Gruppenbuch mit Damen – „Eine Politik für Morgen“

Beitragsbild: Das Cover auf einer Fotografie von Eddy Galeotti, artwork the little queer review.

Die Mehrheit der Mitglieder der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stellt Ideen & Konzepte für ein zukunftsfähiges Deutschland vor. Das ist durchwachsen, aber nicht uninteressant…

In der 19. Wahlperiode sitzen für die Unionsfraktion 246 Abgeordnete (CDU: 200, CSU: 46) im Bundestag. Es ist die größte Fraktion im 709 Mitglieder starken Parlament; Fraktionsvorsitzender ist seit August 2018 Ralph Brinkhaus. Teil der Fraktion sind insgesamt sechs soziologische Gruppen, wie beispielsweise die Gruppe der Frauen oder der Parlamentskreis Mittelstand, aber auch die Junge Gruppe. Die Junge Gruppe ist der Zusammenschluss von Parlamentariern der CDU/CSU, die zum Zeitpunkt ihrer Wahl jünger als 35 Jahre waren. In dieser Wahlperiode besteht die Junge Gruppe sage und schreibe aus sechzehn Mitgliedern; von diesen haben vierzehn nun ihre Positionen und Kernanliegen der Jungen Gruppe in dem im Februar 2020 im Verlag Herder erschienen Buch Eine Politik für Morgen – Die junge Generation fordert ihr politisches Recht festgehalten.

Die Junge Gruppe unter ihrem Vorsitzenden Mark Hauptmann, gemeinsam mit Ralph Brinkhaus Herausgeber des Buches, versteht sich als Stimme der jungen Generation und setzt sich verstärkt mit den Themen Künstliche Intelligenz, Digitalisierung, innere, sowie äußere Sicherheit, gern verknüpft mit Cybersicherheit, demographischer Wandel und Generationengerechtigkeit auseinander. Diese Schwerpunkte finden sich natürlich auch in ihrem Manifest wieder. Das Hauptaugenmerk liegt dabei bei Weitem auf dem Wort „Innovation“: sei es Cybersicherheit (Christoph Bernstiel), eine „innovationsfreudige Gesellschaft – Politik im Sinne der Generationengerechtigkeit“ (Mark Hauptmann), „KI – Zukunft gestalten“ (Ronja Kemmer), Biotechnologie (Stephan Pilsinger), Klimapolitik (Christoph Ploß) oder auch „Digitalkompetenz im deutschen Bildungssystem“ (Nadine Schön), genauso wie „Die Zukunft der Mobilität“ (Felix Schreiner), Blockchain (Johannes Steiniger) und „Zukunftsfähige ländliche Räume“ (Emmi Zeulner). 

Passend zum Gruppenbild mit Damen nun das Gruppenbuch mit Damen. Die Junge Gruppe der Union der 19. Wahlperiode mit Peter Altmaier. // ©CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag /Junge Gruppe

Selbst das Thema Rentenpolitik (Kai Whittaker) wartet mit dem einen oder anderen innovativen Vorschlag auf. Zum Thema Außenpolitik schreibt Nikolas Löbel einen aufgeklärt-vernunftbegabten Beitrag, Marian Wendt fordert in einer eher kruden Herleitung die „Neuorganisation unserer Sicherheitsarchitektur“; Philipp Amthor fordert in einem tendenziell öden Text eine neue Leitkultur-Debatte und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak wünscht sich „mehr Respekt vor Familien“ und vertritt ein konservatives Familienbild aus Eltern und Kind, allerdings unter Einbeziehung queerer Lebensentwürfe. 

Im Folgenden wollen wir uns ein paar der Beiträge genauer anschauen und uns die Frage stellen, für wen dieses Buch geschrieben wurde.

