Blutspendeverbot: Ende jahrzehntelanger Diskriminierung in Sicht?!

„Ob jemand Blutspender werden kann, ist eine Frage von Risikoverhalten, nicht von sexueller Orientierung. Versteckte Diskriminierung darf es auch bei diesem Thema nicht geben“, so Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Dienstag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). So müsse auch die Bundesärztekammer „endlich nachvollziehen, was im gesellschaftlichen Leben längst Konsens ist.“ Da sie sich hiermit schwertut, will der nicht unumstritten Lauterbach diese nun per Gesetzesänderung dazu nudgen. 

Das individuelle Verhalten zählt

Konkret geht es dabei um die Abschaffung des de facto Blutspendeverbots und der Diskriminierung von Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) sowie trans*Personen. Angegangen wird hierfür das Transfusionsgesetz. Dem Entwurf des Änderungsantrags aus dem Gesundheitsministerium zufolge soll fortan das sexuelle Risiko, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung der Spende führen kann, auf „Grundlage des individuellen Verhaltens der spendewilligen Person“ ermittelt werden. 

Das bedeutet „gruppenbezogene Ausschluss- oder Rückstellungstatbestände sind insoweit nicht mehr zulässig“, wie es in der Begründung des Antrags heißt. Die aktuelle Richtlinie der Bundesärztekammer sieht hingegen vor, dass Männer, die Sex mit Männern haben, nur dann Blut spenden dürfen, wenn sie in den zurückliegenden vier Monaten (bis zum Herbst 2021 waren es zwölf Monate) keinen Sexualverkehr mit einem neuen oder mehr als einem Sexualpartner hatten. Da diese Sperre bei allen anderen Personengruppen nur dann greift, wenn diese „häufig wechselnde Partnerinnen und Partner“ haben, ist sie recht eindeutig diskriminierend.

Keine gruppenbezogene Diskriminierung 

Diese jahrzehntelange Benachteiligung und Vorverurteilung zu ändern und so eben bei allen Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität, auf das individuelle Verhalten zu schauen, ist ein im Koalitionsvertrag festgehaltenes Ansinnen der Ampelparteien. Ebenso entspricht die geplante Änderung dem Vorschlag aus dem Aktionsplan „Queer leben“ des Bundesbeauftragten der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, Sven Lehmann (Bündnis 90/Die Grünen): „Die Umstellung der bisherigen gruppenbezogenen Risikobewertung der Blutspender und Blutspenderinnen auf individuelle, nicht-diskriminierende Kriterien wird mit den zuständigen Gremien bei Wahrung der Sicherheit der Blutprodukte vorbereitet“, heißt es darin.

Alfonso Pantisano, Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD), begrüßt die „längst überfällige Reformierung der Blutspenderichtlinie“: „Die Abschaffung dieser Diskriminierung war ein langer Weg und ein harter Kampf – und es ist jetzt die langersehnte Einlösung des Versprechens an die queere Community: Es wird besser!“

Auch der LSBTI-politische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Jürgen Lenders äußert sich entsprechend positiv zu den Plänen und verweist auf die prekäre Lage bei der Blutversorgung: 

„Wir fordern seit Jahren, dass das individuelle Risikoverhalten und nicht die sexuelle oder geschlechtliche Identität über die Zulassung zur Blutspende entscheiden. Es ist ein wichtiges Zeichen, dass Bundesgesundheitsminister Lauterbach die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag jetzt umsetzen will. Die aktuelle Diskriminierung von Männern, die Sex mit Männern haben, bei der Blutspende gefährdet angesichts der prekären Lage bei der Blutversorgung das Wohl der Patienten. Wir brauchen jeden Spender, um den drohenden Notstand bei Blutkonserven zu verhindern.“

Jürgen Lenders, FDP

Vorurteilsbehafteter Widerspruch 

Anders sieht das die Bundesärtzekammer, die nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung am 1. April 2023 vier Monate Zeit hat, in Abstimmung mit dem Paul-Ehrlich-Institut (das als für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel zuständige Bundesbehörde dem BMG unterstellt ist) eine neue, nicht-diskriminierende Richtlinie zu erarbeiten. Die Organisation erklärte, dass die Basis der jeweils aktuellen Richtlinie aktuelle medizinisch-wissenschaftliche und epidemiologische Daten seien, wie das RND weiter berichtet. Das bisherige Verfahren sei im Interesse einer sicheren Versorgung seit mehreren Jahrzehnten bewährt und: „Wenn die politischen Entscheidungsträger bei den Auswahlkriterien für die Blutspende von diesem wissenschaftlichen Stand abweichen wollen, dann stehen sie auch in der unmittelbaren Verantwortung gegenüber den Menschen, wenn diese zu Schaden kommen.“

Dass dies bezweifelt werden darf und der beinahe dystopische und nach einer Drohung klingende Ton des Statements eher eine gesellschaftliche und politische Agenda als eine wissenschaftlich begründete Skepsis vermuten lässt, legt nicht nur die — nicht neue — Erkenntnis nahe, dass sich auch heterosexuelle Menschen regelmäßig mit HIV anstecken, sondern auch die Tatsache, dass Blutspenden ohnehin auf HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten getestet werden, worauf auch die SPD-Politikerin Dagmar Schmidt verweist.

Obacht bei der Ausführung

Auch Alfonso Pantisano sieht das so: „Die bisherige Regelung, MSM und trans* Personen per se als Risikogruppe zu betrachten, baut auf Stigmatisierungen von MSM auf, verstärkt diese und reproduziert damit aktiv Diskriminierungen. Es ist falsch, Sexualkontakte zwischen Männern grundsätzlich als Risikoverhalten zu definieren: Die Zahlen der Ansteckung mit HIV zeigen, dass auch bei heterosexuellem Sex eine Übertragung stattfindet.“

Nun käme es darauf an, dass das Risikoverhalten konkret definiert sei, so der LSVD-ler weiter. In der Tat mag hier die Krux liegen. Denn nur eine möglichst enge Definition verhindert Interpretationsspielräume, die fortgesetzte und individuelle Diskriminierungen ermöglichen könnten. Hoffen wir auf Vernunft.

AS

PS: Sollte innerhalb der vier Monate keine gemeinsame Richtlinie erarbeitet werden können, fällt die Aufgabe dem Paul-Ehrlich-Institut zu. 

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