Wir sind, wer wir sind

Die Frage, ob jemand die oder der Einzige ist, ist sicherlich nicht wenigen Menschen, die nicht-heterosexuell sind oder nicht mit der ihnen bei der Geburt zugewiesenen geschlechtlichen Identität übereinstimmen, unbekannt. Vor allem Gegenden und Umgebungen, in denen Gespräche über Sex, Sexualität und Geschlecht allein schon und immer noch als etwas Unschönes, ja womöglich gar schon Unreines, angesehen werden. Wodurch die Frage „Bin ich die einzige Person, die ist…“ immer weiter und weiter existiert.

Diskriminiert von Menschen, nicht von Gott

Auch der Jesuiten-Priester Ralph Klein stellte sich diese Frage, lange und oft. Ist doch die katholische Kirche in vielerlei Hinsicht eine dieser Umgebungen, in der mensch sich schnell allein und ausgestoßen fühlen kann, wenn er von der als von Menschen und nicht etwa Gott oder Jesus als Norm vermittelten sexuellen und geschlechtlichen Identität abweicht. Wenn dieser Mensch LGBTIQ+ ist. Ralph Klein ist Teil der LGBTIQ+-Community, er ist ein schwuler Priester, der homosexuelle Paare segnet – #liebegewinnt.

Jesuitenpater Ralf Klein hätte nach den Bestimmungen des Vatikans nie Priester werden dürfen. Heute leitet er zwei Gemeinden // © rbb/EyeOpeningMedia

„Die Kirche ist mehr als die Meinung des Vatikans“, sagt Ralph Klein in der Dokumentation Die Story im Ersten: Wie Gott uns schuf, die seit heute Morgen in der ARD-Mediathek verfügbar ist und am heutigen Abend im Ersten und Mittwoch im rbb gezeigt wird. Die Dokumentation von Investigativjournalist Hajo Seppelt, der neben seinen prominenten Doping-Reportagen seit fast zehn Jahren zur Diskriminierung nicht-heterosexueller Menschen in der katholischen Kirche recherchiert, Katharina Kühn, Marc Rosenthal und Peter Wozny ist dabei aber weit mehr als eine Bestandsaufnahme.

Der Film ist „das größte Coming Out in der Geschichte der katholischen Kirche“, wie es am Anfang heißt. Über 100 Gläubige im Dienst der katholischen Kirche in Deutschland wagen in der exklusiven ARD-Dokumentation den gemeinsamen Schritt an die Öffentlichkeit. Neben Priestern und Ordensbrüdern handelt es sich um Gemeindereferenten, Mitarbeitende des Bistums und um Lehrer:innen und Sozialarbeiter:innen. Menschen, die nicht nur schon diverse Verletzungen durch und Zurücksetzungen innerhalb der Institution „Katholische Kirche“ erleben mussten, sondern mit ihrem Coming Out schlimmstenfalls harte berufliche Konsequenzen in Kauf nehmen.

„Don’t Ask, Don’t Tell“ in der Kirche

Nicht nur gilt für (offen) schwule Männer, die katholische Priester werden wollen, ein Weiheverbot, auch gilt für Mitarbeiter:innen in katholischen Einrichtungen das eigene kirchliche Arbeitsrecht. Das bedeutet, dass Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben zu beachten sind. Es gilt eine Loyalitätspflicht (wie gefährlich Loyalität sein kann, beschreibt auch Rainer Hank in seinem Buch Die Loyalitätsfalle, unsere Besprechung folgt).

Auch der Kirchenrechtler Thomas Schüller ist mit einem Beitrag in Katholisch und Queer vertreten (unsere Besprechung folgt)

Der renommierte Kirchenrechtler Thomas Schüller ist es, der uns erläutert, was es mit dieser auf sich hat und weshalb die hochschwangere Carla Bieling sicherlich gegen Windmühlen angeritten wäre, hätte sie sich juristisch dagegen gewehrt, dass sie von ihrem Arbeitgeber geschasst wurde. Sie wurde unvermittelt dazu gedrängt, einen Auflösungsvertrag zu unterzeichnen – zwei Wochen bevor ihr Mutterschutz gegriffen hätte. Ihr Loyalitätsverstoß? Eine eingetragene Lebenspartnerschaft, die ihre Kinder rechtlich absichern sollte.

