Endzeitklima

Frankfurt am Main – Drehkreuz des deutschen und europäischen Flugverkehrs. Ursprünglich wollte die Fluggewerkschaft UFO an diesem Wochenende diesen Lufthansa-Standort bestreiken. Auch wenn es nun nur die Tochtergesellschaften trifft, Luisa Neubauer und Alexander Repenning, die Autoren des Buches Vom Ende der Klimakrise – Eine Geschichte unserer Zukunft dürfte das nach einem Sommer, in dem der Begriff „Flugscham“ Prominenz erlangte, durchaus Freude bereiten. Sie selbst verweilen vermutlich selbst aktuell in Frankfurt – haben sie doch pünktlich zur diesjährigen Buchmesse ihr o. g. Buch herausgebracht. Dieses Buch und die darin getätigten Äußerungen sollen nun im Folgenden besprochen werden.

Dreigeteilte Struktur mit regelmäßigen persönlichen Einschüben

Vom Ende der Klimakrise handelt von der im öffentlichen Diskurs in den vergangenen Monaten dominierenden Thematik: der aus Sicht von Neubauer und Repenning vollkommen verfehlten Klimapolitik in Deutschland und darüber hinaus. Als Aktivisten von Fridays for Future erlangten die beiden zuletzt bundesweite Aufmerksamkeit und machten sich einen Namen als Meinungsführer dieser Jugendbewegung.

Das Buch ist grob in drei Abschnitte strukturiert. In den ersten drei Kapiteln legen die Autoren dar, welche Tragweite der Klimawandel global und lokal hat, welche Probleme hieraus erwachsen und welche auf den ersten Blick recht unterschiedlichen Themen damit zusammenhängen.

In den Kapiteln vier bis neun stellen Neubauer und Repenning verschiedene Wahrnehmungen der Klimakrise dar. So wird diese beispielsweise zur „Kommunikationskrise“, „Verantwortungskrise“ oder „Gerechtigkeitskrise“ deklariert.

In den letzten drei Kapiteln wenden sich die Autoren direkt an ihre Leser. Mit Titeln wie „Informiert euch!“ oder „Organisiert euch!“ geben sie klare Aufforderungen an die Leserschaft, wie diese selbst einen Beitrag dazu leisten kann und soll, die Klimakrise abzuwenden oder vielmehr in die kollektive Aufmerksamkeit zu rücken.

Als weitere Auffälligkeiten in dem Buch fallen einem die konsequente Nutzung des Gendersternchens sowie die regelmäßigen Einschübe der Autoren, in denen sie von eigenen Erfahrungen berichten, ins Auge. Letztere sind zumeist recht anschaulich und legen auf individueller Ebene dar, wie die Thematik für die Autoren zu einem so großen Teil ihres Lebens wurde. Dabei kommt es allerdings zu einem eher deutlichen Überhang an Einschüben von Luisa Neubauer, während ihr Co-Autor Alexander Repenning weniger offenbart.

Aggressive und polemische Sprache durchzieht das Buch

Es ist spannend und, im negativen Sinn, aufregend, zu lesen, wie die Autoren sich mit der Klimakrise auseinandersetzen. Fridays for Future wurde durch zivilen Ungehorsam bekannt und dadurch, dass sie ihre Anliegen lautstark „den Verantwortlichen“ vortragen. Auffällig dabei ist, wie sehr die teils aggressive und fast schon polemische Sprache aus den wöchentlichen Demonstrationen Eingang in das Buch gefunden hat. Der Begriff der „Klimakrise“ ist da schon fast harmlos. Anerkennung und Respekt vor den Leistungen älterer Generationen werden an dieser Stelle zur Seite gewischt. Natürlich ist diese Strategie ganz bewusst gewählt, um Reaktionen wie meine zu provozieren. Die schwedische Klimaikone Greta Thunberg lässt mit ihrem jüngst vor den Vereinten Nationen bekannten Ausspruch „How dare you?!“ grüßen. Das sollte jedoch nicht verschleiern, dass die Generation Neubauer von diesem in der Vergangenheit erarbeiteten Wohlstand profitiert und Altbauwohnungen am Studienort beziehen oder Ausflüge nach London machen kann – auch wenn die Autorin letzteres nun nach eigenem Bekunden unterlässt. 