Cybersicherheit & Blockchain – einfach erklärt

Christoph Bernstiel beschreibt in seinem Beitrag „Cybersicherheit aus der Parlamentsperspektive“ anschaulich die derzeitige Problematik von Sicherheitslücken und mangelnder internationaler Verknüpfung von IT-Sicherheitsstrategien, auch am Beispiel der Krim-Annexion durch Russland und inwieweit dort Cyberattacken im Rahmen hybrider Kriegsführung eine Rolle spielten. Mit einem Blick nach Israel stellt er fest, wie wichtig inzwischen „Produkte der Cybersicherheit ‚made in Israel‘ sind“ (S. 35). Er nutzt aber nicht nur einen weiten Blickwinkel, sondern schaut auch ins Kleine und gibt Hinweise, wie auch jeder einzelne sicherer und bewusster im Internet unterwegs sein kann. Ebenso schaut er auf kleine und mittelständische Unternehmen, um schlussendlich zehn greifbare „Punkte für ein sicheres und digitalisiertes Deutschland der Zukunft“ (S. 39 ff.) zu benennen.

In ihren Beiträgen zu Künstlicher Intelligenz und Digitalkompetenz im Bildungssystem versuchen Ronja Kemmer und Nadine Schön zuerst einmal ein wenig der Skepsis vieler Personen zu begegnen und Ängste auszuräumen, frei nach dem Motto „KI ist nicht gleich Westworld“. Kemmer betont dann auch, wie wichtig KI zum Beispiel im Bereich der Pflege werden dürfte, Stichwort Pflegeroboter und betont, dass sie kein Selbstzweck sein dürfe und dass für durch die Technologie wegfallende Jobs an andere Stelle neue Jobs entstehen. Schön fordert in ihrem etwas durchwachsenen Beitrag mehr Digitalkompetenz in Schule, Studium und Berufsausbildung, zieht das sogenannte Dagstuhl-Dreieck heran und ich freue mich schon, wie man das Frau Schmidt-Hegenmaier, Lehrerin der 3b, vorstellt. Im Versuch den Beitrag vermittelbar zu machen, setzt Nadine Schön dann auch der Einfachheit halber „Digitalkompetenz“ mit „Medienkompetenz“ gleich, was, naja, halt nicht geht. Sie betont weiterhin, wie wichtig natürlich die IT-Sicherheit ist, was natürlich gerade mit Blick auf die schweren Sicherheitslücken der Schul-Cloud des Hasso-Plattner-Insituts durchaus aktuell bleibt. Der Allgemeinplatz-Dauerbrenner „lebensbegleitendes Lernen“ findet auch noch Platz, ebenso wie die Forderung nach einem „neuen, digitalen Mindset“. Hier musste ich unweigerlich schmunzeln und an Rezo, den „alten Zerstörer“ und die eine oder andere Online-Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung denken. 

Johannes Steiniger schafft es in seinem Beitrag „Blockchain: The next Big thing?!“ recht tauglich, den Leser.innen die komplexe und in der Theorie etwas dröge Materie Blockchain, Krypto-Asstes, et al. zugänglich zu machen. Er schließt seinen Beitrag in dem Abschnitt „Politische Handlungsauftäge“ (S. 130 ff.) mit einem Text, der das gesamte Buch ummanteln könnte, u. a. mit den Worten „Zuallererst sollten wir uns an das halten, was wir uns bereits auf die Fahnen geschrieben haben.“ 

Digitalisierung auch für den Klimawandel & die Mobilität der Zukunft

Zum Thema Biotechnologie liefert Stephan Pilsinger ein paar interessante Zahlen, wie auch den aktuellen Stand der Entwicklung, benennt die Unterschiede von grüner, roter und weißer Biotechnologie; äußert sich auch zu CRISPR und Gentherapie. Natürlich fordert er eine herausgehobenere Stellung von Biotechnologie in Deutschland, was eine bessere Finanzierung von Forschung und – wenig überraschend – mehr Digitalisierung bedeutet.

