Es gibt im Iran keine Homosexualität

Beitragsbild: Fotografien © Laurence Rasti/ Edition Patrick Frey und Cover von There Are No Homosexuals in Iran.

Anfang des Monats, am 4. Mai, wurde der 20 Jahre junge Alireza Fazeli-Monfared im Iran von Mitgliedern seiner Familie ermordet und enthauptet. Alireza Fazeli-Monfared war homosexuell. Deshalb wurde er von der zweijährigen Wehrpflicht befreit. Auf der sogenannten Freistellungskarte wird auf einen Abschnitt des militärischen Satzungsentwurfes verwiesen, in dem es heißt, dass schwule Männer oder Personen mit „moralischen und sexuellen Missständen wie Transsexualität“ vom Dienst zu befreien seien. Durch diese Angabe werden viele junge Iraner*innen innerhalb ihrer Gemeinde und Familie zwangsgeoutet. So auch Alireza, dessen Halbbruder die Karte bekommen haben soll und dann entschied, dass Alireza sterben müsse. Dieser hatte eigentlich bereits seine Flucht in die Türkei geplant, um dort seinen Partner zu treffen und mit ihm in einem liberaleren europäischen Land ins Exil zu gehen, wie die BBC berichtete.

Der angepeilte Ort in der Türkei könnte die Stadt Denizli gewesen sein. Die zweitgrößte Stadt der Agäisregion mit bewegter Eroberungs- und Siedlungsgeschichte ist eine Transitstadt und dient vielen iranischen Flüchtlingen als erster Anlaufpunkt. Hier warten sie auf die Antworten der UNO-Flüchtlingshilfe, der UNHCR, auf ihre Asylanträge. An diesem Ort hat die 1990 als Kind iranischer Eltern in Genf geborene Fotografin Laurence Rasti Menschen fotografiert, die vor den für LSBTIQ*-Personen tödlichen Gesetzen und religiösen und gesellschaftlichen Einstellungen aus dem Iran geflohen sind.

© Laurence Rasti/ Edition Patrick Frey

Hoffnung und neue Identitäten in der Transitstadt

Vierzig Portraits der zumeist jungen Frauen und Männer finden sich neben einigen Fotografien der Stadt, Landschaft und Innenansichten der Zimmer in dem Bildband There Are No Homosexuals in Iran, der in der Edition Patrick Frey bereits in zweiter Auflage vorliegt. Der Titel bezieht sich auf eine Aussage vom 24. September 2007 des damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad bei einer Diskussion an der Columbia University in New York. Der damals wie heute selbst unter Hardlinern umstrittene Ahmadinedschad, der bei der kommenden iranischen Präsidentschaftswahl erneut antreten will, sagte: „Es gibt im Iran keine Homosexuellen wie in Ihrem Land.“ 

Laurence Rasti sagte dazu in verschiedenen Gesprächen und Statements, dass diese Aussage insofern zutreffend, auf „paradoxe Weise wahr“ sei, als dass homosexuelle Männer im Iran entweder in die Transsexualität gedrängt würden, die zwar auch als Geisteskrankheit gelte, aber akzeptabler sei, oder homosexuelle Personen eben vertrieben würden, beziehungsweise flüchteten. Und natürlich werden sie ermordet – wenn nicht von der Familie, dann im Zweifel vom Staat. Auf das Praktizieren von Homosexualität – also gleichgeschlechtlichen Sex – steht die Todesstrafe. Damit, ja, gibt es de facto, ähnlich wie in Tschetschenien, keine Homosexuellen im Iran.

