Nicht die Gesellschaft ist das Problem, sondern der Fußball…

Beitragsbild: Der englische Trainer Matt Morton (Mitte) und seine Mannschaft // © BROADVIEW Pictures

…so etwa sagt es die Nichte des schwulen britischen Fußballspielers Justin Fashanu, der sich 1998 mit nur 37 Jahren das Leben nahm, im Dokumentarfilm Das letzte Tabu, der sich, Überraschung, mit Homosexualität und vor allem deren vermeintlicher Abwesenheit im Profifußball befasst. Anders kann mensch es wohl kaum sagen, wenn wir bedenken, dass bei um die 500 000 professionellen, männlichen Fußballspielern gerade einmal sieben (7!) ein Coming Out gewagt haben.


Amal Fashanu bei der Aufnahme ihres Onkels Justin in die Hall of Fame des britischen National Football Museum // © BROADVIEW Pictures/Getty Images

Passend zum Pride Month und der in wenigen Tagen beginnenden Fußball-Europameisterschaft der Männer zeigt das ZDF Manfred Oldenburgers Das letzte Tabu heute Abend zum 20:15 Uhr als Free-TV-Premiere. Der abendfüllende Film kann auch bei amazon prime gestreamt werden.

Authentisch und persönlich

Das tragische Schicksal Fashanus, dessen Bruder ihm gar Geld geboten hatte, sich nicht zu outen und der sehr unter seinem homofeindlichen, aggressiv-boshaften, ihn mobbenden und schließlich bei Nottingham Forest rausekelnden Trainer Brian Clough zu leiden, mag da lange Zeit und gegebenenfalls noch immer, bei vielen nicht-heterosexuellen Spieler im Gedächtnis sein. Jedenfalls war er das bei Thomas Hitzlsperger, der sich im Januar 2014 erst nach seiner aktiven Profi-Karriere outete und seitdem als Funktionär, TV-Experte und LGBTIQ*-Botschafter, Gastronom sowie Buchautor seine Runde macht.

Thomas Hitzlsperger: „Homosexualität hat nichts mit schwach, mit Leiden, mit schlechter Gesundheit zu tun. Sondern man kann das auch sehr selbstbewusst transportieren und sagen: Es gibt hier kein Problem. Aber ich kann erst darüber selbstbewusst sprechen, wenn es mir gut geht. Und das war 2014 mehr der Fall, als es noch zu meiner aktiven Zeit der Fall war.“ // ©BROADVIEW Pictures

„Hitz the Hammer“, wie er damals wegen seines harten Schusses auch genannt wurde, und Alma Fashanu, Gründerin der Justin-Fashanu-Stiftung, die homosexuelle Spieler berät, sind zwei der diversen Gesprächspartner*innen in Manfred Oldenburgs (u. a. Kroos, verfügbar bei RTL+) eindrücklicher Dokumentation, die gänzlich auf Off-Kommentare verzichtet und ausschließlich und persönlich die Protagonist*innen sprechen lässt. Das trägt durchaus dazu bei, dass der 90-minütige Film uns an mancher Stelle sehr nah geht.

Zwei Seiten eines Balls

Neben den Genannten sprechen ebenfalls Marcus Urban, der in den 1980er– und 90er-Jahren bei Rot-Weiß-Erfurt in der Nachwuchs-Oberliga spielte, kurz davor stand, in die Bundesliga zu wechseln, sich aber zurückzog, da ihm der Druck, sich als homosexueller Spieler verstecken zu müssen, zu groß wurde. Zuletzt machte Urban von sich reden, da er ein großes Gruppen-Coming-Out von Fußballern à la #ActOut zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie (IDAHOBIT) am 17. Mai 2024 ankündigte, hier aber wohl zu weit vorgeprescht ist und zurückrudern musste. (Zu) Ausführlich zu Wort kommt der damalige Partner und Lebensgefährte Fashanus, Queer-Aktivist Peter Tatchell, der ebenfalls der Meinung ist, dass Justins Schicksal viele schwule Spieler von einem Outing abhalte.

