Vor vier Jahren fanden die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang, Südkorea, statt. Seit gestern laufen nun die aktuellen Spiele in Beijing. Genau dieses Zeitintervall verbrachte Moritz Seitz (Thomas Heinze) im Kölner Tatort: Vier Jahre im Gefängnis, kommt im aktuellen Fall von Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) aber jetzt raus.
„Life must go on“
Grund ist die Aussage von Ole Stark (Martin Feifel), der direkt zu Beginn der Folge zur Polizei geht und den Mord an Thore Bärwald (Max Hopp) gesteht, für den Seitz vor einer Olympiade ins Gefängnis wanderte. Dieses Geständnis aus heiterem Himmel und ohne ersichtlichen Grund veranlasst die beiden Kommissare dazu, trotz prompter Revision und Verurteilung Starks den Hintergründen nachzugehen.
Während Stark versucht, im Gefängnis seine Abstinenz zu trainieren, muss der früher im Schauspielbusiness erfolgreiche Seitz feststellen, dass das olympische Motto von München nach dem brutalen Terroranschlag der palästinensischen Terrorgruppe „Schwarzer September“ 1972 auch für ihn und seine Familie galt: „The Games (oder besser: Life) must go on!“
Der Pool, in dem Bärwald seine tödlichen Schwimmübungen zum damaligen Silvesterfest absolvierte, ist verwittert, ebenso seine Ehe. Während Tochter Lene (Sarah Buchholzer) offenbar aus ihrer Depression herausfinden konnte, hat sich seine Frau Carolin (Nina Kronjäger) einen neuen Team-, äh Lebenspartner gefunden. Es ist ausgerechnet der am Abend des Todesfalls Dienst habende Polizist Frank Heise (Florian Anderer), der sich im Leben von Moritz‘ Familie eingenistet hat. Zufall?
Perspektivverschiebung
Spröder Charme und die verzweifelte Suche nach der besseren Vergangenheit prägen diesen Tatort aus Köln – übrigens nicht den ersten, der sich mit der Resozialisierung vormaliger Strafgefangener beschäftigt. Moritz Seitz hatte gehofft, an die schöne Vergangenheit anknüpfen zu können, muss aber erkennen, dass sich die Welt weitergedreht hat.
Wir nehmen – eher untypisch – also sehr stark die Perspektive des vermeintlich falsch Verurteilten ein, während die eigentlichen Protagonisten, Ballauf und Schenk, zwar mehr oder weniger sauber und nachvollziehbar ermitteln, aber Seitz doch die Hauptidentifikationsfigur ist. Norbert Jütte (Roland Riebeling), der dynamische Geher und Assistent der beiden Kommissare, taucht sogar gar nicht auf in diesem so täterzentrierten Fall – ein großes Minus auf der Unterhalltungsskala!
Sieger der Herzen oder erster Verlierer?
Als Zuschauerin oder Zuschauer weiß mensch nicht unbedingt: Sollen wir mit Seitz leiden, ihn in seinem Kampf um die Familie und das Anwesen innerlich unterstützen? Oder wollen wir ihm sagen: Silber ist zwar der erste Verlierer, aber dennoch: Du hast dein Leben wieder, trauere deinem alten nicht zu lange hinterher.
Ähnlich wie bereits im jüngsten Saarbrücker Tatort wird auch dieses Mal der eigentliche Fall somit durch die Erzählung eines menschlichen Dramas überlagert. Das ist nicht schlecht, hält die Zuschauerinnen und Zuschauer am Sonntagabend vermutlich auch wach, aber größtes Kino ist es auch nicht. Die abschließende Auflösung des Falles deutet sich auch bereits sehr früh an, aber typisch Tatort bleibt die eigentliche Spur lange sehr am Rande, bis sie gegen Ende endlich in den Mittelpunkt gefahren wird.
Obwohl es kein Übermaß an Spannung in diesem Fall von Regisseur Torsten C. Fischer gibt, ist er aber nach dem Drehbuch von Wolfgang Stauch dennoch relativ fesselnd erzählt und als Zuschauerin oder Zuschauer fiebert mensch dennoch gut mit den handelnden Figuren mit. Von daher bietet der Tatort: Vier Jahre vielleicht nicht die Spannung oder den Wortwitz, die wir beispielsweise vom Neujahrstatort oder dem letzten Polizeiruf 110 kennen, aber es ist dennoch eine brauchbare Unterhaltung für den Sonntagabend.
HMS
Tatort: Vier Jahre wird am 6. Februar 2022 um 20:15 Uhr im Ersten ausgestrahlt und um 21:45 Uhr auf one. Anschließend ist er für sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.
Tatort: Vier Jahre; Deutschland, 2022; Drehbuch: Wolfgang Stauch; Regie: Tosten C. Fischer; Musik: Daniel Hoffknecht; Darstellende: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Joe Bausch, Thomas Heinze, Nina Kronjäger, Martin Feifel, Franziska Arndt, Renan Demirkan, Florian Anderer, Sarah Buchholzer, Max Hopp, Manfred Böll, ; Laufzeit: ca. 89 Minuten; Eine Produktion von Bavaria Fiction (Niederlassung Köln) im Auftrag des WDR für die ARD.
Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitstzeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun. Vielen Dank!
Comments