© Laurence Rasti/ Edition Patrick Frey

Auch auf ihrer Flucht und während ihres Aufenthalts von nicht absehbarer Zeit in Denizli sind die Iranerinnen und Iraner nicht sicher. Sei es, dass Teile ihrer Familie nach ihnen suchen lassen, schlimmstenfalls Personen hinterherschicken oder, wie es die für den Band interviewte Bahar schildert, Familienmitglieder von ihr bei den iranischen Behörden noch immer Anzeigen gegen sie oder in diesem Fall gegen ihre Partnerin Adler stellen. Zusätzlich ist Homosexualität in der Türkei zwar nicht illegal, dennoch sehen sich LSBTIQ*-Personen Vorurteilen, Missachtung und Angriffen ausgesetzt. So ist für viele der Flüchtenden die Anonymität schon allein aus Gründen der Sicherheit von oberster Priorität. Darüber hinaus änderten einige ganz persönlich ihre Vornamen, auch als Zeichen eines Neuanfangs, als Ausdruck eines hoffnungsfrohen Blickes in die Zukunft.

Zuversicht und Codes

Diese Hoffnung und Zuversicht will Rasti auch in ihren auf 135 gm2 starken Profibulk-Papier abgedruckten Fotografien abbilden. Herausforderung und Anliegen der Fotografin, die an der ECAL in Lausanne studierte, war es dabei nicht nur, falls gewünscht, die Anonymität der Porträtierten zu schützen, sondern auch deutlich die individuelle menschliche Identität der jeweiligen Person sichtbar zu machen. So sind viele der Bilder „aus einfachen, leichten, zuweilen feierlichen Elementen zusammengesetzt“, wie sie im Vorwort des Bandes schreibt, auch um einen Widerspruch zwischen der Schwere des Themas und „zur prekären Lage dieser Menschen“ aufzuzeigen. Diese Zielsetzung erreicht Laurence Rasti mit ihren Fotografien in jedem Fall. 

© Laurence Rasti/ Edition Patrick Frey

So finden sich reichlich, aber nicht ausschließlich Bilder, in denen die Personen sich zu zweit oder in Einzelportraits von der Kamera abwenden oder ihr Gesicht hinter Mänteln oder Decken verstecken. Doch spricht aus diesen Bildern nicht Bitterkeit, sondern ein selbstbewusstes Schutzbedürfnis. Dieses auch mit einem nicht sichtbaren liebevollen Augenzwinkern, beispielsweise wenn ein Mann sich zwei Katzen vor das Gesicht hält. Oder das sich hinter bunten Luftballons küssende Paar oder jene nur halbverdeckt einander küssenden Frauen auf der Couch, wobei eine von ihnen bezeichnenderweise einen Camouflage-Anzug trägt. Camoufliert ist auch ein Porträt eines in die Kamera blickenden Mannes, der komplett im Fischgrätenmuster aufgeht. 

Auf anderen Bilder werden die Porträtierten von Bäumen und Gräsern, Topfpflanzen und Blumen verdeckt oder wir sehen nur Teile von ihnen. Ebenso verschwimmen bei einigen der Fotografien die Geschlechtergrenzen deutlich, es braucht manches Mal einen genaueren Blick, um die geschlechtliche Identität der porträtierten Person ausmachen zu können. Gleichsam darf sich bei uns die Frage einstellen, ob dies unbedingt beim ersten Betrachten erkenntlich sein muss. Den Bildern ist deutlich anzumerken, dass sich die Fotografin mit Geschlechterrollen und den mit ihnen verbundenen Narrativen, ihren Codes auseinandersetzt. Im Band There Are No Homosexuals in Iran kommt noch die Suche nach einer neuen Identität, oder wie Rasti es nennt, einem „identitären Raum“ der mit Neuem gefüllt werden müsse, hinzu. Das ist Teil jeder Flucht, ist wieder von gegebenenfalls zu erlernenden Codes begleitet.