Marcus Urban: „Als ich in der Schule zum ersten Mal gehört habe ,Schwuchtel‘, ,schwule Sau‘, habe ich zum ersten Mal mitbekommen, dass da irgendwas nicht gut wäre. (…) Vorher war das für mich ganz natürlich und normal, ich hatte erotische Fantasien mit Männern und habe sie mir sofort verboten. Darfst du nicht denken, du bist Fußballer, also kannst du nicht schwul sein, unmöglich.“ // © BROADVIEW Pictures

Dem gegenüber stehen allerdings der aktive geoutete Spielertrainer im britischen Amateur-Fußball, Matt Morton, sowie der amerikanische Profifußballer Collin Martin, der seine Mannschaft, die San Diego Loyals, gar so weit hinter sich weiß, dass sie geschlossen den Platz verlassen, als Martin von einem Spieler des gegnerischen Teams homophob beleidigt wird und zusätzlich von einem verwirrten Schiedsrichter die Rote Karte bekommt. (Nun wird Fußball in den USA auch anders wahrgenommen, als hierzulande bzw. in Europa. Für einen adäquaten Vergleich würde da eher die American Football League taugen.) Auch wird Jakub Jankto erwähnt, der allerdings leider nicht persönlich in Das letzte Tabu auftaucht – das schien seinem damaligen Verein Sparta Prag dann wohl doch ein zu risikoreicher Tabubruch.

Collin Martin: „When my team was walking off the field, I couldn‘t believe it. I thought it wasn’t real. I thought I was in a nightmare. Growing up as a little kid, all I wanted to do was to play professional soccer. My sexuality impacting that was my biggest nightmare.“ // © BROADVIEW Pictures

Scheiß schwuler Pass?

Sehr spannend sind auch die Einlassungen Tatjana Eggelings, ihres Zeichens Beraterin zum Thema „Vielfalt Leben“, die aktive nicht geoutete Fußballer berät, und meint, dass es manchen schon reicht, einmal mit ihr zu sprechen, um dann für sich beispielsweise den Entschluss zu fassen eben doch noch bis zum Karriereende zu schweigen. Dies auch, wenn der Leidensdruck dennoch groß sein bzw. bleiben dürfte, wie die ehemalige deutsche Bundesliga-Fußballerin Tanja Walter Ahrens meint: „Es ist einfach total erdrückend, wenn du einen ganz wichtigen und großen Teil deines Seins nicht ausleben kannst.“

Schlagzeile in der britischen Zeitung The Sun zum Coming Out von Justin Fashanu // © BROADVIEW Pictures/The Sun

Es ist natürlich so, dass Fußi ein eher archaischer, lauter und aggressiver Sport ist, der natürlich (*hust*) nicht mit jenen Attributen, wie sie schwulen Männern und Queers im Allgemeinen zugeschrieben werden, zusammen zu passen scheint. Weich, feminin, schwach, kleine Fairies eben. „Damit wird auch selbstverständlich im Fußball davon ausgegangen, dass alle heterosexuell sind, sonst könnten sie es ja so nicht spielen. Die Möglichkeit, dass jemand sich genauso verhält, wie es der heterosexuellen männlichen Norm entspricht, aber eine schwule Identität hat, das wird dann schon gar nicht mehr mitgedacht“, so Eggeling im Film.

Also: Es kann nicht sein, was vermeintlich nicht sein darf. Homophobe Gesänge im Stadion? Kulturgut! Der Pass war „scheiße schwul“ und nicht einfach „scheiße“?! Gelungene Analyse. Eben nicht, wie Dario Minden, schwuler Fanvertreter von „Unsere Kurve“, einer Interessengemeinschaft organisierter Fußballfans meint. Im Film sehen wir auch seinen Auftritt beim vom DFB organisierten Panel anlässlich der letzten Männer-WM in der lupenreinen und menschenfreundlichen Demokratie Katar.

Lieber lügen als frei zu leben

Ein weiterer Aspekt, den die von Leopold Hoeschs BROADVIEW Pictures (u. a. Die Unbeugsamen und Die Unbeugsamen 2 – Guten Morgen, ihr Schönen!, Gerhard Schröder – Schlage die Trommel, Angela Merkel – Im Laufe der Zeit, Kroos) produzierte Dokumentation Das letzte Tabu ins Auge fasst, ist der allgemein hohe Druck im Profisport. In diesem Zusammenhang kommen Per Mertesacker, Babak Rafati, ehemaliger Schiedsrichter in der deutschen Bundesliga – hält heute Vorträge zu Präventionsstrategien bei Burnout, Mobbing und Depressionen und zum Thema Leistungsdruck – sowie der ehemalige Sportreporter Ralf Töpperwien zu Wort.