Dr. Christoph Ploß, CDU // © Deutscher Bundestag / Achim Melde

Mehr Digitalisierung benötigt auch Christoph Ploß für die Klima-Vision 2050, mit der er die klimapolitischen Ziele der Jungen Gruppe benennt und Schritte und Forderungen aufzählt: Technologieoffenheit, autonomes Fahren, Ausbau und Modernisierung intelligenter Stromnetze, Produktion von Wasserstoff aus regenerativ hergestelltem Strom von der EEG-Umlage ausnehmen, etc. (vgl. S. 96 ff.). Ein guter Überblick zur Ist-Situation, dem eine interessante Soll-Situation gegenübergestellt wird. Ploß hat heute, am 2.7.2020, im Rahmen der auf einen Antrag der AfD stattgefunden Debatte zur EU-Ratspräsidentschaft eine Rede gehalten, in der er seine Ziele (und vermeintlich die seiner Fraktion) noch einmal wunderbar ausgeführt hat. Die sei empfohlen.

Ergänzt wird das um die Beiträge Emmi Zeulners und Felix Schreiners. Zur Mobilität der Zukunft setzt Schreiner auch auf klimapolitische Förderung und das langfristige Ziel möglichst, CO2arm oder -frei zu fahren. Ebenso müsse stärker in die Infrastruktur investiert werden, wie auch Planungsprozesse einfacher gestaltet werden (vgl. 113 ff.). Damit und mit seiner Forderung (digitale) Moblitätskonzepte nicht nur aus Städten heraus zu denken lässt sich sein Beitrag direkt mit dem Zeulners verbinden. Zeulner zählt nicht nur auf, was der ländliche Raum bietet und benötigt, sondern spricht sich auch für einen Ausbau der ländlichen Infrastruktur wie auch die Ansiedlung von Forschung in ländlichen Räumen aus. Die CSU-Abgeordnete nennt dann als positives Beispiel auch Bayern, wo das in der Tat seit langer Zeit gut funktioniert.

Doch kann man hier durchaus kritisieren, dass Bayern, Baden-Württemberg u. a. Bundesländer schlicht anders funktionieren als Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg. Der Weggang jüngerer Leute hat in Bayern andere Gründe als in Brandenburg. Außerdem ist bspw. in Bayern der Bezug der Menschen dort zu ihrer ländlichen Umgebung ein anderer als bei vielen in der Uckermark. In der einen Ecke Deutschlands gehen die Leute zwar für das Studium weg, schließen aber nicht mit dem Ort ihrer Herkunft ab, in der anderen häufig schon. Da helfen auch Ehrenamt und der Bau einer Bibliothek nicht. Eine Übertragung ihrer Ideen auf ganz Deutschland braucht also mindestens ein Umdenken, wenn nicht gar eine ganz große gedankliche Umstrukturierung der Gen-Y und Gen-Z aus vielen Gebieten des Landes. Diesen Punkt denkt sie leider nicht mit, was den Beitrag etwas halbgar ausfallen lässt.

Auch Generationengerchtigkeit ist ein wichtiges Thema

Zukunft wird natürlich auch in den beiden Beiträgen zum Themenkomplex der Generationengerechtigkeit von Mark Hauptmann und Kai Whittaker nicht außen vorgelassen. Gerade im Lichte des aktuellen Konjunkturpakets (und der Kritik daran durch z. B. den Jugendrat der Generationen Stiftung), wie auch der jetzt kommenden Einführung des Grundrente (und der Kritik an dieser) ein immer wieder aktuelles Thema. Natürlich konnten die beiden Autoren zum damaligen Zeitpunkt nicht um die Corona-Krise wissen. Hauptmann stellt die durchaus allgemeingütige und völlig gerechtfertigte Frage, ob „wir das Land der Dichter und Denker, der Tüftler und Macher weiter voranbringen zu einem Land der Ideen und Innovationen? Oder wird Deutschland zum Land der Skeptiker und Gegner, die in Bedenken, Sorgen und Ängsten vor Neuerungen verharren?“ (S. 45). Als Antwort hierauf formuliert er durchaus bedenkenswerte Vorschläge aus, wie u. a. eine „Rentenbremse“ oder den Vorschlag des Münchner Wissenschaftlers Prof. Axel Börsch-Supan, der die Rentenberechnung an die steigende Lebenserwartung anpasst. Nach diesem wird auf zwei Jahre Berufstätigkeit ein Jahr Rentenbezugszeit angerechnet (vgl. S. 48).