Den Eltern und Großeltern mit großer Polemik und offensiver Rhetorik vorzuwerfen, die Zukunft der heute jungen Generation zu verspielen, ist einfach. Am Ende wird der Gedanke aber nicht zu Ende gebracht. Wenn die Älteren tatsächlich in die Verantwortung gezogen werden sollen, dann gibt es hierfür weit probatere Mittel als die umstrittene und als ein Mittel ins Spiel gebrachte Vermögenssteuer (S. 203). Wenn die alte Generation schon schuld an der aktuellen Lage ist, wie wäre es denn mit drastischen Maßnahmen wie einer Rentenkürzung? Die SPD, die in dem Buch über Gebühr geschont wird (seit Amtsantritt von Angela Merkel stellte sie übrigens für 10 von 14 Jahren den Umweltminister), will sich ja an anderer Stelle – Stichwort Grundrente – ohnehin an den Sozialkassen vergehen. Aber entweder kommt diese Idee den Autoren nicht oder sie sehen, wie radikal diese Forderung wäre. In jedem Fall ist die eigene Radikalität hier nicht zu Ende gedacht.

Die polemische Sprache wird als bewusstes Stilmittel verwendet, was sich seit Monaten im öffentlichen Diskurs niederschlägt. Auch die AfD profitiert vom selben Mechanismus (und verspricht übrigens auch seit Jahren ein Rentenkonzept). Gegründet in der Euro- und Finanzkrise, groß geworden mit der Flüchtlingskrise. Die Autoren machen sich nun die nächste Krise zu Eigen, ohne dabei zu merken, wie sehr sie sich der Mittel des Populismus bedienen und sich zudem sich nicht selten in Widersprüche verstricken.

Ideologiegetriebene Widersprüche durchziehen das Werk

Luisa Neubauer gibt in einer persönlichen Bemerkung zu Protokoll, wie unsinnig sie die auf Podiumsdiskussionen fast obligatorische Frage hält, was jeder Einzelne für den Klimaschutz tun könne (S. 90/91). Gleichzeitig gibt es an mehreren Stellen die explizite oder auch implizite Aussage, dass es auf das Handeln jedes Einzelnen ankomme und jeder etwas tun könne und müsse, um der Krise Herr zu werden. Natürlich besteht die offenkundige Gefahr, dass man sich etwas vormacht, wenn man glaubt, dass ein Verzicht auf Plastikstrohhalme oder eine Flugreise genug Einschränkung sind und man sich in die grüne Hängematte legen könne. Dennoch: Gerade wenn es so sehr auf jeden Einzelnen ankommt, ist es doch wichtig, die Menschen durch kleine Schritte zu animieren, ihr Leben sukzessive anzupassen und so einen graduellen Wandel einzuleiten. Das ist genau die Vorgehensweise, die die viel gescholtenen Politiker namens Merkel, Lindner, Altmaier o. ä. vorschlagen und die seitens der Aktivisten und Buchautoren so verdammt wird.

Dasselbe gilt für den Bereich der Innovation und somit einer zentralen Marktkomponente. Die Autoren halten es für einen Trugschluss, dass der Markt und ihm inhärente technische Innovationen so viel dazu beitragen können, das Klima zu retten (S. 149/150). Das mag durchaus korrekt sein, eine so pauschale Aburteilung wird der Bedeutung von Innovation jedoch nicht gerecht. Umgekehrt wird im Kapitel „Fangt an zu träumen!“ eine Utopie entworfen, die ohne technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt nicht umsetzbar sein wird. Die Diskrepanzen zwischen Realität und Wirklichkeit sind offenkundig und sollten den Autoren im vielleicht größten absolutistischen Anspruch seit Ludwig XIV. – welch Ironie, dass ausgerechnet er als Sonnenkönig bezeichnet wird – selbst zu denken geben.

Radikalismus „auf die denkbar destruktivste Weise“

Der Absolutheitsanspruch ist zweifelsohne ein großes Problem der gesamten Bewegung und wird in dem Werk mehr als deutlich. Neubauer und Repenning tragen ihre Anliegen mit einer Überzeugung vor, dass man sich an manchen Stellen fast eingeschüchtert vorkommen muss. Sie stellen die rhetorische Frage, was daran radikal sei, „umwelt-, klima- und gesundheitsschädliche Praktiken zu verbieten“ (S. 144). Sie schreiben davon, dass jenseits von Veggieday und Tempolimit Verzicht geübt werden müsse. Das stimmt wahrscheinlich auch, aber staatlich verordneter und am besten noch überwachter Verzicht führt in genau die Ökodiktatur, die aus dem (sehr) konservativen und liberalen Lager kritisiert wird. Die Einschränkung von Freiheiten, Radikalismus „ auf die denkbar destruktivste Weise“ (S. 144), aber ist alles andere als demokratisch, genau so wenig, wie die Kontrolle der Medienberichterstattung. 

