Triell, die Erste, nicht im Ersten

Dieser Kommentar ist Teil unserer Kategorie Superdupermegawahljahr 2021.

Gestern Abend war es so weit: Das erste große offizielle TV-Triell der Kandidatinnen und Kandidaten um das in der inoffiziellen protokollarischen Rangfolge dritthöchste Amt des Staates ging bei RTL/ntv mit, nach Angaben der Mediengruppe RTL, Top-Quoten über die Bühne (und nun auf TVNOW verfügbar). Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Armin Laschet (CDU/CSU) und Olaf Scholz (SPD) stellten sich den Fragen von Pinar Atalay, die erst kürzlich von der ARD zu RTL gewechselt war und einen grandiosen Jumpsuit trug, und RTL-Veteran Peter Kloeppel, schopfabwärts primär in blau, darauf ganz in weiß.

Streit um Inhalte

Wir wollen uns an dieser Stelle gar nicht allzu sehr in einer inhaltlichen Wiedergabe des Abends suhlen, diese könnt ihr beispielsweise beim Redaktionsnetzwerk Deutschland oder auch der Süddeutschen Zeitung (inklusive eines leichten Faktenchecks) finden, sondern ein, zwei Gedanken im Nachgang teilen. Vorweg sei erwähnt, dass wir recht angetan waren von der Dynamik, die die erste Debatte der bundesdeutschen Geschichte mit drei Kandidierenden entwickelte, nicht zuletzt natürlich auch dank eines durchaus gekonnten Frage- und Nachfrageschemas von Atalay und Kloeppel.

In der Tat kann der Abend also schon einmal als historisch bezeichnet werden, wenn das auch nicht zu hart überzogen werden muss. In einem Mehrparteiensystem sollte es nicht zu Schnappatmung führen, wenn da mal mehr als zwei Personen um die Führung der kommenden Wahlperiode streiten. Und Streit gab es. Wenn auch – glücklicherweise – zumeist sehr sachlich und häufig vor allem auf inhaltlicher Ebene. Wir hatten es schon in unserer Instagram-Story erwähnt: Zeit wird’s! 

Berlin, 29.08.2021: Armin Laschet nach dem „Triell“ im VIP-Zelt. Zweite vorne rechts ist übrigens Bundestagskandidatin Wiebke Winter, die Laschet heute Mittag als Teil seines Dreier-Teams für den Klimaschutz vorgestellt hat. // Foto: © TVNOW/Jörg Carstensen

Zeit wurde es in jedem Fall für den einmal als schon nahezu gesetzt gegolten habenden CDU-Kandidaten Armin Laschet (wobei wir uns hier auch streiten können, warum wer das als so sicher gesehen haben wollte), der in den letzten Wochen immer tiefer in den Umfragen und damit auch in der Versenkung verschwand. Zeitweilig meinte man, dass der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak der Kandidat sei. Laschet jedenfalls nutzte den Abend, um auf Angriff zu gehen, vor allem auf die Kandidatin der Grünen, Annalena Baerbock. Das Problem dabei war, dass seine Angriffe sich oftmals im Dunst wenig konkreter Anwürfe verloren.

Annalena vs. Armin

Auch hatte Laschet das große Problem, sich in Bezug auf Afghanistan zwar kritisch äußern zu wollen, auch zu müssen, aber schlecht als Opposition auftreten zu können. Zwar war er nicht Teil der Regierung, aber eben doch der CDU. So mäanderte der gute Armin viel, verlor sich oft in sehr, sehr halbgaren Antworten und schien nicht recht zu wissen, was er dort außer Angriff gegen Annalena tun sollte und beim Punkt Entwicklung von Sprache und Gendern wurde es dann auch mindestens seltsam bis hochnotpeinlich.

Die hingegen fand gut und schnell in die Sendung, hatte natürlich in puncto Afghanistan die Karten auf ihrer Seite: Opposition, den Einsatz zwar aus Verantwortung mitgetragen, aber kritisch geblieben, bereits im Juni einen Antrag zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte in den Bundestag eingebracht und so weiter. Ihre Vorwürfe gegenüber Armin Laschet und Olaf Scholz, beziehungsweise gegen die zuständigen Ministerien, waren nachvollziehbar und Widerspruch schwer möglich. 

Berlin, 29.08.2021: Annalena Baerbock nach dem „Triell“ im VIP-Zelt. Nach inhaltlich hitziger Debatte und engagierter Performance ist so ein Weißwein sinnvoll und wohlverdient. // Foto: © TVNOW/Jörg Carstensen

Auch schaffte sie es gut, sich gegen Armin Laschet zu behaupten, der etwas tat, das er manches Mal tut, wenn er bestimmt und resolut wirken will, nämlich sie unzählige Male zu unterbrechen. Es steht zu vermuten, dass auch, wer Annalena Baerbock und ihre Partei nicht sonderlich schätzt, dies das eine oder andere Mal als stark enervierend und unnötig empfand. Was war das? The Real Housecandidates of Berlin Bubble, Reunion Part One?! Nee, nee, Armin so nicht. 

