Auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt, Freundschaft ist unter Pinguinen kein sonderlich verbreitetes Konzept, weder zu Menschen noch untereinander. Eher sind es langjährige oder beispielsweise ein Zusammenrotten, um bei Extremwetter nicht zu erfrieren oder bei der Jagd nicht selber Beute zu werden. Aber auch zwischen Menschen ist es nicht immer leicht, egal ob es um Freundschaft oder Beziehung geht.
Irgendetwas zwischen Freundschaft und Beziehung
Um irgendetwas dazwischen geht es in Bernhard Hecklers Roman Das Liebesleben der Pinguine, der im Tropen Verlag erschienen ist. Drei Freunde, Niko, Sascha und Nura, verlieren sich nach der Schule aus den Augen. Sascha und Nura waren ein Paar, bis sie mit Niko fremdknutschte. Die Freundschaft aus Jugendzeiten ging 2001 zu Bruch und erst 2019 begegnen die drei nun Erwachsenen einander wieder – nicht ohne Folgen.
In diesen Kreis der Hauptakteure gesellt sich auch Franco, der 1973 aus dem Süden Italiens in „die nördlichste Stadt Italiens“ – München – floh, um seiner bereits in die Wege geleiteten Mafiakarriere gemeinsam mit seiner Geliebten zu entfliehen. In München ist er als Gärtner tätig, bessert sich sein Salär damit auf, dass er illegal tropische Vögel verhökert und trainiert mit seinen 45 Jahren für einen Strongman-Contest. Unabhängig von deren Beziehungswirrwarr kreuzen sich Francos Wege mit Nura und sogar mehrfach mit Sascha.
Jeder trägt sein Päckchen
Ich muss zugeben, dass ich bis jetzt nicht sicher bin, was ich zu Das Liebesleben der Pinguine sagen soll. Alle vier Hauptfiguren haben ihr jeweiliges Päckchen zu tragen. Sascha ist noch immer verletzt, dass Niko und Nura, die beiden Menschen, die er liebte, ihn betrogen haben. Nura ist nicht sehr erfolgreich in ihrer literarischen Karriere und verdingt sich bis zu einer ungewollten Schwangerschaft als Online-Flirt-Ghostwriterin. Der pumpende Influencer Niko erlebt mit Mitte 30 sein sexuelles Erwachen und lässt sich erstmals auf einen Mann ein, für den er sogar nach Istanbul fliegt. Und bei Franco liegt sowieso ganz viel im Argen, auch wenn seine Biografie nach so einigen Brüchen scheinbar endlich etwas Kontinuität findet.
Und dennoch lässt sich die Kontinuität für alle vier nur als Wandel darstellen. Franco musste in Italien plötzlich alle Zelte abbrechen, die Freundschaft von Niko, Nura und Sascha ging auch sehr plötzlich in die Brüche. Und noch viel unerwarteter ist für alle der Umstand, dass sie nach fast 20 Jahren wieder in das Leben der jeweils anderen treten (auch wenn Nura und Niko fast durchgehend in Kontakt waren). Eine Zusammenkunft aller drei gibt es dennoch erst ganz am Schluss.
Wandel durch Leben
So sehr man also manchmal sein Leben plant, am Ende kommt doch vieles ganz anders. Allen vier Charakteren scheint gleich zu sein, dass sie ihr Leben wie ganz normale Menschen leben, dabei aber nicht besonders glücklich sind. Die Gelegenheit oder den Antrieb, etwas fundamental zu ändern, haben sie aber auch alle lange nicht. So ist das aber häufig auch im Alltag, viele dürften es kennen: Man arbeitet auf ein konkretes oder vielleicht auch nur ein abstraktes Ziel hin, merkt aber gar nicht, wie sich das Umfeld, die Wahrnehmungen oder man selbst auch verändert.
Auch wenn in Das Liebesleben der Pinguine auf der Handlungsebene einiges passiert – auch heikle Themen wie Essstörungen, illegaler Wildtierhandel und der Missbrauch diverser Substanzen werden angesprochen – das Spannendste sind vor allem die währenddessen ablaufenden Charakterentwicklungen. Franco wird vom eher unbeholfenen, etwas rüpelhaften Halbkriminellen, der keinen Draht zu Frauen aufbauen kann zu einem halbwegs selbstbewussten Mann, der nun Entscheidungen für sich und seine spätere Partnerin trifft. Sascha, ebenfalls nicht ganz legal unterwegs, scheint seinen Weg in etwas geordnetere Bahnen zu finden.
Nura muss sich schnell mit einer ungewohnten Situation auseinandersetzen und was das für ihr Leben bedeutet, ist völlig unklar. Und Niko, über den wir dennoch erstaunlich wenig lesen, entdeckt seine Bi- oder Homosexualität und binnen kürzester Zeit ist er vermutlich dazu bereit, einen aus dem Iran geflüchteten Mann der Staatsbürgerschaft wegen zu ehelichen, das vor allem wegen dessen zerplatzter Träume.
Wenn Träume zerplatzen
Das scheint es vielleicht auch zu sein, was alle vier Hauptcharaktere irgendwie verbindet: Sie alle hatten Träume und am Ende zerplatzen nicht nur diese. Vom Leben eingeholt, umgeben von sozialen Medien und den Mitteln neuer Kommunikation müssen sie sich mit einer neuen Realität anfreunden, ob sie das wollen oder nicht. So ist Das Liebesleben der Pinguine eine Geschichte über das Leben, die Liebe und so manche Überraschung, die die Protagonisten aus ihrem Alltag und ihrer Lethargie ungefragt herausbefördert
Und auch hier lohnt sich der abschließende Vergleich mit den Pinguinen. Auch sie wissen nicht, was auf sie zukommt. Der Klimawandel macht ihnen zu schaffen, sie müssen oft weit schwimmen, um Nahrung zu finden und manche kehren nicht wieder. Nicht nur in ihrem Liebesleben müssen sich daher viele oft mit neuen Realitäten anfreunden. Manche werden wohl oder übel damit nicht umgehen können, andere sind zum Glück anpassungsfähiger.
Bernhard Hecklers Roman Das Liebesleben der Pinguine hat neben tierischen Gastauftritten eine stringente, wenn auch wohl nicht primär auf Spannung ausgelegte Handlung zu bieten. Vor allem die Entwicklungen der Hauptcharaktere und ihren Umgang mit dem Unerwarteten mitzuverfolgen, machen den Charme des sommerlichen Buches aus.
HMS
Bernhard Heckler: Das Liebesleben der Pinguine; 1. Auflage, März 2021; 208 Seiten; Hardcover; ISBN: 978-3-608-50482-8; Tropen Verlag; 20,00 €; auch als eBook erhältlich
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