Diese Berichterstattung wird vor allem im Kapitel zur „Kommunikationskrise“ gescholten. Gar beängstigend wird es auf den Seiten 81 und 86, wo implizit den Medien und der Gesellschaft die Diskursfähigkeit abgesprochen und weitere Totalitarismusgedanken geäußert werden. Beim Lesen dieser Passagen musste ich – nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal während dieser Lektüre – an Maos Pamphlet „On Guerrilla Warfare“ denken. Wer sieht, wie Peking mit den Protesten in Hongkong der letzten Monate umgeht, der sollte sich genau überlegen, ob er Forderungen erhebt, die auch nur ansatzweise in diese Richtung gehen. Und das im 70. Jahr der Volksrepublik China und im 30. Jahr der deutschen Einheit!

Ein Gedanke noch zum Thema Kommunikation: Neubauer und Repenning beklagen an vielen Stellen, dass wissenschaftliche Forschung seit Jahrzehnten ignoriert würde, sonst gäbe es keine Klimakrise. Als aufgeklärter Europäer muss man dem entgegnen: Wieso haben die Wissenschaftler denn jahrzehntelang nicht genügend Energie und Ressourcen in die bessere Kommunikation ihrer Ergebnisse gesteckt? Teil eines ordentlichen Forschungsprogramms ist ein Plan zur wirksamen Kommunikation der Ergebnisse. Dem Lamento, dass Forscher nicht genügend gehört wurden, obzwar Kommunikationsmethoden wie das „Framing“ nicht erst seit dem ARD-Handbuch in der Kommunikationswissenschaft bekannt sind, lässt sich auf ebendiese Gruppe rückübertragen. Forschungsteams und deren Vorhaben sollten in der Mediengesellschaft so ausgestaltet sein, dass sie ihre Anliegen angemessen kommunizieren. Dieses Versagen anderen Gruppen anzulasten, ist etwa so fair wie manche Entscheidungen, die den HSV in seinen bislang letzten beiden Spielzeiten in der 1. Fußball-Bundesliga zu halten.

Politik und Wirtschaft verstehen uns nicht – wir sie aber auch nicht

Ein letzter Punkt, der an dieser Stelle angesprochen werden soll, ist das Verständnis der Autoren von Wirtschaft und vor allem Politik. Zuerst zur Wirtschaft:

Natürlich sind es stets das böse Kapital, die bösen Konzerne und die bösen, alten weißen Männer, die Schuld tragen. Es ist erstaunlich, dass der Name „Karl Marx“ in Vom Ende der Klimakrise lediglich zweimal auftaucht, ist das Buch doch von sozialistischen Ideen durchzogen wie Ostdeutschland von Funklöchern. Kritik an sozialistischen Ideen gibt es genug und sie soll an dieser Stelle nicht noch einmal ausgebreitet werden. Der Leser sollte nur darauf gefasst sein, auch in dieser Hinsicht gedanklich eher in der Nähe des Platzes des Himmlischen Friedens als des Platzes der Republik zu sein.

Stichwort Platz der Republik: So oft, wie Neubauer und Repenning laut ihrer Aussagen freitags zwischen Berliner Invalidenpark und Reichstag pendeln, beweisen sie erstaunlich wenig Kenntnis von demokratischen Entscheidungsstrukturen der deutschen Politik. Neubauer kritisiert in einem ihrer Einschübe, dass die Bundeskanzlerin ganz offen verspreche, der Klimaschutz könne „ja auch mal einen Tag dauern“ (S. 64). Das stimmt natürlich. Gesetze müssen in demokratischen und formellen Verfahren verabschiedet werden. Alles andere wäre eben nicht demokratisch, auch wenn es durchaus Prozesse gibt, die man hin und wieder hinterfragen muss. 

Aber die Klimaproblematik ist eben nicht der primus inter pares, sondern aus politischer Sicht erst einmal ein Problem genau wie jedes andere. Davon haben wir viele in Deutschland und der Welt. Wer auf thelittlequeerreview.de ein wenig durchscrollt, wird merken, wie groß die Bandbreite ist, mit der sich Politiker beschäftigen müssen (bei uns natürlich auch mit einem Fokus, nämlich Politik, Gesellschaft, Kunst, etc. aus queerer Sicht).

In der Politik und in der Gesellschaft gibt es Interessen. Interessen organisieren sich und bilden eine Vertretung. Diese Logik wird von den Autoren in quasi jedem Kapitel gescholten – um im letzten Kapitel genau ins Gegenteil verkehrt zu werden. Dort rufen Neubauer und Repenning dazu auf, dass sich die Gesellschaft organisieren solle, um für das Klima zu kämpfen. Sie merken dabei aber nicht, dass sie sich genau der – demokratisch legitimen – Mittel bedienen, die sie an anderer Stelle kritisieren. Auch der Klimaschutz ist ein Interesse (eines, dem jeder von uns Beachtung schenken sollte). Auch der Klimaschutz bedarf Organisation, um durchgesetzt zu werden. Wer aber wie die beiden so sehr auf sein eigenes Thema fokussiert ist, merkt nicht, wie wichtig es für den sozialen Frieden, dem die Autoren in ihrem Kapitel zur „Gerechtigkeitskrise“ durchaus Beachtung schenken, ist, dass alle Interessen zu einem Ausgleich gebracht werden.

