„Zurückhaltung kann die mächtigste Waffe sein“

Früh fällt in einer der wohl größten und toxischsten Lieben der Weltgeschichte der Satz „sometimes restraint is your most powerful weapon“ und gern wollen wir dem zustimmen. Ebenso begrüßen wir es aber auch, dass die erste Serienadaption von Anne Rices Chronik der Vampire-Romanzyklus sich an kaum einer Stelle zurückhält und uns Zuschauer*innen in den sieben Episoden der ersten Staffel ein opulentes Mahl voller Gefühl, Spannung, Humor, Blut, Tragik, Talent und Schau(er)werten bietet. 

„It was a cold winter…“

Zweckmäßig trägt die Serie sowohl im englischen Original (wir empfehlen natürlich die englischsprachige Fassung) wie auch in der deutschen Version den Titel des wohl bekanntesten, ersten Romans Interview mit einem Vampir, der erstmals 1976 (in Deutschland 1978) veröffentlicht wurde und 2021 im Blanvalet Verlag in neu überarbeiteter Übersetzung von Karl Berisch und C.P. Hofmann wieder erschien. An dieser Stelle eine Erklärung im Sinne der Transparenz (die auch im ersten Teil der Geschichte um die hassliebenden Vampire Louis de Point du Lac und Lestat de Lioncourt eine wichtige Rolle spielen wird): Die Bücher habe ich nie gelesen, auch wenn ich das seit mehr als einer Dekade ändern will.

Eine große glückliche Familie beim Dinner? Sam Reid als Lestat De Lioncourt, Russell Dennis Lewis als Mark McPhail, Bailey Bass als Claudia und Jacob Anderson als Louis De Point Du Lac // Foto: Alfonso Bresciani/AMC / © 2022 AMC Network Entertainment LLC. All Rights Reserved.

Dafür kenne ich natürlich die üppige Verfilmung Neil Jordans mit Tom Cruise, Brad Pitt, Antonio Banderas und Kirsten Dunst in den Hauptrollen und der fantastischen Musik von Elliot Goldenthal (plus der Guns N’ Roses Version von „Sympathy for the Devil“) aus dem Jahre 1994. Und was soll ich sagen — dass wir es hier nicht mit einer heteronormativen Nummer zu tun hatten, war mir auch als Kind und Jugendlicher klar (ich tendierte, wie wohl viele andere Kids, dazu, all die verbotenen Schinken heimlich zu schauen und seh Horrorfilme immer noch gern allein). 

„…Lestat was my coal-fire.“

Umso tragischer, dass die queeren Töne nur absolut unterschwellig stattfanden und der Film zwar mit einer Wahrscheinlichkeit kokettierte, aber eben doch inkonsequent blieb. Die von Rolin Jones (Weeds, Taras Welten, Perry Mason) kreierte und bis zu ihrem Tod im Dezember 2021 als Ausführender Produzentin begleitete (ihr schwuler Sohn Christopher produziert nach wie vor mit) Serienadaption holt dies nun glücklicherweise nach und verpasst dem Stoff eine angenehme Frischzellenkur, ohne dass sich Fans auf das Einstecktuch oder Feder-Haarband getreten fühlen dürften. Ab heute ist sie via Wow/Sky zu streamen.

Luxuriöse Recherche in Dubai: Eric Bogosian als Daniel Molloy // Foto: Alfonso Bresciani/AMC / © 2022 AMC Network Entertainment LLC. All Rights Reserved.

Wir setzen im Jahr 2022 in Dubai ein, wo sich der von dem aus Game of Thrones als Grey Worm bekannten Jacob Anderson wortwörtlich verkörperte Louis de Point du Lac aufhält und ein in den Siebzigerjahren mit Journalist Daniel Molloy (fein: Eric Boogsian) abgebrochenes Interview unter den wachsamen Augen seines Assistenten Rashid (Assad Zaman) fortführen beziehungsweise rebooten will. Schnell gehen wir zurück ins New Orleans des Jahres 1910, wo sich de Point du Lac als Betreiber einiger Laufhäuser als einziger Schwarzer Mann eine eigene Existenz aufbauen konnte.

„Emasculation and admiration in equal measure.“

Sein etwas sorgenschwerer und gottgläubiger Bruder Paul (Steven Norfleet) sieht das eher ungern, die verwitwete Mutter Florence (cool: Rae Dawn Chong) und seine Schwester Grace (Kalyne Coleman) betrachten es als Notwendigkeit, um einen gewissen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Eines Tages trifft Louis auf den geheimnisvollen, selbstgefälligen, verführerischen und dezent furchteinflößenden Lestat de Lioncourt (prickelnd: Sam Reid). Es soll nicht lange dauern, bis Louis dessen, je nach Betrachtung, Zauber oder Bann nicht mehr zu entfliehen vermag und in seinen Armen in das ewige Leben nach dem Leben eintritt (siehe Beitragsbild). 

