Bin ich frei zu sterben?

Vor ziemlich genau einem Monat, am 22. Oktober 2020, tagte der Deutsche Ethikrat in einer öffentlichen Sitzung zum Thema Recht auf Selbsttötung und am Abend des heutigen Montags wird die Verfilmung (Regie: Lars Kraume) des Theaterstücks GOTT von Ferdinand von Schirach in der ARD und parallel im ORF 2 und SRF 2 ausgestrahlt. Anschließend können die Zuschauer.innen, wie schon bei der Verfilmung des ebenfalls von von Schirach stammenden Stücks Terror, online und telefonisch abstimmen. Das Theaterstück ist im September in Buchform erschienen und soll an dieser Stelle kurz besprochen werden, ohne zu viel von den Argumentationslinien der verschiedenen Sachverständigen in der zwar fiktionalen allerdings sehr realitätsbezogenen Sitzung des Ethikrates vorwegnehmen zu wollen.

Das vermeintliche Recht auf den eigenen Tod

Der Ethikrat tritt aus eigenem Entschluss zusammen, um über den Fall des ehemaligen Architekten Richard Gärtner zu diskutieren. Gärtner möchte nach dem Tod seiner Frau nicht mehr weiterleben und beantragt beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte das Mittel Natrium-Pentobarbital, das ihn töten soll. Das Bundesinstitut lehnt die Herausgabe ab, woraufhin der 78-jährige Gärtner sich an seine Haus- bzw. Augenärztin wendet und diese um Hilfe bei seinem Suizid bittet. Diese lehnt die Unterstützung allerdings ab, was ihr gutes Recht ist. Der Fall wird unter ethischen Gesichtspunkten von jeweils einer sachverständigen Person aus juristischer, medizinischer und theologischer Perspektive diskutiert, da die rechtliche Lage nach dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, welches das Recht auf Suizid garantiert, eindeutig ist.

Ferdinand von Schirach schafft es in seinem gut einhundertseitigen Stück GOTT die sehr unterschiedlichen Argumente der Beteiligten vorzutragen, ohne dass wir Leser.innen das Gefühl haben, er selbst tendiere inhaltlich allzu deutlich zur einen oder zur anderen Seite. Zwar ist es so, dass der Anwalt von Herrn Gärtner, Herr Biegler, den Argumenten derjenigen Sachverständigen, die die Sterbehilfe in dieser Form ablehnen, mit logischen Argumenten, wenn auch in häufig süffisantem Tonfall, begegnet, doch ist diese Debatte eben auch eine um Gefühl und Empfindung und um diverse Ängste. Daher funktionieren natürlich primär Argumente, die in diese Richtung gehen.

Es geht um Gefühle

Insofern können die Ausführungen von Professor Sperling, Präsidiumsmitglied der Bundesärztekammer, dass diese Art von Sterbehilfe das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerstören könnte, zwar mit Zahlen widerlegt werden, aber was, wenn Gegnern eben ein Gefühl doch wichtiger ist? Ebenso die Schwarzmalerei und Angstmacherei, die die für die Gegenseite argumentierende Medizinerin Frau Dr. Keller vorbringt, die sich vor keinem Nazi-Vergleich scheut und am Ende den Satz „Wehret den Anfängen!“ wagt. Es mag mach eine.r dreist finden, wie sie sich zu so etwas versteigen kann, doch bei vielen mag es eben auch verfangen. Ein.e Jede.r spricht für die möglichen Empfänger.innen der eigenen Botschaften.

So hat die rechtswissenschaftliche Professorin Litten zwar recht, wenn sie mit dem Gesetz, dem gesunden Menschenverstand und dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und somit auch Ableben argumentiert, doch ist diese Sachlichkeit in einer solch emotional aufgeladenen Diskussion verzwickt. Nach dem Dafürhalten vieler sicherlich gewünscht, doch ebenso gern als gefühlloses Gehabe abgetan. Diese Reaktion merkt man dem Stück Ferdinand von Schirachs auch an, wenn die Gegner*innen der Sterbehilfe auf eine bestimmte Wortwahl zurückgreifen, in der auch Kritik am so genannten Neoliberalismus und derlei geäußert wird. Ein.e Jede.r spricht für die möglichen Empfänger.innen der eigenen Botschaften.

Denn natürlich geht es letztlich zuallererst um die Frage, wem das vermeintlich eigene und individuelle Leben gehört. Diese Unterdebatte in der Debatte nimmt den meisten Raum ein. Insbesondre in der Befragung von Bischof Thiel, einem Mitglied der Glaubenskommission der Deutschen Bischofskonferenz. Hier kommt dann natürlich auch der titelgebende GOTT häufiger vor. Anwalt Biegler nutzt die Gelegenheit, gleich diverse Mythen, Vergehen und Ungereimtheiten der katholischen Kirche abzuräumen, prallt aber fast immer an einem sowohl in seinem Glauben, als auch seinem Ego, gefestigten Bischof ab. Dieser findet Biegler zwar frech, lässt sich in seiner, durchaus schwankenden, Argumentation, beinahe Agitation, nicht verunsichern. Ein.e Jede.r spricht für die möglichen Empfänger.innen der eigenen Botschaften.