Olaf „Sie kennen mich“ Scholz

Olaf Scholz hingegen trat staatsmännisch auf, beinahe schon wie ein Elder Statesman. Er war durchaus bereit anzuerkennen, dass einiges nicht so gut gelaufen sei, gerade wieder bezogen auf Afghanistan (umso abgefuckter ist es, dass er sich kürzlich im ZDF-Sommerinterview mit Shakuntala Banerjee nicht klar dazu äußern wollte, ob Außenminister Heiko Maas in einer künftigen SPD-Regierung noch einen Platz am Kabinettstisch hätte). Anderes dafür sei ganz famos gelaufen, auch und vor allem in der Zusammenarbeit mit Angela Merkel, als deren legitimer Nachfolger er sich geriert. So etwa: „Sie kennen mich, aber anders.“ 

Sein zumeist ruhiges und bedachtes Auftreten verdeckte auch sehr gut, dass er im Grunde kaum etwas sagte, inhaltlich der blasseste von allen drei Kandierenden blieb und etwas zu perfektionieren zu suchen scheint, das man Kanzlerin Merkel wahlweise vorwarf oder neidete: die Teflonbeschichtung. Ein Bekannter, Schauspieler Ralph Kinkel (den ihr ab morgen in einer Hauptrolle der ZDFneo-Sitcom The Drag and Us sehen könnt), schrieb mir dazu: „Ich bin geschockt wie souverän Scholz ist. Wenn ein Kandidat auf Augenhöhe mit den Moderatoren souverän ist, ist das erschreckend telegen. Das beeindruckt mich gerade im Vergleich mit den anderen beiden schon sehr!“ Das kann mensch so stehen lassen.

Berlin, 29.08.2021: Olaf Scholz nach dem „Triell“ im VIP-Zelt. Läuft, sagt er sich sicherlich, läuft. // Foto: © TVNOW/Jörg Carstensen

Die Souveränität verlor Scholz allerdings ein wenig als Laschet sich anschickte, Koalitionsoptionen für nach der Wahl zu prophezeien. Rot-rot-grün, also eine Regierung mit der Linkspartei, konnte oder wollte Scholz nicht ausschließen, auch wenn er die Latte dafür hoch legte. Ein klares Bekenntnis gegen die Beteiligung der SED-Nachfolgepartei sieht allerdings anders aus und frei (und nicht ganz unberechtigt) nach Laschet: Wer Scholz wählt, könnte mit (Saskia) Esken und (Kevin) Kühnert aufwachen.

Glanz und Schwurbelia

Apropos telegen: Dass Annalena Baerbock in der Mitte platziert war, war fein, passend auch für ihre „Rolle“ als Oppositionskandidatin und zudem stach ihr Outfit positiv heraus, die Farbe ihres Hosenanzugs funktionierte fantastisch in dem Studio und erinnert wohl nicht zufällig an den Einband ihres Buches, das zu Diskussionen führte. Wohingegen Scholz irgendwie aussah als wüsste er nicht, ob er sich für eine Beerdigung oder als Trauzeuge für eine Hochzeit kleiden sollte, also irgendwie schwarz mit ein wenig Glanz, aber nicht zu viel. Für einen solchen Anlass ein seltsames Outfit, auch wenn er damit vermutlich Bedrücktheit und Respekt ausdrücken wollte. 

Ansonsten sah eine repräsentative Forsa-Umfrage direkt nach dieser trotz mancher Schwurblerei interessanten, erstklassig von Pinar Atalay und Peter Kloeppel angeleiteten Debatte Olaf Scholz als (klaren) Sieger, siehe den oben angebrachten Gedanken, Baerbock zumeist als Zweite und Laschet als Dritten oder Verlierer. Was unterm Strich nur bedeutet, dass eine erste Runde nichts Wesentliches dreht, aber doch zur Meinungsbildung beiträgt. Bleibt nur zu hoffen, dass bei der hohen Anzahl an Briefwähler*innen nicht schon alle der nicht ohnehin stark festgelegten Wählenden vor den kommenden Debatten ihre Briefe verschickt haben werden. 

Eure queer-reviewer

Das Triell: Baerbock, Laschet, Scholz – Im direkten Schlagabtausch! könnt ihr auf TVNOW streamen, ebenso die etwas spezielle, aber nicht uninteressante Analyse im Anschluss, moderiert von Frauke Ludowig mit Günther Jauch (nein, steht nicht zur Wahl und schwurbelt doch auch nur), Louisa Dellert (ihr Buch WIR – Weil nicht egal sein darf, was morgen ist. besprechen wir zum Erscheinen Mitte September), Micky Beisenherz, Motsi Mabuse (die viel unterbrochen wurde…) und Nikolaus Blome (der immer seltsamer wird). 

Einfach, weil’s ein schönes Bild ist: Berlin, 29.08.2021: Moderatorin Frauke Ludowig (Mi.) mit Sophia Thomalla und Aleks Bechtel (r.). // Foto: © TVNOW/Jörg Carstensen

PS: Trinkspiel fürs nächste Triell: Ein Kurzer für jedes Scholz’sche „Respekt“, einen Schluck Weißwein für Baerbock’sche „sozialverträgliche Klimapolitik“ und einen Schluck abgestandenen Bieres für Laschet’sches „Na, nein…“. 

PPS: Für die kommenden Trielle wünschen wir uns mehr zu den Themenkomplexen Generationengerechtigkeit, Rente, Infrastruktur, Menschenrechten und Familie.

PPPS: Ab Ende dieser Woche veröffentlichen wir unsere Interviews mit den derzeitigen queerpolitischen Sprecher*innen der demokratischen im Bundestag vertretenen Parteien. Beginnen werden wir mit Jens Brandenburg, FDP.

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