Aus Furcht vor ähnlichen Konsequenzen haben etwa Monika und Marie ihre Beziehung mehrere Dekaden lang geheimgehalten, ein anstrengendes Doppelleben geführt, bis zuletzt der Sorge wegen, dass Marie als ehemalige Kindergärtnerin ihre Pensionsansprüche verlieren könnte. Schüller, gibt Entwarnung: Die Loyalitätspflicht gelte nur für die aktive Zeit, obschon er einräumt, dass es genau diese Ängste sind, die die Kirche an solch einer Stelle ausnutzt.

Deutsches Recht spielt keine Rolle

Ein, neben vielen kurzen Statements und Schicksalen wieder ausführlicher behandeltes Beispiel setzt dem Ganzen eine absurde Krone auf: Theo Schenkel, der sich, wie er sagt, „als Transmensch laut Definition der Kirche gegen Gottes Natur auflehnen würde“, ist Referendar für katholische Religionslehre. Er ist mit einer Frau verlobt, in den Augen der Kirche allerdings selber eine. Die Kirche kann hier vorbei am deutschen Personenstandsrecht für sich entscheiden, ihn niemals als Mann anzunehmen. Sollte er also jemals seine Partnerin heiraten, dürfte er wohl nicht als Religionslehrer arbeiten. 

Etwas, das in der Dokumentation, neben dem Mut und der Entschlossenheit vieler Beteiligter, vor allem deutlich wird, ist: All diese Diskriminierungen, Diffamierungen, Verachtungen, dieser Umgang mit Menschen, der ihren elementaren Menschenrechten widerspricht, wie es etwa Pfarrer Holger Allmenröder, der sich bereits vor einigen Jahren outete, aus Seligenstadt ausdrückt, sind von Menschen gemacht.

Es ist ein eindeutig auf Unterdrückung ausgelegtes System, das über seine so genannte Sexualmoral die Diskriminierung queerer Personen als Machtinstrument nutzt; etwas, das auch der Priester Wolfgang F. Rothe in seinem Buch Missbrauchte Kirche herausarbeitet (unsere Besprechung folgt). Nun mag sich manchen die Frage stellen, wieso diese Leute dann ihr Leben, beruflich und privat, in den Dienst und Geist der Kirche stellen. Nun, Priester Klein mag dies oben in Teilen beantwortet haben.

Theo Schenkel ist angehender Religionslehrer und Transmann. Ob er jemals seinen Wunschberuf ausüben wird, ist unklar, denn die katholische Kirche erkennt seine Identität nicht an // © rbb/EyeOpeningMedia

Nächstenliebe und Veränderung

Es finden sich auch andere Antworten in Wie Gott uns schuf: Viele glauben an Nächstenliebe, glauben an das im besten Sinne Menschliche der Kirche und an die Möglichkeit ihrer Veränderung. Dass dazugelernt werden kann, beweist der Aachener Bischof Helmut Dieser, der sagt, seine Haltung habe sich ganz wesentlich geändert und sich sogar für den Umgang mit nicht-heterosexuellen Menschen entschuldigt. Dies nur eine Geste, aber doch eine, die in einer Institution, die sich wie kaum eine andere über Worte, Gesten und Inszenierungen definiert, einen Wert hat.

Versteckspiel: Monika Schmelter und Marie Kortenbusch sind seit über 40 Jahren ein Paar // © rbb/EyeOpeningMedia

All den an dieser eindrücklichen, Mut machenden, tragischen, aufregenden und bewegenden Dokumentation Beteiligten ist zu wünschen, dass ihr Schritt in die Öffentlichkeit, der mit der Initiative #OutInChurch. Für eine Kirche ohne Angst verknüpft ist, die gewünschte Wirkung entfaltet. 