Kai Whittaker, CDU // © Deutscher Bundestag / Achim Melde

Kai Whittaker zählt zu Beginn ein paar der „Renten-Highlights“ der letzten sieben Jahre auf, um sich dann unter dem Motto „Rente ist genauso wichtig wie Klima“ in das Thema zu stürzen. Er kritisiert, dass die Debatte um eine Rentenreform in der Öffentlichkeit so gut wie nicht stattfände, wobei uns doch die Zeit davonliefe (S. 145), was absolut richtig ist. Was eben auch daran liege, dass sich diese Debatte nicht so stark wie „schmelzende Gletscher, verdorrte Felder und überschwemmte Küsten“ (ebd.) darstellen lasse, was ebenfalls absolut richtig ist. Whittaker fordert, dass wir uns die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele zum Maßstab nehmen sollten (wenn auch nicht alle, wie er mit einem Augenzwinkern anmerkt). Er schlägt einen veränderten Finanzierungsmix aus Steuern und Beiträgen vor und denkt darüber nach, Rentenbeiträge in ein kapitalgedecktes System zu investieren, womit „Arbeitnehmer über Rentenfonds an Unternehmen, Immobilien und anderen Vermögenswerten in Deutschland und in der ganzen Welt beteiligt wären“ (S. 149). Das ist, wenn an es mal durchdenkt, ein recht großartiger Vorschlag und Whittaker liefert in seinen Erläuterungen gleich einige der Vorteile mit, was dann auch wieder zu Klima- und Digitalpolitik führt. 

Er nennt dann noch ein, zwei andere Vorschläge die so herumschwirren, wie auch den, dass Kapitalgewinne mit Sozialbeiträgen belastet werden sollten. Das kann man aber – hoffentlich – nur als eine Idee „der Vollständigkeit halber“ abtun, denn sollte die CDU einen solchen Vorschlag ersthaft aufbringen, könnte sie direkt mit der SPD fusionieren und alle wirtschaftsliberalen und den Kern einer Leistungsgesellschaft verinnerlicht habenden Personen können dann in eine von Carsten Linnemann zu gründende Partei eintreten. Ha!

Sicherheit von außen und innen – jedoch nicht zu Ende gedacht

Nikolas Löbel fragt: „Wird Deutschland seiner Rolle in der Welt noch gerecht?“ und beantwortet diese mit einem Jein, macht allerdings gute und realistische Vorschläge, wie daraus ein „Ja“ werden könnte. So fordert er unter anderem in Bezug auf eine sich verändernde Weltordnung „weniger moralgeprägte theoretische Belehrungen aus der Ferne“ (S. 74) sowie eine europäische Armee und betont, wie wichtig eine klare außenpolitische Strategie für Stabilität ist. Ebenso stellt er fest, dass es Frieden in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben könne. Das ist natürlich schwierig, da Russland daran nicht sonderlich interessant zu sein scheint, Normandie-Format hin oder her. Er spricht sich für einen Dialog aus, ignoriert jedoch, dass für Russland der Dialog eher ein Monolog mit Hund ist. 

Ebenfalls um Sicherheit, speziell die innere, geht es im Beitrag von Marian Wendt, in welchem er den Föderalismus als das grundlegende Problem für unsere innere Sicherheit auszumachen scheint, ebenso ein „mangelndes subjektives Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung“ (S. 133). Den Föderalismus sieht er als problematisch, da der Austausch zwischen den Polizei- und Sicherheitsbehörden zwischen den unterschiedlichen Bundesländern nicht sonderlich gut funktioniere (Beispiel, natürlich, Anis Amri), ebensowenig wie zwischen Bund und Ländern. Nun, statt den Föderalismus aufzuheben (wie überhaupt? Das ist verfassungsmäßig laut Art. 79 GG gar nicht möglich) und statt erst einmal unser System völlig umzukrempeln, könnte man sich auch fragen, was die Innenministerkonferenz da nicht schafft, die Kultusministerkonferenz hingegen schon. Zehn der sechzehn derzeit amtierenden Innenminister der Länder stellt übrigens die Union und seit 2005 auch immer den Bundesinnenminister.

