Bloß nicht schwul am Ball!

Kürzlich hat sich der Fifa-Schiedsrichter Tom Harald Hagen offiziell zu seinem Schwulsein geäußert, doch das ist lediglich ein kleiner Lichtblick für Homosexuelle im Profifußball. Toni Kroos riet in der letzten #PrideInside Ausgabe der deutschen GQ schwulen Spielern eher davon ab sich zu outen, auch wenn er natürlich hinter ihnen stünde. Der brasilianische Fußballer Neymar beleidigt den bisexuellen Freund seiner Mutter („Schwuchtel“, „Besenstiel in den Arsch“) und wird von dem brasilianischen LGBTQ*-Aktivisten Agripino Magalhaes angezeigt. Und der spanische Spieler Borja Iglesias wird auf Twitter & Co homophob beschimpft, nachdem er sich die Fingernägel schwer lackiert hatte, eigentlich allerdings um sich mit der #BlackLivesMatter-Bewegung solidarisch zu zeigen. Und das war gerade mal vor der Sommerpause. Fußball 2020 – auch ohne Corona und der auf 2021 verschobenen EM in der Dauerkrise.

So hat auch der 2018 erschienene Film Mario des schweizerischen Regisseurs Marcel Gisler um zwei fiktive schwule Fußballer in der realen Berner U21-Mannschaft YB nichts an Aktualität eingebüßt. 

Zaghafte Annäherung und erste große Liebe

Der talentierte Mario (Max Hubacher, Schweizer Filmpreis als Bester Darsteller) spielt als Stürmer für die U21 der BSC Young Boys und kann ganz realistisch auf den Aufstieg in die erste Mannschaft hoffen. Plötzlich wird ihm ein Neuzugang aus Hannover vor die Nase gesetzt – Leon (Aaron Altaras), ebenfalls Stürmer. Die beiden Konkurrenten harmonieren allerdings auf dem Platz und die Vereinsleitung beschließt, ihren Fokus auf beide Spieler zu legen und packt sie in eine WG. 

© PRO-FUN MEDIA

Die Harmonie besteht jedoch nicht nur auf dem Platz, sondern auch in der Wohnung. Am Ende einer kleinen Alberei küsst Leon Mario schließlich, der verdattert den Raum verlässt. Doch am nächsten Tag erwidert Mario den Kuss und beide bandeln an, verlieben sich ineinander. Es dauert allerdings nicht lange und die ersten Gerüchte kommen auf, ebenso wie erste subtile homophobe Anfeindungen innerhalb der Mannschaft. Die Vereinsleitung bittet die beiden, samt ihrer Spielerberater, zum Gespräch. Jeder nach seiner Façon, aber bitte nicht öffentlich. Also eine Beziehung im Geheimen und die Spielerfrauen draußen am Arm?!

Sensibler Umgang mit dem heiklen Thema

Regisseur Marcel Gisler und seine beiden Co-Autoren Thomas Hess und Frédéric Moriette nehmen sich eines heiklen und immer mal wieder hitzig diskutierten Themas an. Von Gerüchten und dem Outing Robbie Rogers als noch aktiver Spieler im Jahr 2013 mal abgesehen, ist weltweit  kein aktiver Fußballspieler geoutet. Thomas Hitzlsperger, der sich nach dem Ende seiner aktiven Karriere outete, erläuterte ja bereits häufiger, mit welchen Problemen man zu kämpfen haben dürfte. Und nun käme vermutlich noch der Druck wütender Fans in den sozialen Medien hinzu. Umso angenehmer ist es, wie der Film mit dem Thema Homphobie im Sport umgeht. Sie findet deutlich, aber eher unterschwellig statt, sie ist ärgerlich und wühlt auf, driftet aber nicht in polternde Klischees ab. Da macht es sich bezahlt, dass die drei Autoren wohl aufgrund ihrer Recherchen einige Änderungen am Skript vorgenommen und den Ton etwas gedrosselt haben. Die Art der Äußerung der Homophobie muss eben zu einem Sport passen, der nach außen mit Lippenbekenntnissen zu Offenheit, Vielfalt und Toleranz unterwegs ist.