Etwas Totalitäres

Nach Meinung des Rezensenten ist Bischof Thiel dabei nicht nur die, sicherlich beabsichtigt, größte Reizfigur des Stoffes, sondern auch die Erschreckendste. So gibt es in meiner subjektiven Einschätzung die sachlich-kühle Rechtswissenschaftlerin Litten; den beinahe abstoßend arroganten Mediziner Sperling; die ein wenig rückständig wirkende Dr. Keller; die Namenlose, zumindest im Theaterstück in Buchform, scheinbar nicht ganz unvoreingenommene Vorsitzende des Ethikrates; die etwas überforderte Augenärztin Dr. Brandt; den tragischen Richard Gärtner und den ebenfalls arroganten, eitlen und schnoddrigen Anwalt Biegler. Doch Thiel äußert seine in Steintafeln gemeißelten Überzeugungen mit der stoischen Selbstgewissheit, wie nur echte Überzeugungstäter sie ausstrahlen. Diese unbedingte Absolutheit ist, wie Biegler feststellt, zwar zu respektieren, aber sie ist eben auch immer Teil von etwas Totalitärem. Ein Wort, das in GOTT schon sehr früh in einer lehrreichen Erläuterung zur Präambel des Grundgesetzes auftaucht.

Am Gesetzgeber ist es nun auch, zu beantworten, wie das Recht auf Sterben verwaltet und reguliert werden soll, eben, um die immer wieder gern angeführte Kommerzialisierung des Sterbens und die gefürchtete Selbstverständlichkeit des in den vermeintlichen Freitod Zwingens älterer Menschen zu vermeiden. Dass die gesetzgebenden Organe dieses heiße Eisen gerade nicht gern anfassen wollen und das Gesundheitsministerium unter Jens Spahn eine unverhohlene Blockadehaltung bei der Herausgabe von Mitteln wie Natrium-Pentobarbital an den Tag legt, ist Gefühlen auf jeden Fall zuträglicher, als einer offenen Debatte.

Eine Debatte so unumgänglich, wie der Tod

Im Sinne einer Debatte lohnt sich die Anschaffung des Büchleins GOTT nicht nur wegen des Stücks als solchem, sondern auch wegen der drei anhängenden Essays, die die Debatte jeweils in einen kulturell-religiösen, ethischen und juristischen Kontext einordnen. Einer der Beträge ist von Bettina Schöne-Seifert verfasst worden, die Inhaberin des Lehrstuhls für Ethik in der Medizin an der Westfälischen Wilhelms-Universität im sehr katholischen Münster ist, und bis 2010 dem Deutschen Ethikrat angehörte. Ein weiterer ist von Prof. Dr. Henning Rosenau, der gemeinsam mit einem Kollegen im Jahr 2015 den offenen Brief der deutschen Strafrechtslehrer gegen die Änderung des § 217 StGB initiierte, der auch im Stück erwähnt wird.

Einen Kritikpunkt gibt es dann allerdings dennoch: Mich irritierte beim Lesen ein wenig, dass die Schlussvorträge von Dr. Keller und Herrn Biegler zu Beginn des zweiten Akts nach der Pause und somit nach der Verkündigung des Abstimmungsergebnisses (im Buch ist natürlich nur der Text ohne Zahlen vorgegeben) gehalten werden. Ich bin nicht sicher, ob das auf einen Fehler im Lektorat zurückzuführen ist oder ob es so seine seltsame Richtigkeit hat. In der sehenswerten Verfilmung werden die Schlussvorträge jedenfalls vor der Pause, also vor der Abstimmung, gehalten, was mir zweckdienlicher scheint.

GOTT von Ferdinand von Schirach ist nicht nur eine sehr genaue und exzellent geschriebene Ausführung möglicher Argumente beider Seiten, sondern auch eine allein durch die Herangehensweise, dass ein geistig und körperlich völlig gesunder Mann seinem Leben ein Ende setzen möchte, perfekte Herausforderung für interessierte Leser.innen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen wollen. Was wir im Grunde alle wollen sollten. Die Debatte fängt gerade erst an.

AS

GOTT von Ferdinand von Schirach

Eine Leseprobe findet ihr hier.

Ferdinand von Schirach: GOTT – Ein Theaterstück; 1. Auflage, September 2020; 160 Seiten; Hardcover mit Schutzumschlag; ISBN: 978-3-630-87629-0; Luchterhand Literaturverlag; 18,00 €; auch als eBook 13,99 €

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Comments

  1. Ich habe das Buch auch schon gelesen und darüber eine Rezension geschrieben. Das Kammerspiel heute gesehen und als sehr gut empfunden. Leider habe ich noch keine abschließende Meinung. Es ist wirklich sehr schwer.

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