„Es beeindruckt mich nicht“

Erschreckend und schockierend sind die Erkenntnisse, die sich aus der TV-Dokumentation AfD-Leaks: Die geheimen Chats der Bundestagsfraktion ergeben. Ausgerechnet die AfD, diese staatstragende, sachlich ruhige, unaufgeregte, rhetorisch achtsame und vor allem in sich ruhende Partei, soll laut einem komplett durchgestochenen Gruppenchat der AfD-Bundestagsfraktion namens „Quasselgruppe“ – Awww! – einen rauen, rassistischen, menschenfeindlichen und -verachtenden, homofeindlichen und zumindest in Teilen demokratieverachtenden Ton an den Tag gelegt haben. Potzblitz! 

40.000 Nachrichten und kein bisschen leise

Erstaunlich ist daran natürlich nichts; nicht erst seit Michael Kraskes Buch Tatworte wissen wir, wie AfD-Politiker*innen sprechen und was sie damit beabsichtigen. Nein, wes Geistes Kind sie sind, das ist weithin bekannt. Dennoch ist die Dokumentation, die Lucas Stratmann, Christian Basl, Katja Riedel und Sebastian Pittelkow hier für NDR und WDR entwickelt haben, in hohem Maße sehenswert. Zu sehen ist sie unter anderem heute Abend um 22:50 Uhr im Ersten oder bereits vorab in der ARD-Mediathek. Einen Podcast gibt es auch, dazu folgen am Textende mehr Informationen.

Sehenswert ist sie unter anderem wegen der Überschrift. Diese ist nämlich ein Zitat Alice Weidels, Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, die, mit den Chats, die allesamt aus der ersten Bundestagslegislatur der AfD stammen (also aus den Jahren 2017 – 2021), konfrontiert, in typisch Weidel’scher Rhetorik antwortet und ohnehin nichts davon gewusst haben will. Hätte sie dies, dann hätte sie natürlich das Schlimmste unterbunden und von Angriffen gegen sie, naja, das gehöre eben zur Partei: „Wenn Sie in der AfD in der ersten Reihe sind, dann ist das völlig normal.“ Da pinkelt sie also, um gepflegt mit dem Bundesvorsitzenden Tino Chrupalla zu sprechen, nicht den Zeltboden voll. 

Umrahmt werden die Auszüge von aktuellen politischen Ereignissen und/oder Erschütterungen in der AfD. Dabei kommentieren einige derzeitige und ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete die aus 40.000 internen Chatnachrichten von mindestens 76 der 92 damaligen AfD-Abgeordneten ausgewerteten Nachrichten; teils auch ihre eigenen. Darunter die eher moderaten Joana Cotar und Bruno Hollnagel, aber auch Stephan Brandner oder der rechtsradikale Hansjörg Müller, der – wie so vieles in AfD-Leaks wenig überraschend, dennoch erschreckend – mit einer besonders kruden Geschichte auffällt. 

„Oberholocaustzelebrist“

Dabei geht es um die Gedenkstunde fürdie Opfer des Nationalsozialismus 2018. Nachdem die KZ-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch gesprochen hatte, applaudierte er als einziger Abgeordneter nicht und sagt in der Dokumentation dazu: „Wenn man politische Karriere machen will, dann muss man so der besondere Oberverdammer des Holocausts sein, sonst wird man nichts. […] Wie dieses ganze Holocaust-Gedenken, dass es nicht mehr um die Opfer geht.“ Die Opfer würden instrumentalisiert, um sich zu profilieren, als „Oberholocaustzelebrist“, dies sei eine Heuchelei, die ihn seit seiner Jugend ankotze. 

Das ist in so vielerlei Hinsicht verlogen und vor allem schwachsinnig, dass der Rezensent nur noch in die Tischkante beißen möchte. Wenn wir also bedenken möchten, dass der Mann Jahrgang 1968 ist und ihn richtig verstehen wollten, müssten wir meinen, er empfand das Erinnern an den Holocaust in seinen Kindertagen und der ganz frühen Jugend angemessener. Sehr gern. Es existierte damals nicht; wie so oft übten die Deutschen sich in Verdrängung, Verschweigen und Weitermachen. Erst seit den 1980er-Jahren, recht konkret festzumachen an Richard von Weizsäckers Rede 1985, erinnern wir uns dessen. Der Beginn des offenen Gedenkens fällt mit seiner Jugend zusammen.

