IDAHOBIT-plus

Am Dienstag war – wie jedes Jahr am 17. Mai – der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Trans- und Interfeindlichkeit (IDAHOBIT) und da solche Feier- oder Gedenktage allzu gerne bereits ein oder zwei Tage später vergessen sind, haben wir und entschlossen erst ein paar Tage später diesen Beitrag zu veröffentlichen. Denn pünktlich zum IDAHOBIT gab es einige sehr wunderbare Aktionen, die wir – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – an dieser Stelle noch einmal zusammenfassen möchten – und am Ende noch ein, zwei Hinweise mit Blick in die nahe Zukunft:

Firebird – Berlin-Premiere

Der britisch-estnische Film Firebird hat uns bereits Ende 2021 sehr bewegt. Er erzählt die Geschichte von zwei sowjetischen Soldaten in der Zeit des Kalten Kriegs. Sergei (Tom Prior, auch Co-Autor und Produzent) und Roman (Oleg Zagorodnii) lernen einander auf einer Militärbasis im sowjetisch besetzten Estland kennen und entdecken ihre Liebe füreinander. In der kommunistischen Sowjetunion ist das ein Verbrechen – genau wie es auch heute wieder in Putins Russland strafbar ist, nicht-heterosexuelle Beziehungen zu führen.

Firebird-Deutschlandpremiere zum IDAHOBIT im Zoopalast; v. l. n. r.: Regisseur Peeter Rebane, die Darsteller Oleg Zagorodnii und Tom Prior sowie Moderator Dominik Porschen // Foto: © the little queer review/HMS

Zum IDAHOBIT feierte der Film nun Berlin-Premiere und die beiden Hauptdarsteller sowie der Produzent und Regisseur Peeter Rebane waren für diese Vorführung in den Berliner Zoopalast gekommen. Gemeinsam mit einigen weiteren Spezialvorführungen bundesweit wurde anlässlich des IDAHOBIT mit dem Partner All Out für jedes verkaufte Ticket ein Screeninglink des Films für LGBTIQ-Personen zur Verfügung gestellt, die in ihrem Land Repressionen ausgesetzt sind und nur schwer Zugang zu queeren Filmen haben. Gerade in Hinblick auf Zagorodniis ukrainische Heimat ist das ein Signal, das in diesen Tagen kaum wertvoller sein könnte.

Torrey Peters – Transition einer Lesung

Zwar nicht am 17. Mai, aber durchaus im Gedanken des Tages, stellte Torrey Peters ihr Buch Detransiton, Baby am 12. Mai in den Geistesblüten vor. Wir waren mit unserer Gastautorin Nora Eckert dort, die das Buch hier für uns besprochen hat. Nach der geteilten Begeisterung für den Titel konnten wir uns die Buchvorstellung am Walter-Benjamin-Platz, die Inhaber Christian Dunker moderierte, und auf der Schauspielerin Inga Busch Passagen auf Deutsch las, während Torrey – mit ihrem unnachahmlichen Timbre – in englischer Sprache las, natürlich nicht entgehen lassen.

Torrey Peters in der Ausstellung Anno Wilm, links von ihr Christian Dunker und vorne rechts der Hinterkopf von Inga Busch // Foto: © geistesblueten.com

Es sollte dann auch ein alles in allem sehr guter Abend sein; allein das Gespräch der drei zu dem Titel, der Wahrnehmung – hier auch die recht deutsche Debatte um mögliche Trigger Warnings* – und Rezeption, wie natürlich auch Inspiration, waren Eintritt und Anfahrt allemal wert (und ein leckerer Rosé half sowieso). Leider war die zweite gewählte Lesepassage gerade im Deutschen etwas lang und, auch von Personen, die das Buch gelesen haben, als inhaltlich nicht stark gewählt empfunden. Dennoch wurde viel gedacht und gelacht und nicht oft erlebten wir bisher so sympathische, bewusste und zugängliche Autor*innen bei Buchvorstellungen. Dass wir im Anschluss noch mit den Autorinnen Kerstin Campbell (Ruthchen schläft bei Kampa Verlag) und Britta Sembach (Co-Autorin Die Kümmerfalle bei DVA) ins Gespräch kamen, rundete den Abend ab.

Flaggen über Flaggen

Apropos Nora Eckert: Die war anlässlich des IDAHOBIT zur Flaggenhissung – und zwar der Progressive Pride Flag – vor der SPD-Bundeszentrale, also dem Willy-Brandt-Haus (ebenfalls anwesend waren u. a. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, die Bundestagsabgeordneten Falko Droßmann und Jan Plobner sowie vom Bundesvorstand SPDqueer Carola Eberhardt und Oliver Strotzer). Natürlich gab Nora dort auch ein Statement ab, aus dem wir hier einige Passagen zitieren wollen. 