Weiter fordert Wendt, dass man die Bundeswehr wieder im Inneren einsetzen solle, ebenso die Aufhebung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Nachrichtendienst, wenn auch unter Kontrolle des parlamentarischen Bundestages. Die Begründungen für die historische bedingten Trennungen (NS-Zeit) seien überholt (S. 142). Ernsthaft? Wenn ich mir anschaue, wie viele Anti-Demokrat.innen derzeit im Bundestag sitzen, welche rechtsgesinnten Umtriebe es bei der Polizei teilweise gibt und wie sie nach und nach ans Licht kommen, was derzeit über die Situation beim Kommando Spezialkräfte (KSK) an die Öffentlichkeit dringt und von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer dagegen unternommen werden muss, oder welche Beobachtungs- und Bedrohungslage der BND-Präsident Thomas Haldenwang uns gerade erst erläutert hat und was so bei der Anhörung von MAD-Präsident Christof Gramm vorm Parlamentarischem Kontrollgremium gesagt wurde, kann ich da nur einigermaßen entsetzt schauen.

In Hinblick auf all das kann man das Argument nur als absolut untauglich und schlicht ignorant bezeichnen. Abschließende Lehren aus einer Zeit, wie der der Nazi-Zeit, lassen sich nicht nach wenigen Generationen ziehen. Wir haben in der Wirtschaftskrise 2008/2009, wie auch in der Flüchtlings- und jetzt in der Coronakrise verfolgen können, wie schnell sich Wut, Hass und Verschwörungsmythen Bann brechen. Es ist ein schmaler Grat und wir wanken da stark. Also Vorsicht mit derlei Forderungen. Parlamentarische Kontrolle hin oder her, die wäre im Zweifel nur Makulatur.

Wendt fordert außerdem ein „europäisches FBI“ (S. 138), meines Wissens nach gibt es Europol; ebenso spricht er sich für „ein zu schaffendes Bundesamt für Nationale Sicherheit“ (ebd.) aus; da gibt es meines Wissens das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, welches man sicherlich ein wenig umstrukturieren könnte. Dass er seinen Beitrag inklusive aller Forderungen, eben um das „mangelnde subjektive Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung“ herum aufbaut finde ich dann objektiv bedenklich. Ein seltsamer, zuweilen ärgerlicher Beitrag.

Verschiedene Familienbilder und Leitkultur

Paul Ziemiak wünscht sich eine entideologisierte Debatte, wenn es um die Rolle der Familie, Rollenbilder innerhalb der Familie und speziell um Kinder geht und sagt „Kinderlärm ist Zukunftsmusik“ (S. 170), schließlich seien sie auch zukünftige Beitragszahler (S. 171), ein Punkt der auch in den Kapiteln zur Generationengerechtigkeit gemacht wird. Ebenfalls freut Ziemiak sich über neue, ergo queere, Familienmodelle. Er wünscht sich mehr familiengerechte Angebote und lobt die Bedeutung der Jungen Gruppe in diesem Zusammenhang, da sie quasi die „Familiengründungsphase“ repräsentiere (S. 172), was natürlich stimmt. Solider Beitrag, nichts Weltbewegendes, aber muss ja auch nicht.

„Junge Abgeordnete“ Philipp Amthor, CDU // © Deutscher Bundestag / Achim Melde

Bleibt noch Philipp Amthor, wenn man so will der prominenteste Beitragende. Sein Thema ist Leitkultur und es ist eher leidig. Nicht etwa weil ich gegen diese Debatte wäre, ganz und gar nicht. Einfach nur weil Amthor kein einziges neues Wort dazu schreibt. Die meisten „seiner“ Gedankengänge greift er von anderen auf (Bassam Tibi, Paul Kirchhofs Verfassungsbaum, …); ab und an bringt er das Wort Grundgesetz ein; den immer wichtigen Punkt, dass Patriotismus nicht Nationalismus ist und niemals sein darf und die nicht neue Forderung nach gleichen Lebensverhältnissen (die ohnehin Hülse ist und bleibt) statt einem „global-urbanen Nirgendwo“ spricht er auch an… Naja. 

