Ambition ist eine gute Sache. So grundsätzlich. Kann aber auch nach hinten losgehen. Der neue Tatort aus Berlin und der zweite Fall für das Team Susanne Bonard (Corinna Harfouch – gerade mit der Lola aka dem Deutschen Filmpreis für die Beste weibliche Hauptrolle in Sterben ausgezeichnet worden) und Robert Karow (Mark Waschke) Am Tag der wandernden Seelen ist ein perfektes Beispiel dafür – leider.
Die zwei Ermittler*innen werden zu einem Tatort nach Berlin-Lichtenberg gerufen (wie passend, finden wir hier doch auch das Dong Xuan Center, das größte asiatische Einkaufszentrum in Berlin). Der Tote starb in seinem Haus durch um die zwanzig Messerstiche (Stichwort: Übertötung), doch es gibt weder Einbruchsspuren noch Hinweise auf einen Raubmord. Karow stößt auf eine versteckte Tür im Keller des Hauses. Was die beiden Kommissar*innen hinter dieser vorfinden, raubt ihnen den Atem. Ist ihr Opfer auch grausamer Täter gewesen? Blut und diverse Folterinstrumente schreien jedenfalls danach.
Gone Corinna Gone
Im Zuge der Fahndung nach einer flüchtigen, vermutlich traumatisierten und verletzten Person tauchen Bonard und Karow in die vietnamesische Lebenswelt Berlins ein. Sie treffen auf die Tierärztin Dr. Lê Müller (Mai-Phuong Kollath) aus Charlottenburg (einst allerdings in die DDR eingewandert). Müller kennt den Toten von früher und weiß mehr, als sie zugibt, aber sie traut der Polizei nicht. Die LKA-Beamtin Pham Thi Mai (Trang le Hong) bringt Bonard und Karow auf die Spur einer jungen Vietnamesin – ist sie die Frau, nach der sie suchen? Die Ermittlungen führen Karow zu einer Pagode in Lichtenberg, hier haben die Seelen der Ahnen ihren Platz. Das kulturelle Zentrum der Gemeinde ist jedoch akut vom Abriss bedroht (ist es in der Tat auch im realen Leben). Das trifft bei Karow einen wunden Punkt…
…so viel, so halb schwammig. Was ganz gut passt, denn der Tatort: Am Tag der wandernden Seelen ist so verworren wie vorhersehbar. Eine Mischung, die sich auf den ersten Blick nicht zu vertragen scheint, aber doch funktioniert. Was sich im Grunde auch über Bonard und Karow sagen lässt, die in der Tat als Team zusammenwachsen. Halt auf die Berliner Art. Zu lange müssen sie das aber gar nicht tun, denn Corinna Harfouch hat bereits angekündigt, ihren Vertrag nach sechs Episoden nicht verlängern zu wollen. Also ist 2025 bereits wieder Schluss mit dem Team.
Schock zur Unterhaltung und dröge Klischees
Wenn wir uns die Doppelfolge Nichts als die Wahrheit anschauen, die neunzig Minuten stark vorlegte, um dann im zweiten Teil alles mit plakativen Allgemeinplätzen einzureißen und nun diesen neuen Tatort (Regie: Mira Thiel, Drehbuch: Josefine Scheffler, Mira Thiel), der vor sich hinplätschert, versucht Schockeffekte zur Unterhaltung einzusetzen und vor Klischees nur so strotzt, ist das gegebenenfalls gar nicht so tragisch. Womöglich mag die Idee, den Film im Writer’s Room schreiben zu lassen, nicht gerade optimal gewesen sein.
Auch der plump aufgebrachte Konflikt zwischen Lê Müller und Pham Thi Mai um Nord- und Südvietnam verfängt nicht. Ebenso wurde angeküdigt, sich in den Folgen mit Polizeigewalt und Rassismus bei Polizei und Justiz zu befassen. Das ist hier nicht der Fall – aber noch bleiben ja drei weitere Berlin-Tatorte um das Versprechen einzulösen. Und uns bleibt nur zu hoffen, dass nicht weiter versucht wird, ganz große und dramatische Geschichten zu erzählen und im großen Format an der eigenen Ambition zu scheitern. Das wird auch dem Talent von Harfouch und Waschke nicht gerecht.
AS (mit Material der ARD)
Tatort: Am Tag der wandernden Seelen wird am Sonntag, dem 5. Mai, um 20:15 Uhr im Ersten ausgestrahlt. Der Tatort ist im Anschluss sechs Monate in der ARD Mediathek abrufbar.
Tatort: Am Tag der wandernden Seelen; Deutschland 2024; Regie: Mira Thiel; Drehbuch: Josefine Scheffler, Mira Thiel; Bildgestaltung: Moritz Anton; Musik: Tim Neuhaus; Darsteller*innen: Corinna Harfouch, Mark Waschke, Trang le Hong, Mai-Phuong Kollath, Hanh Mai Thi Tran, Viet Pham, Paula Knüpling, Cynthia Micas, Reiki von Carlowitz, Debrecina Arega, Duc Toan Au; Eine Produktion im Auftrag des Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb), die Realisation übernahm die Provobis Gesellschaft für Film und Fernsehen mbH (Produzent Jens C. Susa). Die Redaktion liegt bei Verena Veihl (rbb).
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