Während der Flaggenhissung vor dem Willy-Brandt-Haus mit v. l. n. r.: Falko Droßmann, Anke Hennig, Oliver Strotzer, Nora Eckert, unbekannt, Kevin Kühnert // Foto: © Kai Doering

„Es gibt in unserer Gesellschaft wohl keine andere Gruppe von Menschen, die bis auf den heutigen Tag eine rechtsstaatlich sanktionierte Diskriminierung erfährt, wie die der Transmenschen.

[…]

Die Diskriminierung, die ich meine, hat einen Namen ‚Gesetz über die Änderung von Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen‘. Wir kennen es unter der Bezeichnung ‚Transsexuellengesetz‘, kurz TSG.

Der umständliche, so harmlos klingende Titel verrät nichts von seinem menschenfeindlichen Inhalt. Doch ich bekam ihn sozusagen am eigenen Leib zu spüren, wie viele andere Transmenschen mit mir und nach mir. Schon seine Sprache ist eine einzige Entwürdigung.

Vor 46 Jahren erkannte ich mein trans*Sein. Ich lebe und arbeite seither als Frau und bin inzwischen Rentnerin geworden, wobei die weibliche Bezeichnung amtlich unzutreffend ist, denn für die Rentenversicherung gelte ich nach wie vor als Mann. 

[…]

Nora Eckert während ihrer kurzen Rede am 17 Mai 2022 im Willy-Brandt-Haus // Foto: © Kai Doering

Ein halbes Dutzend höchstrichterliche Urteile haben bisher die Verfassungswidrigkeit bestimmter Regelungen festgestellt und diese annulliert. Das letzte übrigens 2011. Das spricht Bände, wie ich meine.

[…]

Die Anwältin und Kämpferin für trans*Rechte, Maria Sabine Augstein, nannte das TSG ‚das Produkt einer heteronormativen, homophoben Gesellschaft‘, geboren aus einer ‚totalen Panik des Gesetzgebers‘. Dieser ‚blanke Schwachsinn‘, so ihre deutlichen Worte, hatte uns ein maximal repressives Gesetz beschert, eine Diskriminierung mit rechtsstaatlichen Mitteln, die nach wie vor gilt.

[…]

Ich nenne mich heute trans*Aktivistin und ebenso bewusst Transfrau. Ich setze mich für die Rechte von Transmenschen ein, die keine Sonderrechte, sondern nach unserer Verfassung Menschenrechte sind. Unsere Lebenswirklichkeit sieht ein wenig anders aus.

Seit 46 Jahren warte ich auf ein Selbstbestimmungsgesetz, damit endlich Gleichbehandlung, Gleichstellung und Gleichberechtigung Wirklichkeit werden.“

Aus Nora Eckerts Statement anlässlich des IDAHOBIT im Willy-Brandt-Haus

Allgemein wurden zum IDAHOBIT natürlich nahezu weltweit symbolisch diverse Pride-Flags gehisst.

Ebenfalls wurde vor dem Bundesinnenministerium eine Regenbogenflagge gehisst – und zwar zum allerersten Mal. Die nicht unumstrittene Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte dazu: „Heute ist ein historischer Tag. Zum allerersten Mal wird am Bundesministerium des Innern und für Heimat die Regenbogenflagge gehisst. Wir hissen die Flagge als Zeichen der Solidarität mit allen Menschen, die von Diskriminierung und Ausgrenzung aufgrund der sexuellen Identität betroffen sind.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser zeigt Flagge // Foto: © Henning Schacht

Das feiern wir doch in jedem Fall. Weniger feiern wir allerdings die steigenden Zahlen queerfeindlicher Straftaten im Bereich Hasskriminalität, die Faeser gemeinsam mit dem Präsidenten des Bundeskriminalamts, Holger Münch, am 10. Mai vorstellte. Hierzu folgt von uns in Bälde ein Beitrag, der natürlich auch Stimmen der queerpolitischen Sprecher*innen und diverser Verbände beinhaltet.

Jake Daniels – ein Coming-out für Europa

On a lighter note: Ein uns Mut machendes Signal hat uns aus Großbritannien erreicht. Mit dem 17-jährigen Jake Daniels vom FC Blackpool bekannte sich erstmals ein aktiver Fußballspieler in einer europäischen Profiliga zu seiner Homosexualität. Nach dem Australier Josh Cavallo hat nun auch in Europa ein junger Mann noch in der frühen Phase seiner Karriere seine Homosexualität öffentlich gemacht und dafür viel Respekt und Anerkennung geerntet.

