Den Tod auf dem Wunschzettel

Weihnachten – das Fest der Geburt Christi und des Todes des Butlers Arthur (Christoph Mory) im noblen englischen Herren- oder vielmehr Damenhaus Bantam. Was nach Agatha Christie oder einem sonstigen Weihnachtskrimi aus der Feder eines englischen Schreiberlings klingt, ist allerdings traditionelles deutsches Fernsehen, nämlich der Tatort: Mord unter Misteln des Münchener Duos Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec).

Gegenseitige Liebe und Fürsorge

Von ihrem Assistenten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) werden die beiden gemeinsam mit einer Handvoll weiterer Kolleginnen und Kollegen zu einem Weihnachtsdinner eingeladen. Was sie nicht wissen, es handelt sich um ein Krimi-Dinner, das die Gäste ins Weihnachtsfest des Jahres 1922 zurückversetzt – in dem der überwiegende Fall auch spielt. Doof nur dass Leitmayr und Batic aufgrund persönlicher Differenzen so gar nicht für so einen „Spaß“ zu haben sind (alte Griesgrame – Anm. d. Red.).

Von links: Katrin (Katharina Schlothauer), Batic (Miroslav Nemec), Till (Joshua Seelenbinder), Simone (Sunnyi Melles), Martin (Alexander Hörbe), Leitmayr (Udo Wachtveitl), Heidi (Marie Rathscheck) zu Gast bei Kalli (Ferdinand Hofer). Kalli erklärt die Regeln für das Spiel „Krimidinner“. // Bild: © BR/Bavaria Fiction GmbH/Hendrik Heiden

Sie müssen sich der Truppe jedoch fügen und so tauchen wir ein in das Jahr 1922. Butler Arthur bricht im weihnachtlichen Haus Bantam zusammen und sein Leben findet ein nicht allzu qualvolles, aber doch überkompensiertes Ende. Zwei Vergiftungen und eine Mund-zu-Mund-Beatmung mittels Kissen sind zu viel für den Mann, der seit 28 Jahren im Dienste der Familie Bantam steht – und für die Mehrheit seiner Mitmenschen ein ähnlicher Sympathieträger gewesen zu sein scheint wie Alice Schwarzer für die trans*-Community.

Festtägliches Cluedo

Wie beim festtäglichen Cluedo stehen also die 1922-Ermittler Detective Inspector Francis Lightmyer und sein Constable Ivor Partridge vor einem typischen festtäglichen Cluedo-Fall: Wer war’s? Wo und womit wurde der Mord begangen (das ist nämlich nicht so offensichtlich, wie wir meinen)? Und ergänzend: Warum? Zur Auswahl stehen neben der Dame des Hauses Lady Mona Bantam (Sunnyi Melles) und ihrem Sohn Charles (Hofer) dessen Verflossene Kitty (Katharina Schlothauer), die Dienstmagd Heather (Marie Rathscheck) sowie die Gäste Dr. Mallard (Alexander Hörbe) und Reverend Edgar Teal (Joshua Jaco Seelenbinder). Ach ja, und eine Katze, die sind in solchen Fällen ja immer irgendwie verdächtig…

Butler Arthur liegt plötzlich tot auf dem Orient-Teppich // Foto: BR/Bavaria Fiction GmbH/Hendrik Heiden

Jeder und jede dieser Figuren scheint ein Motiv zu haben, manche hatten Gelegenheit und das Wissen. Und manch andere hatten vielleicht zu wenig Wissen, hätten also vielleicht den einen oder anderen Zug nicht getätigt, wenn sie ähnlich detektivische Arbeit geleistet hätten wie Lightmyer und Partrdige…

Zu Weihnachten ist alles Gift

Ja, Gift kann viele Formen annehmen, flüssig, fest, in Taten oder Worten. Aber zu Weihnachten – wie wir mehr als einmal lernen – ist eben alles Gift. Die Stimmung unter den Besucherinnen und Besuchern der Weihnachtsmatinée ist Gift, manches, das serviert wird, scheint Gift zu sein und auch die Beziehung zwischen Leitmayr und Batic (oder deren 1922er-Entsprechungen) scheint das eine oder andere nicht ganz so edle Tröpfchen abbekommen zu haben. Apropos: Nicht nur in Dinner for One ist kommende Woche mal wieder 90. Geburtstag, auch Batic und Leitmayer feiern mit diesem Tatort ihren 90. Fall.

Und auch wenn die beiden ähnlich behäbig wie sonst auch agieren, dürfte dieser Fall die Zuschauerschaft vermutlich ein wenig spalten. Entweder mensch mag diesen Film von Regisseur Jobst Oetzmann und Drehbuchautor Robert Löhr, oder eben nicht. Es stimmt schon, an manchen Stellen wird hier sehr dick aufgetragen, der Klamauk hält sich nur selten in Grenzen und die Anspielungen auf so manch bekannten Agatha-Christie-Fall kommen teils so strahlend unaufdringlich wie der Weihnachtsbaum vor dem Rockefeller Center daher. Und dennoch, wer sich auf diesen Fall einlässt und ein wenig Humor mitbringt, kann sich von diesem Weihnachts-Tatort gar fabelhaft unterhalten lassen. Auf jeden Fall deutlich besser als letztes Jahr von Maria Furtwängler und Udo Lindenberg in der damaligen Episode zum Fest.

Lady Bantam (Sunnyi Melles) im Kaminzimmer von Beckford Hall // Foto: © BR/Bavaria Fiction GmbH/Hendrik Heiden

Dass dies nun nach dem Faschings-Tatort bereits der zweite in diesem Jahr ist, der eine bestimmte Zeit des Jahres berücksichtigt (dafür gab’s dieses Jahr keinen WiesnTatortdem Herrgott und der Bavaria sei Dank), erstaunt nur bedingt, aber erfreut uns angesichts des Ergebnisses. Wer zu Weihnachten zwischen Braten, Geschenken und Familienkrach ein wenig lachen möchte, ist mit dem Tatort: Mord unter Misteln auf jeden Fall bestens bedient.

HMS

PS: Sunnyi Melles beweist einmal mehr, dass sie und Erbrochenes eine fabulöse Kombination vor der Kamera abgeben – selbst wenn sie in diesem Fall nur passiv mit diesem zu tun hat.

Tatort: Mord unter Misteln // Foto: © BR/Bavaria Fiction GmbH/Hendrik Heiden

Tatort: Mord unter Misteln läuft am 26. Dezember 2022 um 20:15 Uhr im Ersten und um 21:45 auf one; anschließend ist er bis zum 26. Juni 2023 in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Mord unter Misteln; Deutschland 2022; Buch: Robert Löhr; Regie: Jobst Oetzmann; Kamera: Volker Tittel; Musik: Sebastian Fillenberg; Darsteller*innen: Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Ferdinand Hofer, Sunnyi Melles, Alexander Hörbe, Katharina Schlothauer, Marie Rathscheck, Joshua Jaco Seelenbinder u.a.; Laufzeit: ca. 88 Minuten; Eine Produktion der Bavaria Fiction (Produzent: Ronald Mühlfellner) im Auftrag des BR, die Redaktion liegt bei Cornelius Conrad

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