Blau ist eine kalte Farbe

Es glitzert, glänzt und funkelt in Sequin in a Blue Room, dem Filmdebüt des australischen Mittzwanziger-Regisseurs Samuel Van Grinsven. Sequin, was ins Deutsche übersetzt Pailette heißt, ist auch der Name der Hauptfigur. Einer der wenigen Namen, die es in diesem faszinierenden, verführerischen aber auch teilweise schwierigen Film überhaupt gibt.

NSA-Ficks und Glitzer

Sequin (Conor Leach) ist sechzehn, rothaarig, schlank, grazil und beinahe katzenhaft in seinen Bewegungen. Auf einer Grindr-ähnlichen Dating-App sucht er als „Achtzehnjähriger“ die berühmtem N(o)S(trings)A(ttached)-Hookups. Also einmalige Ficks ohne jede Verpflichtung, gern mit Männern, wesentlich älter als er selbst es ist. Liebestrunkene Teenager, wie Mitschüler Tommy (Simon Croker), sollen es nicht sein. Nach jedem Date, während derer er ein glitzerndes Pailetten-Shirt trägt, blockiert er seine Sexpartner prompt, so auch B (Ed Wightman). Kurz danach wird Sequin, während seine Lehrerin Menschen auf Sturmhöhen analysiert, zu einer anonymen Sexparty eingeladen. Dort ist alles in neonbelichtetem Blau gehalten und er trifft auf jemanden (Samuel Barrie), der nicht nur Fick, sondern Faszination ist. Sequin will ihn wieder finden, parallel dazu wird er von B gestalkt, auf dessen Hilfe er jedoch wohl angewiesen ist.

Sequin und der Unbekannte im Blauen Raum // © Salzgeber

Samuel Van Grinsven und Co-Autor Jory Anast erzählen in Sequin in a Blue Room (deutscher Verleih: Salzgeber) vor allem davon, wie es ist, im digitalen Raum erwachsen zu werden und eher dort als in der Außenwelt Erfahrungen zu sammeln. Während Tommy versucht Kontakt zu Sequin zu knüpfen ist dieser zuerst mehr mit seiner App als mit dem Jungen, der direkt neben ihm sitzt, befasst. Als sie an anderer Stelle gemeinsam wichsen, tun sie das dennoch in zwei voneinander abgetrennten Räumen. Ein Date mit Tommy verpasst Sequin, weil ihn die Suche nach dem noch namenlosen Blue-Room-Typen (wir sollen seinen Namen später erfahren) und der Stalker B ihn im übertragenen Sinne festhalten, er nicht aus seinem Raum kommt. 

Grenzgefahren

Was die Macher des Films ebenfalls sehr fein illustrieren, ist die konstante Grenzüberschreitung in der Zeit, in der man noch nach Wegen sucht, wie die eigene sexuelle Identität auszuleben ist, sie für sich womöglich erst bewusst herauszubilden und wahrzunehmen beginnt. In Gesprächen während des Entstehungsprozesses seien die beiden auch Aussagen begegnet wie: „Ich kann nicht glauben, welchen Situationen ich mich ausgesetzt habe.“ Das kann vom Rezensenten nicht nur bestätigt werden, sondern ist auch eine Erfahrung die Twink Sequin macht.

Tommy und Sequin // © Salzgeber

Bei ihm entwickelt sich jedoch aus dem Gefahrenpotenzial eine echte Gefahr, denn Sequin war wohl weder zufällig zu der Party eingeladen worden, noch findet B die Aussage „Ich treffe niemanden zweimal“ so richtig klasse. Etwas Unheimliches hat der Mann von Beginn an an sich, das spielt sich noch weiter aus als Sequin ihm sein Smartphone klaut. So sei auch dazu gesagt, dass der 16-jährige sehr selbstischer auftretende Junge nicht gänzlich unschuldig an den Entwicklungen des Films ist.

Dennoch, und das ist der erwähnte schwierige Punkt, geschehen hier Dinge, die grundsätzlich derber Konsequenzen bedürften. Sicherlich hat Sequin sein Ziel – den Namenlosen ausfindig machen – vor Augen, ebenso aber auch die Gefahr, die B verkörpert. Und diese Gefahr manifestiert sich in verschiedenen Verhaltensweisen, Sequins verständnisvoller Vater (Jeremy Lindsay Taylor) ist zurecht besorgt und dass der Film es doch irgendwie so wirken lässt als wäre Sequin allein Auslöser und Bs Handeln zumindest ohne sichtbare Konsequenzen bleibt, ist schwierig. Womöglich wollten die Macher uns aber auch nur einen realistischen Abriss potentieller Abläufe geben. Who knows.

© Salzgeber

Lüstern und klug

Von dieser kritischen Position aber einmal abgesehen, funktioniert die Mischung von sexy Coming-of-Age-Film und Thriller aber sehr gut. Darüber hinaus liefert sie teils fantastische Bilder, nicht nur im Blau, sondern bietet generell einige sehr feine Einstellungen. Zum Beispiel wenn Sequin im Unterricht chattet und das Portal eingeblendet wird; besagte Wichsszene auf dem Schulklo oder jene Momente, in denen Sequin nach seinen Dates duscht, sich noch einmal genüsslich windet und in seiner Erinnerung den Sex Revue passieren und auch uns Zuschauende teilhaben lässt.

Conor Leach, der Sequin spielt, ist überhaupt eine der Entdeckungen des Films. Es ist sein Film, ihm gehört nicht nur der Titel, sondern beinahe unsere gesamte Aufmerksamkeit. Sein Mienenspiel ist grandios, binnen weniger Augenblicke vermittelt er verschiedenste Gefühle. Sein geschmeidiges, wie erwähnt katzenhaftes Auftreten und sein still-exponiertes, erhabenes Arschloch-Gehabe lassen Momente der Unruhe und Unsicherheit im Blick oder ein kleines mimisches Verrutschen nur noch mehr wirken.

© Salzgeber

So ist Sequin in a Blue Room ein Film, der zeigt, was es heißt, sich vermeintlich selbst über das Digitale zu finden, dabei aber doch zu mäandern und welchen Aufwand, aber im Grunde doch nur kleinen Schritt, es bedeutet, warmes Licht in diesen Raum zu lassen, eine andere Tür zu öffnen. Optisch und inhaltlich so schimmernd und ansprechend wie intellektuell erfüllend. Samuel Van Grinsven und Conor Leach sollten wir im Auge behalten. 

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Sequin in a Blue Room im Verleih von Salzgeber

Sequin in a Blue Room lief im August in der Queerfilmnacht. Ab Donnerstag, 2. September 2021, ist er im Salzgeber Club als Video on Demand und Download verfügbar; ebenfalls erhältlich auf DVD (ca. 13,00 €).

Sequin in a Blue Room; Australien, 2019; Regie: Samuel Van Grinsven; Drehbuch: Jory Anast, Samuel Van Grinsven; Kamera: Jay Grant; Musik: Brent Williams; Darstellende: Conor Leach, Samuel Barrie, Jeremy Lindsay Taylor, Ed Wightman, Anthony Brandon Wong, Simon Croker, Patrick Cullen, Tsu Shan Chambers, Damian de Montemas, Joshua Shediak; Laufzeit: 80 Minuten; FSK: 16; im Verleih von Salzgeber

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