Hammer und Homo

Wenn in wenigen Wochen wieder der Ball rollt, soll Deutschland ein neues Sommermärchen erleben. Die Fußball-Europameisterschaft der Männer steht vor der Tür und vielleicht erleben wir es dabei auch, dass der eine oder andere offen schwule Profi auf dem Rasen aufläuft. Für den 17. Mai, den IDAHOBIT, ist ein Gruppen-Coming Out homosexueller Fußballspieler angekündigt. Es wird sich zeigen, ob dieses die geschürten Erwartungen auch erfüllen kann. Gedämpft wurden sie in den letzten Tagen seitens des Initiators Marcus Urban ja schon einmal – wenig überraschend, wie leider gesagt werden muss…

Der einzige deutsche Profifußballer, der bisher seine Homosexualität öffentlich gemacht hat, ist der frühere Nationalspieler Thomas Hitzlsperger – und auch das ist bereits zehn Jahre her. In einem vielbeachteten Interview mit der ZEIT offenbarte er damals seine sexuelle Orientierung, allerdings erst nach Ende seiner Karriere als aktiver Spieler. Dass das für ihn keine falsche Entscheidung gewesen sein mag, zeigt seine hohe öffentliche Präsenz, egal ob als Fernsehkommentator, EM-Botschafter oder als Gastronom.

Und was hat’s gebracht?

Viel hat sich getan in den letzten zehn Jahren, selbst wenn wir heute noch auf das Coming-Out eines aktiven Spielers hierzulande warten. Viele argumentieren deshalb, dass Hitzlspergers Schritt vor zehn Jahren doch nichts verändert hätte. Davon jedoch will dieser nichts wissen – im Gegenteil, er hält deutlich dagegen. In seinem jüngst erschienenen Buch blickt Hitzlsperger zurück auf die zehn Jahre seit seinem öffentlichen Bekenntnis, auf das, was sich seither getan hat und wo es trotz allem noch Verbesserungsbedarf gibt.

Gemeinsam mit dem Journalisten Holger Gertz von der Süddeutschen Zeitung hat Hitzlsperger daher im März 2024 das Buch Mutproben veröffentlicht, das als Hörbuch im Argon Verlag erschienen ist. Eingelesen wurde es von Peter Lontzek; für Prolog und Dank allerdings hat Hitzlsperger selbst seine Stimme beigesteuert.

Der Ton ist homo

Hitzlspergers Homosexualität und sein Coming-Out setzen den Ton für das Buch. Dies dürfte eine der härtesten titelgebenden Mutproben für den Mann aus Forstinning bei München gewesen sein. Hitzlsperger geht gleich zu Beginn hierauf ein, lässt jedoch gekonnt manch eine Frage vorerst offen. Seine Homosexualität und seine Entwicklung und Entscheidungen ziehen sich wie ein Roter Faden durch das gesamte Buch.

Es geht zwischendurch um seine aktive Karriere als Fußballspieler beim FC Bayern München, in EnglandItalienStuttgart und Wolfsburg und als Nationalspieler. Eine Fußballerbiografie kann und sollte nicht ohne diese Passagen auskommen. Aber Homosexualität sowie Toleranz und Werte im Fußball sind Themen, die Hitzlspergers Buch eigentlich ausmachen.

Gegen die Arabisierung des Fußballs

Er kritisiert in der zweiten Hälfte beispielsweise das Gebaren manch bekannter Profis, die sich als Queer Allies gerieren, jedoch für astronomisch erscheinende Summen zu saudischen „Spitzenklubs“ wechseln. Er prangert die Arabisierung des Fußballs an, sei es durch die Weltmeisterschaft 2022 in Katar, die 2034 bevorstehende WM im Nachbarstaat Saudi-Arabien oder durch die Beteiligungen dieser Staaten an europäischen Spitzenklubs – selbst wenn es „nur“ die Finanzierung von Trainingslagern ist (ein Gruß geht an den FC Bayern).

