Alarmstufe Blau

Als Anfang des Jahres die CORRECTIV-Recherchen zu den „Regmigrations“-Plänen der AfD bekannt wurden, war der Aufschrei in der Gesellschaft groß. Die wesentlichen medialen Kanäle waren voll mit der Thematik und die Straßen voll mit Menschen, die gegen diese Partei protestierten. Ob dieser Protest wirklich etwas gebracht und potentielle AfD-Wählerinnen und -Wähler zurück ins demokratische Spektrum gebracht hat, wird sich beispielsweise bei der Europawahl im Juni zeigen. 

Gleichwohl hätte es bereits im Januar ein Buch der Stunde gegeben, das sich genau mit der Thematik befasst, wie gefährlich die AfD für unsere Demokratie und Teile der Bewohnerinnen und Bewohner Deutschlands ist. Allerdings war das Erscheinen des Buchs erst für Anfang Februar 2024 vorgesehen, also rund zwei Wochen „zu spät“.

Menschenrechte im Fokus

Die Rede ist von Hendrik Cremers Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen Wie gefährlich die AfD wirklich ist, das im Berlin Verlag erschienen ist. Der Titel bezieht sich dabei auf einen Essay des Publizisten Michel Friedman, der ebenfalls in dem Verlagshaus veröffentlicht, das in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert.

Cremer arbeitet beim Deutschen Institut für Menschenrechte und daraus erklärt sich auch sein Ansatz bei diesem Essay von etwa 180 Seiten Länge (zzgl. einer ganzen Reihe von Endnoten). Er betrachtet die AfD aus einer menschenrechtspolitischen Perspektive und sein Urteil ist – wenig überraschend – vernichtend. Was die CORRECTIV-Enthüllungen mit einem medialen Feuerwerk zu Tage brachten, das hat Cremer bereits in seinem Buch eindrücklich dargelegt (ohne die erst durch die Recherchen bekannt gewordenen Infomrationen zu Geheimtreffen in Potsdam natürlich).

Von Führern, Propaganda und Menschenrechten

In sechs Kapiteln plus strukturierender Einleitung und einem appellierenden Schlusskapitel zeigt Cremer, dass die AfD und Menschenrechte nicht so recht zusammenpassen wollen. Er fasst erst die wichtigsten Grundinformationen zur Menschenrechtspolitik zusammen und zeigt daraufhin, wie die zentralen Wahl- und Parteiprograme der AfD hiermit in Konflikt stehen.

Er widmet sich dem nicht erst jetzt aufkeimenden Führerkult um den Thüringer Landeschef Björn Höcke und zeigt, wie die AfD das aktuelle System aus Politik, Gesellschaft und Medien nutzt, um ihre Propaganda zu betreiben und sich selbst als Opfer des Systems darstellt. Mögliche Handlungsoptionen, wie Politik, Gesellschaft, Medien und andere Akteure der AfD entgegentreten können bilden den Abschluss seiner Ausführungen – vor dem bereits genannten Appell.

Durch und durch extremistisch

Die Zusammenstellung von Fakten zur AfD und ihren Zielen ist mehr als überzeugend. Cremer listet viele öffentliche Bekundungen von (ehemaligen) AfD-Verantwortungsträgerinnen und -trägern auf, die alle das menschenrechtsfeindliche Weltbild der Partei darlegen. Alexander Gaulands „Vogelschiss“-Rede oder Björn Höcke mit seinem „Mahnmal der Schande“  fehlen hier ebensowenig wie manch eine Aussage oder Handlung von weniger bekannten Personen, die aber dasselbe Weltbild zu haben scheinen.

Gerade auf Höcke und seiner Rolle in der Partei liegt ein wesentlicher Fokus Cremers, was gut ist, denn vielen dürfte bis heute nicht klar sein, welche Gefahr von diesem Mann tatsächlich ausgeht. Er ist Dreh- und Angelpunkt parteiinternter und öffentlicher Debatten, Strippenzieher im Hintergrund und der wirklich starke Mann der Partei. Mit Alice Weidel beschäftigt er sich ebenfalls, aber beispielsweise ihr Co-Vorsitzender Tino Chrupalla kommt im Vergleich dazu kaum vor. Höcke ist der starke Mann im Hintergrund und das wird hier sehr klar.

Tief und schlagkräftig

Die Zusammenstellung von Fakten, Äußerungen, Positionen und so weiter ist so umfangreich, wie sie auf rund 180 Seiten Textteil eben sein kann. Maria Fiedler und Katja Bauer nehmen sich für ihre im Jahr 2021 erschienene Analyse Die Methode AfD mehr als 300 Seiten und damit fast doppelt so viel Raum wie Cremer hier.

Und dennoch fehlt es Cremers Buch nicht an Tiefe oder Schlagkraft. Gerade für Menschen, die durch die Proteste zu Jahresbeginn aufgeschreckt wurden, sich jedoch noch nicht in aller Ausführlichkeit ihre Meinung gebildet haben, ist dieses Buch vielleicht ein gutes und überzeugendes Einsteigerwerk.

Sehr absolut und entschieden

Eine kleine Schwäche gibt es bei Cremer allerdings doch – auch wenn sie seinem Ansatz und seiner Position mehr oder weniger immanent ist: Seine Argumentation ist überaus stringent und geradlinig, was erst einmal gut ist. Allerdings führt das auch dazu, dass er mit großer Entschiedenheit argumentiert oder seine Ablehnung der AfD sogar quasi ins Absolute geht. Das ist natürlich überaus konsequent, aber gerade Menschen, die mit der Partei (potentiell) sympathisieren, dürfte es leicht fallen, hier mit den üblichen Mitteln (die Cremer ausführlich erläutert) der Diffamierung von „Systempresse“ o. ä. gegen Cremer zu argumentieren.

Die Lektüre von Cremers Buch könnte so zu einer Art Wegscheide werden, ob eine Leserin oder ein Leser nun mit der AfD sympathisiert oder nicht. Hartgesottene und überzeugte Wählerinnen und Wähler der Partei – so ist leider anzunehmen – dürften dieses Buch ohnehin kaum zur Hand nehmen.

Menschenverachtung pur

Hendrik Cremer illustriert somit in seinem Buch Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen sehr überzeugend die Gefahr, die von der AfD für unsere Gesellschaft ausgeht. Er wählt einen menschenrechtspolitischen Ansatz und zeigt auf, wie rassistischextremistischantisemitischhomo- und queerfeindlich, führerzentriert und nationalistisch die Partei in ihren Grundzügen und ihrer Gesamtheit ist.

Die Lektüre des Buches sei allen Wahlberechtigten in der Bundesrepublik wärmstens ans Herz gelegt, denn selbst wenn die Unzufriedenheit mit der aktuellen Ampelkoalition in manchen Teilen nachvollziehbar ist, käme die AfD an die Macht – im Bund oder auch nur in einem Land –, dann stünden vielen von uns schwere Zeiten bevor. Die Lektüre dieses Buchs könnte vielleicht doch helfen, dem einen oder der anderen die Augen zu öffnen, wenn es um die AfD und ihre menschenverachtenden Ziele für Deutschland geht.

HMS

Hendrik Cremer: Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen. Wie gefährlich die AfD wirklich ist; Februar 2024; 240 Seiten; Hardcover, gebunden mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-8270-1508-2; Berlin Verlag, 22,00 €

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