Homophobe Spruchbänder in der deutschen Bundesliga // © BROADVIEW Pictures / Imago

Wenn wir so wollen, lässt sich also sagen, dass auf schwulen bzw. queeren Spielern ein doppelt so hoher Druck lastet, als auf ihren heterosexuellen Kollegen, die beispielsweise schon ganz selbstverständlich ihre Partnerin zu Events mitbringen können und nicht lügen müssen, wenn es darum geht, was sie am Wochenende so gemacht haben. Dies nämlich ist Fakt: Lieber lügen ungeoutete Spieler, als sich dem Druck eines öffentlichen Coming Outs auszusetzen und das möglicherweise harsche Nachspiel ertragen zu müssen.

Lautes Schweigen und frühes Coming Out

Bezeichnend ist es auch, dass keine Fußballfunktionäre zu Wort kommen – sie alle hätten abgesagt oder sich gar nicht erst gemeldet, so Regisseur Oldenburg. Berührungsängste und lautes Schweigen geben den Weg vor. Immerhin schließt der Film aber doch mit einer positiven Message. Zum Ende sehen wir, wie Thomas Hitzlsperger auf den englischen Fußballspieler Jake Daniels, der sich 2022 mit nur siebzehn Jahren outete und dabei auf Josh Cavallo und Turmspringer Tom Daley Bezug nahm.

Zeichen gegen Homophobie in der deutschen Bundesliga // © BROADVIEW Pictures / Imago
Thomas Hitzlsperger

Sexuelle Vielfalt im Sport, vor allem im Fußball, und vor allem deren Anerkennung und Akzeptanz scheinen dennoch mehr Wunsch als Wirklichkeit zu sein. Der Weg, er ist steinig und mensch kann kaum anders, als Amal Fashanu zuzustimmen, dass das Problem ein hausgemachtes und kein gesamtgesellschaftliches ist. Wenn es natürlich auch Vereine gibt, die sich bemühen, Steine aus dem Weg zu räumen.

Queer leben

Ein schwerer Stein wurde viel zu spät und zögerlich mit der Aufhebung des § 175 StGB am 11. Juni 1994 aus dem Weg geräumt. Dazu Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen), Beauftragter der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt (Queer-Beauftragter):

Sven Lehmann

Darüber hinaus wird in der morgigen Bundestagssitzung gegen 16:30 Uhr über den „Aktionsplan der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt – Queer leben“ (20/4573) beraten. Mit dem bundesweiten Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt will die Regierung Queerfeindlichkeit entgegenwirken. Das 16-seitige Dokument enthält Empfehlungen für Maßnahmen in sechs Handlungsfeldern (Rechtliche Anerkennung, Teilhabe, Sicherheit, Gesundheit, Stärkung von Beratungs- und Communitystrukturen, Internationales).

Die Regierung betont darin: „Alle Menschen sollen gleichberechtigt, frei, sicher und selbstbestimmt an der Gesellschaft teilhaben. Damit dies auch für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans– und intergeschlechtliche sowie andere queere Menschen (LSBTIQ*) möglich ist, sieht sich die Bundesregierung in der Verantwortung für eine aktive Politik gegen Diskriminierung und für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.“

Das dürfte womöglich ähnlich spannend und aufschlussreich werden, wie die Dokumentation Das letzte Tabu.

AS

Das letzte Tabu wird am 11. Juni 2024 als Free-TV-Premiere im ZDF gezeigt und ist anschließend bis zum 11. Juni 2029 in der ZDF-Mediathek verfügbar; ebenso ist der Film via amazon prime zu streamen.

Das letzte Tabu; Deutschland 2024; Regie: Manfred Oldenburg; Bildgestaltung; Jonas Julian Köck; Montage. Dirk Hergenhahn; Creative Producer: Felix Gottschalk, Peter Wolf; mit: Amal Fashanu, Thomas Hitzlsperger, Peter Tatchell, Collin Martin, Matt Morton, Per Mertesacker, Babak Rafati, Rolf Töpperwien, Marcus Urban, Dario Minden, Tatjana Eggeling, Tanja Walther-Ahrens, u. a.; Eine Produktion von BROADVIEW Pictures (Produzent Leopold Hoesch); FSK: 6; Laufzeit ca. 94 Minuten

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