Living their best life: Louis De Point Du Lac und Lestat De Lioncourt in Interview mit einem Vampir, Staffel 1, Folge 3 // Foto: Alfonso Bresciani/AMC / © 2022 AMC Network Entertainment LLC. All Rights Reserved.

Lestat entpuppt sich dabei als sehr talentierter toter Handlungsreisender, verspricht er Louis doch viel Rosiges für die Zukunft, ohne manch eine notwenige Einschränkung zu erwähnen, wie etwa diese Tageslicht-Allergie, die mit der Unsterblichkeit einhergehenden Verluste oder die Notwendigkeit, ein Serienkiller zu werden. Es ist wie bei Apple: Immer das Kleingedruckte lesen!

„You don’t bite the blood, you suck it.“

Bissig: Bailey Bass als Claudia in Interview mit einem Vampir // Foto: Alfonso Bresciani/AMC / © 2022 AMC Network Entertainment LLC. All Rights Reserved.

Doch so sehr der junge Mann sich umgewöhnen muss, so reizvoll ist auch ein ausschweifendes Leben mit Lestat, die Aussicht auf Hedonismus und einen Alltag, der nicht mehr von Rassismus geprägt sein muss. Aber auch hier hat Louis die Rechnung ohne die Realität und seine verlässlich abschätzigen, gierigen und sehr weißen Landsmänner gemacht. So behandelt die erste Staffel von Interview mit einem Vampir, die bis in die nur über die Nachrichten wahrgenommenen Wirren des Zweiten Weltkriegs reicht, zuerst nur unterschwellig und dann immer augenscheinlicher das Thema Rassismus und zeigt einen für Louis prägenden Aktion-Reaktion-Mechanismus auf. 

Einen solchen gibt es auch in der Beziehung der beiden Vampire, die nach einer Rosa-Brillen-Phase sehr schnell zu Eintönigkeit wechselt, in der latente Ressentiments wachsen und ein zwar nicht forciertes aber ebensowenig bewältigtes Abhängigkeitsverhältnis den Alltag trübt. Dieser findet übrigens durchaus statt, wenn es etwa darum geht, ob die beiden eine offene Beziehung führen wollen, welche Dinge sie sich gönnen, wer welches Ernährungskonzept verfolgt und so weiter und so fort. Es sind auch diese Momente, in denen die Serie unglaublich witzig sein kann. Witzig ist sie genau so, wenn die zwei, deren Geplänkel gern in Streit umschlägt, wenn genau dies passiert und der Frust siegt. Da hilft es auch nicht, dass Louis sich von Lestat mit Claudia (*schauder*: Bailey Bass) eine Tochter/Schwester kreieren lässt. Nein, das hilft ganz und gar nicht…

„Are we the sum of our worst moments?“

Eine so wechselhafte Aktion-Reaktions-Beziehung gibt es auch im Jahr 2022 zwischen Louis und dem an Parkinson erkrankten Daniel Molloy. Immer wieder fordern die beiden einander heraus, macht Molloy Louis auf Widersprüchlichkeiten in seiner Geschichte aufmerksam, fragt nach, wenn Louis (der 2022 genau wie gut einhundert Jahre zuvor zu passiv-aggressivem Verhalten sowie zum Schmollen neigt) Dinge nicht ausführen will und scheuert ihm auch mal eine. Zumindest letzteres ist dürfte er aus der Beziehung mit Lestat gewohnt sein — häusliche Gewalt ist keine Erfindung der Heteros.

Schwierige Nachbarschaft in New Orleans // Foto: Alfonso Bresciani/AMC / © 2022 AMC Network Entertainment LLC. All Rights Reserved.

Genau so wenig die Begründung dies nur aus Liebe zu tun. Jedoch nehmen sich hier weder die Menschen noch die Vampire in ihren eher unfeinen Verhaltensweisen wenig und dass dem armen Lestat de Lioncourt fortwährend die Schuld an allem gegeben wird, erinnert nich nur an Brian Kinney, sondern würde wohl jede Person — tot, untot oder unsterblich — auf die Probe stellen. (Apropos Brian Kinney: Genau wie das Queer as Folk Reboot spielt Interview mit einem Vampir in New Orleans und nicht nur hat Interview… einen besseren Blick der Stadt, sondern es ist auch das bessere Queer as Folk 2.0. Und ja, wir haben aus der von uns heißerwarteten und schnell abgesetzten Neuauflage nie etwas gemacht. Hier die Kurzfassung: Es ist eine überambitionierte und selbstverliebte, handlungsarme, den eigenen Anspruch bitter verratende und inkonsistente Vorlesung in Serienform.)

„Are we forgiven if we can’t forgive others?“

Die Anziehung zwischen Louis und Lestat ist unverkennbar und Anderson sowie Reid geben eine Performance, die mensch nur glanzvoll nennen kann. Dies nicht nur im perfekten Zusammenspiel, sondern auch darüber hinaus wissen sie ihre Figuren mit Leben, Kraft und Nuancen zu füllen, dass es ein Fest ist. Dass ihnen im Writer’s Room bestes Material geschrieben wurde, das famos zwischen Tönen springt und so solide Lust ausdrückt wie Reflexion und Introspektion, immer wieder die Frage nach dem Sein auch im ewigen Nicht-Leben erkundet, erweist sich als pures Unterhaltungsgold. Dass die beiden Hauptdarsteller auf diversen Bestenlisten von amerikanischen Kritiker*innen gelandet sind, verwundert kein Stück.

Anziehung sondergleichen: Louis De Point Du Lac und Lestat De Lioncourt // Foto: Alfonso Bresciani/AMC / © 2022 AMC Network Entertainment LLC. All Rights Reserved.

Ebensowenig, dass der hervorragende Score von Daniel Hart (u. a. Strange Angel, A Ghost Story) hochgelobt ist. Zumal Musik in der Serie eine große Rolle einnimmt und Musik, die die Handlung nur für uns Zuschauer*innen begleitet und jene, die in der Serie stattfindet, gern miteinander verschmelzen, gemeinsam tanzen, um’s mal ein wenig pathetisch auszudrücken. Und wann hören wir schon einmal Charles Mansons „Home Is Where Your’re Happy“ im Abspann einer Serie? 

„I have a capacity for enduring.“

Auch was die Ausstattung (Selina van den Brink), Kostüme (Carol Cutshall), Make-Up (Courtney Callais, u. v. a.), Kameraführung (David Tattersall, Jesse M. Feldmann) und all dies angeht gibt es an Interview mit einem Vampir nichts auszusetzen. Die Serie ist etwas für Fans des hintergründigen Grusels, für Freund*innen queerer Serienstoffe, solche, die gern Historisches schauen und jene, die sich bisher nicht an Grusel- oder Vampirstorys wagen wollten — hier bietet sich ein sauberer Einstieg voller Romantik sowie reichlich Blut. Das nicht übermäßig spritzt, aber wenn losgelegt wird, dann richtig — dies auch dank zielsicherer Regie unter anderem von Levan Akin (Als wir tanzten), Alexis Ostrander und Keith Powell.

Keine Souvenirs! Claudia hebt gern Reste auf, Lestat und Louis sind weniger begeistert // Foto: Alfonso Bresciani/AMC / © 2022 AMC Network Entertainment LLC. All Rights Reserved.

Einziger Kritikpunkt mag sein, dass, auch wenn die Jahre in der Handlung schnell vergehen, die Macher*innen um Rolin Jones uns einen Moment länger im frühen Genuss der Beziehung Louis’ und Lestats hätten verweilen lassen können. Denn im Gegensatz zu einem späteren Lestat, haben wir hier nichts zu erleiden. Darüber hinaus aber, findet der nun in diese Serie, der eine zweite Staffel sicher ist, verliebte Rezensent nichts auszusetzen und möchte sie vorbehaltlos und unbedingt empfehlen. 

JW

PS: „Vivid writer, isn’t she? A singular style.“ — „Anne Frank meets Stephen King.“

PPS: „Emily Dickinson is not a vampire.“ — haben wir das auch endlich geklärt!

PPPS: „He sits on the truth like it’s a chair or something.“ — Claudia sagt viele richtige Dinge, ist dennoch das ausgemachte Böse und eine eiskalte Mörderin (Stichwort: Antoinette), wie wir meinen. 

Anne Rice’s Interview mit einem Vampir ist ab dem 6. Januar 2023 via Wow/Sky GO verfügbar und wird jeweils freitags in Doppelfolgen auf Sky Atlantic ausgestrahlt.

Anne Rice’s Interview mit einem Vampir — Staffel 1; USA, 2022; Idee: Rolin Jones, basierend auf dem Chronik der Vampire Romanzyklus von Anne Rice; Regie: Alan Taylor, Keith Powell, Levan Akin, Alexis Ostrander; Drehbuch: Rolin Jones, Jonathan Ceniceroz, Dave Harris, Hannah Moscovitch, Eleanor Burgess, Coline Albert, Ben Philippe; Musik: Daniel Hart; Kamera: David Tattersall, Jesse M. Feldmann; Kostüm: Carol Cutshall; Produzent*innen: Anne Rice, Christopher Rice, Rolin Jones, Alan Taylor, Mark Johnson, u. a.; Darsteller*innen: Jacob Anderson, Sam Reid, Eric Bogosian, Bailey Bass, Assad Zaman, Kalyne Coleman, Rae Dawn Chong, Chris Stack, Maura Grace Athari, Christian Robinson, John DiMaggio, Steven Norfleet, Rachel Handler, Jeff Pope, Dana Gourrier; sieben Folgen, jeweils circa 46-71 Minuten; seit dem 6. Januar 2023 via Wow/Sky Go zu streamen

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