Wenn heute mit der Hannover Messe der weltweit größte Branchentreff für Industrie und Automatisierung beginnt, wird es an vielen Stellen auch um Künstliche Intelligenz (KI) gehen. Und auch der Bundestag debattiert am Freitag nach aktueller Planung die KI-Strategie der Bundesregierung. Die Potentiale von KI sind dabei groß und können durchaus zu einem großen Wandel führen.
KI kann nicht alles
Allerdings kann KI längst nicht alles. Das musste auch der Bestsellerautor Daniel Kehlmann erfahren, der vor etwa einem Jahr in Kalifornien den Versuch startete, eine Geschichte zusammen mit einem auf KI basierenden Algorithmus zu schreiben. Sein Experiment sollte krachend scheitern. Am 9. Februar 2021 hielt er im Literaturhaus Stuttgart die erste Rede aus der Reihe „Stuttgarter Zukunftsrede“. Diese ist nun im Klett-Cotta-Verlag unter dem Titel Mein Algorithmus und ich erschienen.
Strukturell gibt es auf den 63 Seiten dieses Büchleins zwei Abschnitte: Im ersten, kürzeren, erläutert Kehlmann seine Motivation für das Projekt und die ganz grundlegenden technologischen Hintergründe von Künstlicher Intelligenz. Im zweiten Teil beschreibt er dann die tatsächliche Arbeit mit dem Programm, die Fehlschläge und was das für ihn bedeutet. Da die meisten Kompositionsversuche auf Englisch stattfanden, sind Englischkenntnisse für die Lektüre aber erforderlich, selbst wenn die Resultate aus Kehlmanns Versuch nicht gerade nobelpreisverdächtig sind.
Ein charmantes Experiment
Die dem Experiment zugrundeliegende Idee ist durchaus sehr charmant oder zumindest regt sich berechtigtes Interesse an der Frage, inwieweit ein Algorithmus auch kreative Arbeiten wie das Schreiben einer Geschichte übernehmen kann. Kehlmann liefert eingangs die nötigen Hintergründe und zumindest einen Bruchteil des Wissens, der erforderlich ist, um das Experiment am Ende zu verstehen. So ist es keineswegs so, dass ein Algorithmus tatsächlich intelligent ist und selbstständig denken kann, sondern vielmehr Verhaltensmuster und Wortfolgen auf Basis von Wahrscheinlichkeiten und früheren Verwendungen prognostiziert.
Das führt am Ende dazu, dass die von ihm im Rahmen seiner Rede illustrierten entstandenen Textbeispiele teils sehr komische Wendungen nehmen und oftmals ein Punkt erreicht wird, an dem keine sinnvolle Geschichte mehr entsteht, beziehungsweise Kehlmanns voriger Satz nicht mehr mit einer adäquaten Ergänzung seitens der KI bedacht wird (so mögen sich auch ein, zwei seiner Charaktere im fantastischen Ruhm gefühlt haben).
Kehlmann führt nicht ohne Ironie und den ihm und seinen Geschichten üblichen Witz und Charme aus, welchen Eindruck er gewann, wie er versuchte, die KI einerseits anfangs noch ein bisschen zu überlisten, anschließend aber zunehmend auch durch kluge Erzählweise konstruktiv versuchte in seine Geschichte einzubinden.
Der Wert von Kunst und Kultur wird deutlich
Dass es nicht funktionierte, zeigt ganz eindrücklich, wie bedeutend auch menschliche Intelligenz weiterhin sein wird. Ein Computer wird es nach dem derzeitigen Stand der Technik nicht schaffen, von selbst eine fiktive und in sich konsistente Geschichte zu schreiben. Das beruhigt ein wenig, denn es zeigt, dass der Mensch eben doch nicht so einfach ersetzt werden kann. Vor allem für die Kunst, die dieser Tage bekanntermaßen sehr unter Corona und den damit einhergehenden Auftrittsverboten leidet, ist das ein wichtiges Signal.
Dies gilt aber auch für die möglichen Rezipienten, die Leserinnen und Leser, die Kunstfreundinnen und -freunde. Vermutlich sollten wir noch viel öfter in uns gehen und uns fragen, wie viel uns gute Kunst, Literatur, Musik oder jegliche andere Form von Kultur bedeutet und wert ist. Und dass wir eben auch weiterhin zwischen guter und schlechter Kunst, etc. differenzieren müssen (und wozu wir bei the little queer review selbstverständlich einen Beitrag leisten wollen). Daniel Kehlmanns Büchlein Mein Algorithmus und ich lädt auf jeden Fall zur Reflexion ein und beschreibt den Wert von Kunst und Kultur anhand eines spannenden und anregenden literarischen Experiments. Die Lektüre seiner Rede bereitet gleichzeitig Freude und weckt Interesse und sei daher jeder Trägerin und jedem Träger von Natürlicher Intelligenz empfohlen.
HMS
Eine Leseprobe findet ihr hier.
Daniel Kehlmann: Mein Algorithmus und ich; 1. Auflage, März 2021; 64 Seiten; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-608-98480-4; Klett-Cotta Verlag; 12,00 €; auch als eBook
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