„Eben wie im Krankenhaus oder wie in einer Kaserne“

Im vergangenen Jahr jährte sich der Tod Hervé Guiberts zum dreißigsten Mal, was der Berliner August Verlag zum Anlass nahm, dessen berühmtesten Roman Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat neu aufzulegen. In dem Roman geht es um das Sterben Michel Foucaults an Aids, wenn die Figur dort auch Muzil heißt. Ein Skandal, schließlich starb Foucault 1984 offiziell an einer Krebserkrankung.

„Der Schmerz hat etwas Heiliges an sich“

Zudem war Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat eine „der ersten literarischen Verarbeitungen des Themas Aids“, wie der Übersetzer desselben, Hinrich Schmidt-Henkel, in seinem Nachwort zum parallel im August Verlag und erstmals in Deutschland veröffentlichten Zytomegalievirus. Krankenhaustagebuch schreibt. Um dieses soll es in der folgenden, eher knapp bemessenen Besprechung gehen.

Als Hervé Guibert am 17. September 1991 mit der Diagnose Zytomegalievirus, einer Herpes-Variante, die in Kombination mit dem HI-Virus zu schweren Komplikationen und schließlich Erblindung führen kann, ins Krankenhaus eingeliefert wird, entschließt er sich, den Alltag in einem Tagebuch festzuhalten, wenn es auch „von einem Tag auf den anderen enden [könnte], wegen absoluter Mutlosigkeit“. Biografisches Schreiben, ohnehin die Stärke des Schriftstellers und Fotografen, wenn auch immer fiktionalisiert, wie Schmidt-Henkel festhält.

„Der durchscheinende blaue Kittel hatte keinerlei Funktion, …“

Guibert beschreibt die Tage, die Gedanken, die Abläufe, die Arroganz und die – manches Mal unnötig starken – Schmerzen mit einer Mischung aus Poesie, Derbheit, Schwere und mal lakonischem, mal kaustischem Witz. In Sätzen wie: „Man könnte mit den medizinischen Begriffen um Aids ein humoristisches Wörterbuch bestücken“, etwa zeigt sich verpackt in Schalk ein unbedingter Widerstandswille bei gleichzeitig schleichender Resignation.

Wenige Zeilen später und noch am gleichen Tag, dem 20. September, schreibt er von Verzweiflung, dem Kampf gegen Tränen, der Suche „nach Argumenten, mit denen sich der Überlebenswillen aufrechterhalten lässt“ und der Gefahr von Euphorie, die schließlich in einen Zusammenbruch umkippen könne. Beinahe klingt es wie ein Verlaufsmodell, das sich bis zum Verlassen des Krankenhauses am 8. Oktober 1991 mehrmals wiederholen soll.

„…diente ausschließlich der Demütigung.“

Doch hätte er hier auch sterben können? Der Gedanke ist da; ein nicht desinfiziertes Zimmer weist darauf hin, schließlich sei „M., der sowieso dem Tod nahe war, […] sehr viel brutaler gestorben, weil sie ihn, […] in ein nicht desinfiziertes Zimmer getan hätten. Krankenhauskeime.“ Bei derlei Aussichten, wundert es kaum, dass der Mann mit den „‚schönen Adern‘“, wie das Pflegepersonal konstatiert, gegen Angst, Langeweile und Schmerz anschreibt.

„Ich hatte gedacht, ich könne wegen des Traumas an diesem Tag nicht mehr weiterschreiben, aber es ist die einzige Art des Vergessens.“ Gut, dass er das so sah, denn dadurch geraten weder Hervé Guibert noch dessen drastisch-ästhetische Schriften, wie auch dieses kleine, wuchtige Protokoll namens Zytomegalievirus. Krankenhaustagebuch, das einen zerstörerischen Verlauf, Gedanken und Reflexionen zu Leben, Krankheit und Sterben manifest werden lassen, in Vergessenheit.

Gut zwei Monate nach seiner Entlassung unternahm Hervé Guibert einen Selbsttötungsversuch, zwei Wochen später, am 27. Dezember 1991, schließlich starb er gerade 36-jährig an den Folgen. Beigesetzt wurde er auf Elba.

AS

PS: Hier bei booksaregayasfuck findet ihr eine sehr lesenswerte Besprechung, die auch auf Punkte kommt, die bei uns nicht angesprochen werden.

Hervé Guibert: Zytomegalievirus. Krankenhaustagebuch; Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel; September 2021; 71 Seiten; Broschur; ISBN: 978-3-94136-087-7; August Verlag; 10,00 €

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