Neubauer und Repenning kritisieren schließlich, dass der politische Prozess die Jugend nicht abbilde. Das stimmt an manchen Stellen tatsächlich. Die Abgeordneten im Deutschen Bundestag unter 30 Jahren lassen sich an ein bis zwei Händen abzählen. Und natürlich haben die Parteien ein massives Problem, wenn sie vor allem die ältere Generation – die aber auch heute die Mehrheit der Gesellschaft ausmacht – repräsentieren. Dennoch fällt ihnen als Gegenmittel überwiegend der öffentliche Protest ein. Von der Co-Autorin Luisa Neubauer ist bekannt, dass sie Mitglied der Grünen Jugend ist, bei Herrn Repenning ist laut Klappentext nur bekannt, dass „er sich für politische Partizipation, Klimapolitik und globales Lernen“ engagiere. Was aber hindert die jungen Menschen daran, Teil des formellen politischen Prozesses zu werden?

Eine Mitgliedschaft in einer Partei oder deren Jugendorganisation ist für junge Leute oft ohne großen Aufwand zu haben. Auch die Kosten halten sich im überschaubaren Rahmen. Die Mitgliedschaft in einer Partei ist ein sehr probates Mittel, Politik, ihre Prozesse und die gemeinschaftliche Willensbildung kennenzulernen. Öffentlicher Protest ist in der Tat eine legitime Möglichkeit, eine Meinung zu artikulieren und Druck auf politische Verantwortungsträger auszuüben. Aber es ist beileibe nicht der einzige Weg, als der er porträtiert wird. Das klassische Engagement in einer Partei, deren Jugendorganisation oder auch einer anderen Bewegung wird nicht einmal als Möglichkeit in Erwägung gezogen. Das unterstreicht noch einmal, wie wenig die Autoren über politische Prozesse wissen, gleichzeitig jedoch den Eindruck vermitteln, den Königsweg gefunden zu haben.

Fazit

Vom Ende der Klimakrise ist ein Pamphlet der ökologischen und durchaus wohlhabenden Jugend, die sich eine lebenswerte Zukunft wünscht und die ältere Generation für deren Versäumnisse in Haftung nehmen möchte. Dabei schrecken die beiden Autoren nicht von der von Fridays for Future bekannten Polemik und Übertreibung zurück. Sie zeichnen ein Weltbild, das man durchaus vertreten kann, aber das – anders als sie behaupten – nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warf Fridays for Future zu Beginn der Bewegung in einer unglücklichen Äußerung entgegen, dass man Klimaschutz mal besser den Profis überlassen solle. 

Genau so wenig wie Herr Lindner haben die Autoren oder die Fridays-for-Future-Bewegung die eine Wahrheit für sich gepachtet. Jeder sollte sich die Argumente der anderen Seite anhören, abwägen und die für sich selbst richtigen Schlüsse daraus ziehen. Vom Ende der Klimakrise legt die Weltsicht der ökologischen Jugend dar, sehr oft auch sehr deutlich. Wer sich diese Argumente zumindest einmal anhören möchte, der wird mit der Lektüre des Buches auf jeden Fall eine gute Wahl getroffen haben. Gleichzeitig sollte beim Lesen immer hinterfragt werden, ob die dargelegte Sicht die einzig wahre ist – meist ist sie es aus Sicht des Rezensenten nämlich nicht.

HMS, Jahrgang 1988

Luisa Neubauer & Alexander Repenning: Vom Ende der Klimakrise – Eine Geschichte unserer Zukunft; Sachbuch; 1. Auflage 2019; 304 Seiten; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-608-50455-2; Klett-Cotta Verlag / Tropen Sachbuch; 18,00€ (eBook 13,99€)

Unser Schaffen für the little queer review macht neben viel Freude auch viel Arbeit. Und es kostet uns wortwörtlich Geld, denn weder Hosting noch ein Großteil der Bildnutzung oder dieses neuländische Internet sind für umme. Von unserer Arbeitstzeit ganz zu schweigen. Wenn ihr uns also neben Ideen und Feedback gern noch anderweitig unterstützen möchtet, dann könnt ihr das hier via Paypal, via hier via Ko-Fi oder durch ein Steady-Abo tun. Vielen Dank!

About the author

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert