nicht unausweichlich betrachtet werden kann. Faszinierend ist hier auch, wie Levan Akin auf dem Weg dorthin und vor allem am Schluss starke Bilder (Kamera: Lisabi Fridell) statt kräftiger Dia- und Monologe sprechen lässt. 

Tanzende Zeichen: Merab (Levan Gelbakhiani) // © Salzgeber

Dies erfordert jedoch auch den Willen der Zuschauer*innen dem Film und seinen stillen Momenten zu folgen. Er ist, mitreißender Tanzszenen (die auch poppig-elektrisierend sein dürfen), einer wunderbaren und anziehenden Liebesgeschichte und immerfort lauernder Gefahr zum Trotz, in feinster Weise auf stetige Exposition angelegt. 

Vielmehr vermittelt Als wir tanzten seine Message samt gesellschaftskritischer Haltung ohne plattes Urteil und dem Wert individueller Freiheit und Menschenwürde (derer wir uns auch in den europäischen Ländern wieder stärker erinnern statt sie unbedingt in Stein gemeißelt sehen sollten) mit lakonischer Würde und dem Fokus auf die Menschen hinter den Problemstellungen.

AS

PS: Das Zitat, das die Zwischenüberschriften ausmacht, ist von Autor und Regisseur Levan Akin.

PPS: Der Song „Honey“ von Robyn nimmt eine wichtige Rolle im Film ein. Ebenso inspirierte der Track Samet Durgun zum Titel seines im Kehrer Verlag erschienen Bildbandes Come Get Your Honey, den wir in Kürze besprechen. 

PPPS: Im Anschluss zeigt arte ab 23:50 Uhr die Dokumentation Vor mir der Süden, in der Pepe Danquart auf den Spuren von Pier Paolo Pasolinis 3 000-Kilometer-Umrundung der italienischen Küste wandelt (oder eher fährt, wie auch Pasolini in einem Fiat Millecento). 

Der Bayerische Rundfunk zeigt Als wir tanzten am Donnerstag, 27. Juli 2023, um 23:15 Uhr im Rahmen von BR QUEER.

Als wir tanzten (OT: And Then We Danced oder georgisch: და ჩვენ ვიცეკვეთ); Schweden, Georgien, 2019; Regie und Buch: Levan Akin; Kamera: Lisabi Fridell; Musik: Zviad Mgebry, Ben Wheeler; Darsteller*innen: Levan Gelbakhiani, Bachi Valishvili, Ana Javakishvili, Giorgi Tsereteli, Tamar Bukhnikashvili, Marika Gogichaishvili, Kakha Gogidze, Aleko Begalishvili; Laufzeit ca. 113 Minuten; deutsche Sprachfassung oder georgische Originalfassung mit deutschen Untertiteln; FSK: 12; im Verleih von Salzgeber; erhältlich als DVD, BluRay oder VoD

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