Was Müller also eigentlich sagt, ist: Jedes offene Gedenken ist Heuchelei. Was dahinter stecken dürfte, ist: Lasst mich damit doch in Ruhe, es ist genug. Das ist widerlich. Leider fällt das hierzulande auf teilfruchtbaren Boden, denken wir beispielsweise an Wolfgang Reinhard, der sich in der FAZ vom 10. Januar 2022 an unserem „seit einigen Jahrzehnten durch und durch von Erinnerungskultur“ geprägten Bewusstsein und „der Pflicht zum Erinnern“ abarbeitete und im Ergebnis unserer politischen Kultur einen Schaden attestierte. Norbert Frei hat dazu – in der Printausgabe unter dem passenden Titel „Mitten unter uns“ – in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Februar 2022 eine treffende Replik geschrieben, die zum Ende dieses kleinen Exkurses zur Lektüre empfohlen sei.

Letzte Chancen und neue Nazis

Es finden sich ansonsten die, so muss es schon beinahe gesagt werden, fast normal gewordenen Umsturzgedanken wie jener hier: „Die Ratte Merkel an der Spitze! Diese Volksverräterin gehört lebenslang in den Knast!“. Natürlich auch die Erretter-Rhetorik: „Wir sind die letzte Chance die dieses Land hat, und das meine ich bitter ernst!!!“. Oder eine Mischung aus beidem: „Wir müssen wohl warten, bis das alte Regime wirtschaftlich ans Ende kommt und der Funke aus Österreich, Italien, Frankreich usw. überspringt. Das wird kommen und für die dann ebenfalls kommenden gnadenlosen Kämpfe müssen wir uns rüsten (…).“

Immer wieder wird auch deutlich, wie zerrissen die Partei zwischen den eher pragmatisch Geprägten und den rechten Köpfen ist: „Wir brauchen eine Richtungsentscheidung. Wollen wir eine national-sozialistische oder eine freiheitlich-konservative Partei sein…“ oder: „Da müssen wir uns SELBST die Frage stellen, ob wir erwiesene Nazis in der Partei und dann auch noch in führenden Positionen haben wollen. Ich will das nicht. Die Ideologie und den Führerkult, die Höcke und Kalbitz vertreten, lehne ich zutiefst ab.“

Immer wieder, das beklagt auch der Ex- Abgeordnete Bruno Hollnagel im Film, geht es darum, dass ein Konzept fehle. Immer nur dagegen, immer nur andere Parteien vorführen (durchaus auch Teil der in den Chats besprochenen Strategien), das reiche dann auch nicht. Und doch komme es immer wieder darauf zurück, das arbeitet die Dokumentation fein heraus. Dass sich in den Chats stark an Alice Weidel abgearbeitet wird – „Frau Weidel kann offenbar Prioritäten setzen, aber nur wenn es um ihren eigenen Kopf geht“ – erwähnten wird bereits. Eines wird offenbar: Zwar fordert die Partei immer wieder Richtungsentscheidungen, doch wenn jemand diese Richtung vorgab oder vorzugeben versuchte, wandten sich Teile dagegen. Damit entspricht die AfD eher einer Sammlungsbewegung als einer Partei. Was sie mitnichten weniger gefährlich macht.

„Hinterlader“ und „Afteröffnungen“ 

Dennoch sei die Frage erlaubt, ob jede garstige Äußerung eine Skandalisierung wert ist. Etwa: „Mülltrennung: Erst FDP, dann SPD, dann CDU.“ Bei Einlassungen wie diesen,dürften sich in der Tat die Geister scheiden. Ist es despektierlich? Sicherlich. Das ist es aber auch, wenn jemand sagt, sie oder er könne diese oder jene Person in die Tonne treten. Was oft zu hören ist. Jedenfalls ist es mit Sicherheit kein Gauland’sches „nach Anatolien entsorgen“, was es wiederum, wenn sich der Autor richtig erinnert, zurecht in die erwähnten Tatworte schaffte. Da ist es dann schade, dass mensch bei oben genannter Äußerung fast Stephan Brandner zustimmen möchte, der meint, das könne auch satirisch aufgefasst werden. Und denkt sich weiter: Ich mag auch nicht wissen, was die CDU über die SPD, die SPD über die FDP und die Linken übereinander schreiben. 