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Die Story im Ersten: Wie Gott uns schuf läuft am Montag, 24. Januar 2022, um 20:30 Uhr im Ersten und am Mittwoch, 26. Januar 2022, um 22:15 Uhr im rbb. Die Dokumentation ist bis zum 24. Januar 2023 in der ARD-Mediathek verfügbar

Die Story im Ersten: Wie Gott uns schuf; Exklusive ARD-Dokumentation und multimediales Projekt von Hajo Seppelt, Katharina Kühn, Marc Rosenthal und Peter Wozny; Laufzeit 45 bzw. 60 Minuten; Eine Produktion der EyeOpening.Media im Auftrag von rbb, SWR, NDR

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Die Initiative #OutInChurch 

Parallel zur Ausstrahlung der Dokumentation geht die Initiative #OutInChurch. Für eine Kirche ohne Angst an den Start, die auch in Wie Gott uns schuf erwähnt wird. Mit dieser outen sich 125 LGBTIQ+-Personen, die haupt- oder ehrenamtlich in der römisch-katholischen Kirche im deutschen Sprachraum tätig sind, wie es in einer Pressemitteilung vom 23. Januar 2022 heißt. Initiator der Initiative ist Jens Ehebrecht-Zumsande, Referent im Generalvikariat des Erzbistums Hamburg. Er sagt dazu:

„Viel zu oft wird abstrakt über die Betroffenen gesprochen. Mit #OutInChurch werden diejenigen, um die es geht, in der Kirche selbst hörbar und sichtbar.“ 

Jens Ehebrecht-Zumsande

„Erneuerung der Glaubwürdigkeit“

Wie in der Besprechung oben erwähnt, kann das Coming Out für viele der Menschen, die unter anderem in den Bereichen Bildung und Erziehung, Pflege und Sozialarbeit, Kirchenmusik und Seelsorge arbeiten und sich engagieren, erhebliche Konsequenzen mit sich bringen. „Unter ihnen sind Priester, Pastoralreferent:innen, Religionslehrer:innen, aber auch Verwaltungsmitarbeiter:innen. Im kirchlichen Kontext bedeutet ein solcher Schritt immer noch ein erhebliches Risiko, da ein Coming-out schwerwiegende Folgen bis zur Kündigung und Zerstörung der beruflichen Existenz haben kann. Tief verankerte kirchliche Methoden der Verurteilung und Beschämung machen es queeren Menschen im Dienst der katholischen Kirche schwer, sich zu zeigen“, wie es in der Pressemitteilung weiter heißt und wir es ebenfalls beschrieben haben.

Die Initiative, die laut eigenen Angaben „von der eindrucksvollen Aktion #ActOut“ inspiriert wurde, „möchte mit dem Schritt in die Öffentlichkeit zu einer Erneuerung der Glaubwürdigkeit und Menschenfreundlichkeit der katholischen Kirche beitragen.“ Diese Gedanken tragen auch vorab bereitgestellte Auszüge des zugehörigen Manifests, welches ab sofort hier zu finden ist.

Anschließen und solidarisieren

Unter anderem wird gefordert, dass „diffamierende Aussagen der kirchlichen Lehre zu Geschlechtlichkeit und Sexualität auf Grundlage theologischer und humanwissenschaftlicher Erkenntnisse zu revidieren“ sind, dies passt auch zum oben von uns angeführten Zitat Wolfgang F. Rothes. Darüber hinaus sei „das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität, auch in einer Partnerschaft beziehungsweise Zivilehe, weder zum Ausschluss von Aufgaben und Ämtern noch zur Kündigung führt.“

© #OutInChurch

Nicht zuletzt solle die Kirche in Riten und Sakramenten sichtbar machen und feiern, dass LGBTIQ+-Personen und -Paare von Gott gesegnet sind. Alle LGBTIQ+-Personen, die haupt- oder ehrenamtlich in der römisch-katholischen Kirche tätig sind, sind von #OutInChurch aufgerufen, sich der Initiative anzuschließen und grundsätzlich sind alle Menschen eingeladen, sich mit der Initiative zu solidarisieren. Was wir von the little queer review hiermit schon einmal ausdrücklich tun wollen. 

Die Pressemitteilung schließt mit der Aufforderung an die „Bischöfe und alle, die in der Kirche Verantwortung tragen, die Kirchengemeinden, Verbände und Ordensgemeinschaften […] ihre Unterstützung für die Menschen öffentlich zu erklären und das Manifest zu verbreiten.“ Wir wünschen uns, dass dieser Aufforderung weithin nachgekommen wird.

PS: Demnächst erscheint im Herder Verlag ein Buch zum Thema.

QR/PM

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