Dazu arbeitet er sich ein wenig an Integration und Einwanderung (Stichwort: „Multikulti“) ab, was ihm sicherlich taugt, doch merkt man immer, wenn er über dieses Thema spricht, dass er nicht versteht (oder falls doch, es sich nicht anmerken lässt), dass Integration nicht funktioniert wenn wir Ein- und Zuwanderern unser Grundgesetz und einen Deutschkurs entgegenwerfen, dass kulturelle Unterschiede durchaus ihre Berechtigung haben und wir uns nicht einfach immer hinstellen und sagen können „Wir hatten Goethe!“ (ganz abgesehen davon, dass wohl nicht jeder sog. „Bio-Deutsche“ so völlig firm mit den Werten unseres schönen Grundgesetzes oder Faust I und II ist). Und nicht jeder Zuwanderer steht für Mehrehe und Islamismus. Amthor verkennt die Komplexität des gesamten Themas und ruht sich dann auf dem Gedanken, dass rechte Kräfte aufsteigen, wo konservative schwinden, aus (vgl. S. 19 ff.).

Ein schwerer Fauxpas und latentes AfD-Kuscheln

So, nun, nachdem ihr diese ausführliche Besprechung gelesen habt und eigentlich schon mit der Hälfte es Buches fertig sein könntet, noch ein paar allgemeine Gedanken. Zum einen eine Anmerkung zum Geleitwort von Ralph Brinkhaus. Dort findet sich nämlich der größte Fauxpas. Er gratuliert der Jungen Gruppe zum 30-jährigen Bestehen (muss die Gruppe sich dann eigentlich in fünf Jahren auflösen?), toll. Dann folgen schöne Worte zu Werten wie Würde, Freiheit, etc. Auch toll. Dann jedoch: „Für viele ist es 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges überraschend, dass […]“ (S. 11), ob das nun ein grober Tippfehler ist oder man da einfach einen Text aus der Schublade holte, egal. 75 (!) Jahre nach Kriegsende, im Kontext eines Jahres voller Gedenkfeiern, Festivitäten und Veröffentlichungen und der Schwere der damaligen Zeit ist das ein herber Fehler.  Da hätte auch der Herder Verlag besser aufpassen müssen.

In vielen Beiträgen schwingt auch immer das Thema Zuwanderung, Migration, Masseneinwanderung, etc. mit (ich rede nicht von den Stellen, an denen das Fachkräfteeinwanderungsgesetz richtigerweise zur Argumentation herangezogen wird) und es wird subtil immer in einen negativen, weil unkontrollierbaren, Kontext eingebunden. Das kann man machen. Man sollte sich dann aber auch fragen, ob man diejenigen, die das tatsächlich so absolut sehen, gern als (Kern-)Wählerschaft ausmachen möchte. Dieses unterschwellige Gleichnis Einwanderer = Muslim = Islamist begeistert auch nicht mehr so viele Leute und wenn doch, dann gern die falschen (siehe Bundeswehr im Inneren). Mal so rein taktisch betrachtet. Markus Söder hat das vor nicht allzu langer Zeit recht erfolglos in Bayern versucht und selbst eingeräumt, dass Kuscheln mit der AfD kein so tolles Unterfangen ist. Nachahmung sei daher eher nicht empfohlen.