Er kritisiert aber auch erfolgreiche Erstligavereine dafür, dass sie nach außen gewisse Werte propagieren, aber vermeintlich homo- oder transfeindliche Spieler einkaufen und jegliche Hinweise auf deren Gesinnung ähnlich lapidar abtun wie manch ein Bundeskanzler seine Verstrickungen in Cum.Ex-Geschäfte. Oder wie die genannten Beteiligungen arabischer Oligarchen und Staatsfonds ganz offen die Fanmentalität ändern.

Noch immer pikant

Thomas Hitzlspergers Mutproben ist also weit mehr als nur ein persönliches Portrait. Ja, er geht von seinen eigenen Erfahrungen als homosexueller Mann aus, von seinem Coming-Out nach der Karriere, von dem medialen Umgang mit seiner Person seither. Und natürlich muss so etwas Platz in einer Biografie finden, denn Homofeindlichkeit im Spitzenfußball oder allgemein im Sport ist bis heute ein mehr als pikantes Thema.

Mutproben ist allerdings weit mehr. Neben den eher wenig spannenden und eindrucksvollen Passagen zu seinem aktiven Fußballerleben – auch solche haben selbstverständlich ihre Berechtigung in einer Biografie – ist das Buch eine Bestandsaufnahme oder sogar eine Art Abrechnung mit aktuellen Entwicklungen im beliebtesten Sport der Deutschen, ohne allerdings nach einer Anklage zu klingen.

Vorwärtsverteidigung

Im Gegenteil: Hitzlsperger nutzt die Einblicke und Perspektiven aus seiner Karriere als aktiver Spieler oder später als Funktionär, um beide Seiten zu beleuchten. Ja, der Fußball hat seine gesellschaftliche Dimension. Er sollte Werte leben und vermitteln und viele Vereine oder Akteure scheitern hieran, so wie viele Menschen dies auch tun.

Gleichermaßen haben auch sie individuelle Interessen: ein Fußballer, der mit sich ringt, ob er sich öffentlich zu seiner Sexualität bekennen solle. Ihm persönlich täte das bestimmt gut, aber es gibt eben auch ein Mannschaftsgefüge, auf das sich ein solches Bekenntnis auswirken würde. Oder ein Verein oder Verband, der gewisse Werte propagiert, aber am Ende doch (auch) seinen Mitgliedern oder Aktionären verpflichtet ist. Und genauso die Fans, die viel erwarten, oft aber selbst nicht bereit sind, gewisse Werte in ihrem Alltag zu leben.

Die nächste Offensive

Der Fußball ist ein hochkomplexes Geschäft, in das viele Erwartungen projiziert werden und die natürlich nicht alle erfüllt werden können. Thomas Hitzlsperger bringt diese gemeinsam mit Holger Gertz (dessen fast schon fanboyhafter Epilog – sorry, auch das muss gesagt werden – dem Buch absolut keinen Mehrwert gibt) gekonnt zu Papier.

Der Titel Mutproben trifft vielleicht nicht so sehr ins Schwarze wie manche von Hitzlspergers hammerharten Schüssen, denn gerade in der zweiten Hälfte wird eher aufgezeigt, welche davon noch ausstehen – sprich, wo der Mut bisher noch fehlte oder die Proben bislang fehlschlugen. Und doch liefert das Buch an dieser Stelle einen willkommenen und aktuellen Blick auf die zweitschönste Nebensache der Welt. Gerade wenn der Ball in wenigen Wochen wieder rollt, ist zu hoffen, dass Hitzlspergers Buch wichtige Impulse für eine faire Debatte liefert.

HMS

PS: An einer Stelle bringt Hitzlsperger seine Enttäuschung zum Ausdruck, dass trotz seines harten Schusses nie eines seiner Tore als „Tor des Monats“ o. ä. ausgezeichnet wurde. Zumindest die Nominierung als Fußballbuch des Jahres dürfte für Mutproben jedoch nur Formsache sein.

Thomas Hitzlsperger mit Holger Gertz: Mutproben; Sprecher: Peter Lontzek; März 2024; Laufzeit: 5 Stunden 47 Minuten; ISBN: 978-3-7324-7447-9; argon Hörbuch (Originalverlag: Kiepenheuer & Witsch); UVP: 20,95 €

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