In Deutschland ist die Situation im Profifußball bekanntermaßen noch immer nicht einfach. Seit Thomas Hitzlsperger Anfang 2014 gab es auch nach der aktiven Karriere keine Coming-outs mehr im deutschen Profifußball. Das Thema wurde zwar immer wieder diskutiert und das Fußball-Magazin 11 Freunde ermutigte im Februar 2021 deutsche Profifußballer zu diesem Schritt, aber bisher hat ihn leider noch keiner gewagt. Daniels‘ mutiger Schritt könnte aber nun Signalwirkung für die Profis auch hierzulande haben – Lob und Anerkennung für den Schritt gab es jedenfalls.

Princess Charming – die Zweite

Und auch wenn es um lesbische Sichtbarkeit geht, haben wir hierzulande noch immer viel Nachholbedarf. Die erste Staffel der TVNOW (heute RTL+)-Produktion Princess Charming rund um Prinzessin Irina Schlauch hat hier im Vergangenheit bereits große und wichtige Schritte getan (Stichwort: „Viva la vulva!“), aber doch hat lesbische Sichtbarkeit noch immer viele Hürden zu nehmen.

Hanna ist die Princess der zweiten Staffel „Princess Charming“ // © RTL

Umso erfreulicher ist es, dass die zweite Staffel von Princess Charming bereits im Kasten ist. Am IDAHOBIT gab es nun die freudige Meldung, dass diese ab 14. Juni auf RTL+ ausgestrahlt wird. Wir freuen uns sehr darauf und werden natürlich darüber berichten.

Mit dem IDAHOBIT nicht verknüpft, aber dennoch an jenem Abend ausgestrahlt, ist der Themenabend, den arte am 17. Mai hatte. Es ging um #metoo und das Frauenbild in unserer Gesellschaft. Vier spannende Dokumentationen strahlte arte an diesem Abend zu dem Thema aus und die zwei eindringlichsten – zu Femiziden und zum „Feindbild Frau“ haben wir für euch gesichtet und besprochen.

Außerdem: verspätete Geburtstagswünsche

Ach ja, eine letzte Sache gab es übrigens auch am 17. Mai: Der Komiker Heinz Strunk feierte seinen 60. Geburtstag und wir wollen an dieser Stelle noch einmal sehr herzlich nachträglich gratulieren. Mit dem IDAHOBIT oder queeren Thematiken hat auch das nichts zu tun, aber eine besondere Art von Beziehung hegen wir trotzdem zu ihm:

Sein Buch Es ist immer so schön mit dir war im vergangenen Jahr für den Deutschen Buchpreis nominiert und wir durften es als Online-Magazin im Rahmen des Buchpreisbloggens lesen und vorstellen. Selbst wenn wir nicht übermäßig davon begeistert waren, war das eine schöne Erfahrung und mit Antje Rávik Strubels Blaue Frau hat auch einer unserer Favoriten verdient gewonnen. Während wir im Moment gespannt auf die Verkündung des Preisträgers oder der Preisträgerin des Deutschen Sachbuchpreises am 30. Mai warten, freuen wir uns auch bereits auf den diesjährigen Deutschen Buchpreis im Sommer.

Und ein Blick voraus

In der kommenden Woche, am 26. Mai, startet die mittlerweile 16. Ausgabe des XPOSED Queer Film Festival Berlin, das wir an dieser Stelle schon einmal erwähnt haben wollen. Mehr folgt, schaut euch bis dahin doch einfach mal auf deren Homepage um.

Auch Minjan, der sich um David (Samuel H. Levine), der aus einer russischen Einwandererfamilie stammt und der als schwuler Junge unter den strengen Regeln seiner jüdischen Gemeinde leidet, dreht, wird im Rahmen von rbb QUEER zu sehen sein (unsere Besprechung folgt) // Foto: © rbb/Salzgeber

Ebenfalls ist es nun offiziell: Ab dem 2. Juli gibt es in Kooperation mit Salzgeber wieder die Reihe rbb QUEER, mit insgesamt sieben Filmen, darunter solche Highlights wie Moffie oder Futur Drei. Erstmalig in diesem Jahr wird auch es BR QUEER geben. Die Reihe startet am 7. Juli, dort werden unter anderem der irisch-kubanische Prachtfilm Viva oder die schwedische Dramedy Küss mich zu sehen sein.

Eure queer-reviewer 

Und nochmals Torrey Peters bei den Geistesblüten // © geistesblueten.com

*zu diesem Thema werden wir bald einen Debattenbeitrag veröffentlichen, in den wir auch einige Statements Torrey Peters’ zum Buch aufnehmen.

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