So ist auch der von Andreas Matti stark gespielte Spielberater von Mario kein Abziehbild eines raffgierigen, zynischen Beraters, sondern ein tatsächlich um seinen Schützling besorgter Manager. Natürlich sieht auch er die Zukunft des Spielers und möchte ein Stück vom Kuchen. Nichtsdestotrotz merkt man ihm an, dass er den Menschen hinter dem Spieler nicht vergessen hat. Dennoch rät natürlich auch er Mario dazu, seine Homosexualität weiter geheim zu halten und stattdessen doch seine beste Freundin Jenny (Jessy Moravec, zu recht mit dem Schweizer Filmpreis für Beste Darstellung in einer Nebenrolle ausgezeichnet) als Alibi-Freundin zu nehmen. „Drogen, Sex mit Minderjährigen und Schwulzeug“, das sind eben die Dinge die nicht gehen, die Marktwert und Karriere killen.

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Dass es in einer U21-Mannschaft durchaus zu Verunsicherung kommen kann, ist ja sogar nachvollziehbar. Die meisten der Jungs sind eben noch halbe Kinder, haben größtenteils nur in ihrer Fußballblase gelebt und vermutlich nicht viel Bezug zu gleichgeschlechtlich Liebenden gehabt. Doch genau dann kommt es eben auch auf den Umgang der sie Betreuenden mit dem Thema an, am Ende sind sie die Autoritätspersonen. Ein gutes Bild innerhalb des Vereins gibt hier lediglich der hilfsbereite Trainer Roger Maillard (Joris Gratwohl, Alex aus der Lindenstraße) ab. Vieles geschieht dann auch Off-Screen und wir bekommen Dinge sozusagen von der Vereinsleitung ausgerichtet.

So ist es auch lobenswert, dass der Berner Fußballclub YB sich so gern bereit zeigte, nicht nur den Namen, sondern auch das Stadion Stade de Suisse und Trikots, etc. zur Verfügung zu stellen. Dieser Einsatz für Toleranz ist aber natürlich auch gutes Marketing  für den Verein.

Ehrlich und erotisch

Regisseur Gisler schafft es auch, die Absurditäten des Fußball-Geschäfts in kleinen Momenten und kurzen Bemerkungen wunderbar aufzuzeigen, ja beinahe zu sezieren. Sei es eben erwähnte Alibi-Situation, die immer wieder hervorgeholte Erklärung der Vereinsleitung „Wir haben nichts gegen Schwule, aber…“ oder der Tipp sich eine Therapeutin zu nehmen, die auch andere heimlich schwule Spieler betreut. 

Glaubwürdigkeit bezieht der Film aber vor allem auch durch die starke Leistung der beiden Hauptdarsteller Max Hubacher, der ohnehin als einer der künftigen Großen gehandelt wird, und Aaron Altaras. Die Harmonie und Anziehung strahlen sie in ihren gemeinsamen Szenen aus, auch das quasi „verschwörerische Band“ zwischen ihnen wirkt insbesondere auf dem Platz authentisch. Ihre gemeinsamen Szenen im Bett sind hocherotisch und romantisch geprägte Momente der Zweisamkeit wirken ehrlich. 

Auch wenn der Film zumindest auf der Ebene des Liebesfilms eine einigermaßen dramatische Entwicklung nimmt, verzichtet das Drehbuch auch hier auf Klischees. Es ist eine Erzählung, der man ihren Realitätsbezug in jedem Moment abnimmt und die Handlungen von Mario und Leon bleiben nachvollziehbar, es gibt keinen Bruch in der Erzählung, nur um einen Wow-Effekt auszulösen. Das ist äußerst dankenswert. 

Diese ruhige, sensible, respektvolle und doch unterhaltsame Erzählweise ist genau richtig für einen Film, der eine Welt beleuchtet, in der es auch gern heißt: „Wir haben kein Problem mit Schwulen. Es gibt bei uns einfach keine.“ Was dann schon hart nach dem tschetschenischen Traum-Präsidenten Ramsan Kadyrow klingt. 

Mit Mario erzählt Regisseur Marcel Gisler die glaubwürdige Geschichte einer quasi verbotenen schwulen Liebe und wirft dabei einen Blick hinter die Kulissen der Maschinerie „Fußball“ und seziert ihre teilweise entmenschlichenden Mechanismen, ohne in die Klischeekiste zu greifen.

Mario; Schweiz 2018; Regie: Marcel Gisler; Drehbuch: Marcel Gisler, Thomas Hess, Frédéric Moriette; Musik: Michael Duss, Christian Schlumpf, Martin Skalsky; Kamera: Sophie Maintigneux; Darsteller*innen: Max Hubacher, Aaron Altaras, Jessy Moravec, Jörg Plüss, Doro Müggler, Andreas Matti, Joris Gratwohl, Scherwin Amini, Fabrizio Borsani, Beat Marti, ; Laufzeit: ca. 119 Minuten; FSK: 0; Pro-Fun Media; erhältlich auf DVD & BluRay, als VoD und Download

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