Zu schlechter Letzt sollen natürlich auch die homofeindlichen Sprüche und Stimmen nicht fehlen. So wie diese über den ehemaligen SPD-Abgeordneten und König der kleinen König*innen aka dem Haushaltsausschuss (mal lose entnommen aus Alleiner kannst du gar nicht sein) Johannes Kahrs, dieser sei eine „radikal böse Afteröffnung“ und dessen Parteikollege Michael Roth ein „ekelhafter Wicht“.

Als es kurz so wirkte, als könne Jens Spahn Verteidigungsminister werden, hieß es in den Chats: „Oh gut, wieder eine Verteidigungsministerin“ und „Bei Spahn hätte die Bundeswehr wieder auf Hinterlader umgestellt….“ Gerade letzteres mag nach infantilem Schulhofgemobbe klingen, doch sind das hier erwachsene Personen, die als Vertreter der deutschen Bevölkerung im Bundestag sitzen. Repräsentanten unserer Demokratie, also theoretisch. Erneut: Umso erschreckender. Erst recht, wenn wir bedenken, dass die gesamte AfD seit dem 8. März 2022 vom Bundesverfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft wird.

Dreischneidiges Schwert und eine lange Nacht

Eine Frage, die sich durch die Dokumentation auch wieder stellt, ist: Wie umgehen mit der Partei, den Menschen, die für und durch sie sprechen und dem Gedankengut dahinter? Das sind teils drei Dinge, die zwar verknüpft, aber unterschiedlich betrachtet werden sollten. Sonst wird’s holprig. Wenn Stephan Brandner hier gefragt wird: „Ist das der Stil der AfD im Bundestag?“ und darauf antworten kann: „Nein, ist es nicht, deshalb zitieren Sie auch interessanterweise nicht aus den Plenarprotokollen, sondern aus einem mutmaßlich internen Chat“, kann das schnell ein Eigentor werden. Ungeachtet dessen, dass sich auch reichlich Entsetzliches und darüber hinaus in den Plenarprotokollen finden lässt.

In diesen allerdings kam am Ende der vergangenen Legislatur einer nicht mehr vor: Hansjörg Müller. Der nämlich wollte sich im Rahmen der Corona- und Querdenker-Protestbewegungen zu einer Art Märtyrer – auch innerhalb der Partei – stilisieren und Regierung und letztlich auch Bundestag die Legitimation absprechen. Seine Fraktion belegte ihn mit einer Redesperre. You can’t have your cake and eat it, right?

Was mensch auf jeden Fall haben kann und sollte, ist diese sehenswerte Dokumentation, die natürlich nur einen Abriss des ganzen gefährlichen und teils widerlichen Debakels zeigt. Ergänzt oder begleitet wird AfD-Leaks daher auch um/durch einen fünfteiligen Podcast mit dem klanghaften Titel Die Jagd – Die geheimen Chats der AfD-Bundestagsfraktion, der unter anderem in der ARD-Audiothek zu finden ist, aber auch überall, wo es sonst Podcasts gibt. Je nach dem, wir ihr drauf seid, lässt sich das auch wunderbar zum weniger entspannten Einschlafen hören; der Rezensent hat’s letzte Nacht ausprobiert und ist bei Folge dreieinhalb. 

AS

Die Dokumentation läuft heute um 22:50 Uhr im Ersten und ist bereits vorab in der ARD-Mediathek verfügbar.

AfD-Leaks: Die geheimen Chats der Bundestagsfraktion; Deutschland 2022; Ein Film von Lucas Stratmann, Christian Basl, Katja Riedel und Sebastian Pittelkow; Sprecherin: Christine Adelhardt; Laufzeit ca. 44 Minuten; Eine Produktion des NDR und WDR; in der Mediathek bis zum 23. März 2023

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