Mark Hauptmann, CDU // © Deutscher Bundestag / Achim Melde

Ansonsten lässt sich feststellen, dass die meisten der Beiträge als eine Art geschriebenes Vermächtnis der Verfasser.innen (und sicherlich einiger Büroleiter.innen und wissenschaftlicher Mitarbeiter.innen, *hrhrhr*) gelesen werden können. Den Wiedereinzug in den Bundestag vorausgesetzt verbleiben in der nächsten Wahlperiode drei der vierzehn am Buch Beteiligten in der Jungen Gruppe. Auch der Vorsitz der Gruppe muss dann neu geregelt werden. Vielleicht macht es ja Philipp Amthor, so man ihm bis dahin nicht nur die vermeintliche Lobby-Affäre verziehen hat, sondern vor allem auch seinen stümperhaften, unreflektierten und völlig passiven Umgang mit der ganzen Sache. Nur weil wegducken für Horst Seehofer oftmals so gut klappt, heißt das noch lange nicht, dass es für einen jungen Abgeordneten funktioniert, der aufgrund seines Kultfaktors prozentuell mindestens genau so viele Neider und Hater haben dürfte wie Paris Hilton zu ihren besten Zeiten (Cookies Berlin! Whoop Whoop!).

Zielgruppe? Unbekannt.

Bleibt die Frage, für wen dieses Buch geschrieben ist, an dem ich mich hier so abgearbeitet habe. Durchaus nicht wenige Beiträge klingen so, als würde man sich an eine ältere Generation (Hey, Boomer und deren Eltern) wenden und dieser erläutern wollen, wie ihre Kinder und Enkel ticken, ohne dass es gleich Luisa Neubauer sein müsste. Insofern ja, an die wendet man sich wohl. Vermutlich ein schönes Geschenk der jeweiligen Abgeordneten an Besuchergruppen. Ob der Fokus auf Klimathemen bei den Jüngeren verfängt, wird man sehen müssen. Vorgestern jedenfalls kletterten Aktivist.innen erstmal auf die CDU-Parteizentrale in Berlin und verhüllten sie mit schwarzem Stoff, um gegen das Kohleausstiegsgesetz zu protestieren, das eine Greenpeace-Sprecherin als „Farce“ bezeichnete (fairerweise: vor der SPD-Zentrale war auch gut was los). Am Dienstag, 1.7.2020, hat Luisa Neubauer Friedrich Merz attestiert, dass sie ihm und im Grunde der CDU nicht glaube, wenn es um Grüne Herz gehe. Und Friedrich Merz hat vermutlich nicht nur einen Anhänger in der Jungen Gruppe.

Für Personen, die sich gern und eingehend mit Politik beschäftigen steht nichts drin, das man nicht auch erfahren würde, wenn man mal auf die Homepages und Wikipedia-Einträge der Abgeordneten schaut, plus deren hinterlegte Bundestagsreden. Andererseits ist das auch aufwändig, insofern geht das Buch dann schon. Natürlich ist es nicht frei von Allgemeinplätzen und bei so manchem Beitrag möchte man das Sprichwort umdrehen und sagen „Jugend schützt vor Torheit nicht.“ Manch ein.e Beteiligte.r scheint nur sehr wenig Bezug zur eigenen Generation zu haben und einige Gedanken sind undifferenziert und völlig realitätsfern, sei es in Bezug auf Sicherheit oder das Leben im ländlichen Raum.

Für politisch Desinteressierte, also auch Leute ohne Kenntnis des Grundgesetzes, ist selbst dieser Beitrag hier nichts und darum hört der Satz ohne En…tenfutter für Blair Waldorf auf.

AS

Cover / © Verlag Herder

Hier könnt ihr einen Blick in das Buch werfen.

Hauptmann, Mark & Brinkhaus, Ralph (Hrsg.): Eine Politik für Morgen – Die junge Generation fordert ihr politisches Recht; 192 Seiten; Klappenbroschur; ISBN: 978-3-451-39386-0; Verlag Herder; 18,00 €

Dieser Text erscheint in der letzten Sitzungswoche des Deutschen Bundestages vor der parlamentarischen Sommerpause. Gleichsam läuten wir hiermit unsere Reihe Parlamentarische Pause ≠ politische Pause ein. Wir werden in dieser Zeit weiterhin politische Bücher besprechen, Schwerpunktthemen setzen, Interviews führen und uns einiges Spannendes einfallen lassen. Am Ende steht ein Fazit, wie wir den Sommer mit und für euch erlebt haben.

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