© Laurence Rasti/ Edition Patrick Frey

Jene Bilder, die zwei Personen zeigen, sind vor allem von Codes der Zuneigung wie Partnerschaftlichkeit, Liebe und gegenseitigem Schutz geprägt. Oder es gibt Ansichten, die das sich erwartungsfrohe Einrichten im neuen Übergangsleben zeigen, wie jenes eines Küchentischs, über dem an der Wand ein altes Mini-TV-Gerät mit einem regenbogenfarbenen Standbild hängt. So blättert sich der Band mit einer sehr eigenen Mischung von Wärme und Sorge, Freude und Mitgefühl durch. In dieser Hinsicht lässt er sich sehr ambivalent betrachten.

„Wir sind weder krank noch pervers“

Verstärkt wird dies durch die vier Interviews, die Rasti in Denizli führte und die im vorderen Teil des Buches auf Englisch und im hinteren Teil in Farsi abgedruckt sind (Rasti wollte, dass ihr Buch von Iraner*innen und Menschen aus dem Westen verstanden werden kann). Oder eher drei Interviews und ein sich wie ein Gedicht lesendes Statement.

Pedram erzählt in seiner Geschichte davon, dass für ihn eine Transition zur Frau aufgrund seines zu geringen Levels an weiblichen Hormonen nicht in Frage kam und er daher von seiner Familie zu einer Hormontherapie gezwungen wurde, bis sein Arzt diese aus Angst um sein Leben abbrach. Bahars Geschichte ist bereits erwähnt worden und die rückblickend am wenigsten negative Geschichte ist die von Mani, dessen Familie in einem längeren Prozess dazu kam, seine Homosexualität zu akzeptieren, dennoch eine ständige Gefahr für sein Leben im Iran sah und ihn mithilfe seines Partners schließlich beinahe zur Flucht zwang.

© Laurence Rasti/ Edition Patrick Frey

Allen Geschichten sind zwei Dinge gemein: Zum einen der Umstand, dass es immer irgendwie Hilfe oder Verständnis von außerhalb gab. Sei es ein Onkel in Spanien oder Australien oder eine bereits geflüchtete Freundin. Zum anderen Kritik an fehlender Bildung und einem irrationalen Glauben, beziehungsweise irrationalen Überzeugungen. So hörten auch Pedram (der aus einer christlichen Familie stammt), Bahar und Mani erst spät von Worten wie „Homosexualität“ oder „lesbisch“, von „Coming-out“ ganz zu schweigen. Es wird von Neigungen und Tendenzen (engl. „tendencies“) gesprochen. Homosexualität gibt es eben nicht, sie ist und bleibt fremd, beschämend, krank und illegal. 

Das müsse sich ändern, von früh an, das wünschen sie sich alle. Wenigstens in der Familie sollte es einfacher werden. Doch Bahar gibt resigniert zu bedenken, dass dies im Grunde utopisch sei. Sie rät sich nicht zu outen, sich keinem Familienmitglied, Freund und schon gar nicht irgendwelchen „ignoranten Personen“ anzuvertrauen. Es würde sofort Probleme mit sich bringen, niemand solle glauben „Es wird okay sein“. Sie meint, dies zu denken, wäre eine absoluter Fehler. Das ist tragisch, deprimierend und schmerzhaft zu lesen. Der entsetzliche Mord an Alireza Fazeli-Monfared jedoch lässt diese Worte umso zutreffender sein.

Der von Laurence Rasti gemeinsam mit Neo Neo prachtvoll gestaltete Bildband There Are No Homosexuals in Iran ist ästhetisch hervorragend und durch seine thematischen Ambivalenzen durchaus herausfordernd und anspruchsvoll, auch in der Interpretation der subjektiven Wahrnehmung. 

AS

Einen Blick ins Buch gibt es hier.

Laurence Rasti: There Are No Homosexuals in Iran; 2. Auflage 2018; Hardcover, gebunden; 156 Seiten; 53 Farbabbildungen; 19 x 25 cm; Texte & Interviews: Laurence Rasti; Sprache: Englisch, Farsi; Design: Laurence Rasti, Neo Neo; ISBN: 978-3-906803-38-8; Edition Patrick Frey; 52,00 €

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