Bützi bleibt!

Madonna mia! Besonders schwerer und unterhaltsamer Diebstahl begangen durch zwei Kriminalhauptkommissare: Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) lassen sich von Karin Bongartz (Barbara Nüsse) dazu überreden, die Madonna aus der Kirche zu ihr nach Hause zu bringen // © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke

Krimis und Dramen aus Kohletagebauen scheinen derzeit eine gewisse Anziehungskraft auf Filmschaffende hierzulande auszuüben – vielleicht gibt es hierfür eine besondere Förderung seitens der einschlägigen Anstalten? Nach der ARD-Produktion Lauchhammer sowie dem Polizeiruf 110: Abgrund spielt nun auch der Tatort: Abbruchkante des Kölner Ermittlerduos Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) im Kohlerevier – diesmal jedoch im rheinischen.

Ein Landarzt mit wenig Sympathien

Das Schicksal des Dorfs Alt-Bützenich schien besiegelt: Es sollte dem Kohleabbau weichen, bis seitens der Politik entschieden wurde, dass es dennoch bleiben dürfe. Geräumt war es schon fast vollständig und dennoch hat sich dort nun ein Mord ereignet. Der Alt-Bützenicher Arzt Dr. Christian Franzen (Leopold von Verschuer) wurde in einem der Häuser mit drei Kugeln im Leib aufgefunden.

Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk vernehmen Yannik Schnitzler (Leonard Kunz) // © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke

Franzen war – so finden Ballauf und Schenk bei ihren Ermittlungen heraus – ein ähnlicher Sympathieträger wie „der Hackl“ aus dem letzten Münchener Tatort. Den hippokratischen Eid scheint er etwas schwammig aufgefasst zu haben, an der Räumung des Dorfes hat er offenbar ganz gut verdient, seine Frau Betje (Lou Strenger) hat er ähnlich gut behandelt wie der Gerichtspräsident Joachim Hintz seine Frau in der sehr empfehlenswerten ARD-Produktion Tage, die es nicht gab (eine Besprechung folgt). Und die im Ort verbliebene Wirtin Karin Bongartz (Barbara Nüsse) bringt es auf den Punkt: Mit 70 Jahren hätte sie kein Interesse am Tod des örtlichen Arztes gehabt. Dann müsste sie immer nach Düren. Und das will ja keiner…

Ebenso wie auch nicht jede und jeder das Leben in Alt-Bützenich aufgeben wollte – so beispielsweise das Rentnerehepaar Inge und Peter Schnitzler (Uta-Maria Schütze und Peter Franke), die sich zu Beginn der Folge und wenige Wochen vor dem Mord an Franzen versuchen, gemeinsam das Leben zu nehmen. Franzen wiederum schafft es, den alten Schnitzler zu retten – Inge jedoch nicht. Den beim Wachdienst angestellten Enkel Yannik (Leonard Kunz) scheint der Tod seiner Großmutter jedenfalls sehr mitzunehmen.

Eine Mondlandschaft namens Heimat

Wir erleben in diesem Fall aus der Kölner Umgebung – erfreulich, dass wir mal aus der Domhölle herauskommen –, aus erster Hand, wie es Menschen ergeht, die ihre Heimat räumen mussten. Eine ganze örtliche Gemeinschaft wurde hier über einen längeren Zeitraum hinweg umgesiedelt und auch wenn für die Bützenicherinnen und Bützenicher scheinbar gut gesorgt wurde, der Ort, an dem sie Jahre und Jahrzehnte verbrachten, ist für viele nicht zu ersetzen, selbst durch Geld und/oder ein neues Zuhause nicht. Wie es den Menschen mit dieser Erfahrung ging und geht, wird uns hier immer wieder vor Augen geführt.

Konrad Baumann (Jörn Hentschel) steht an der Abbruchkante // © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke

Natürlich kann auch und gerade dieser Fall nicht darauf verzichten, auf die Klimaproblematik einzugehen. Ob es die Kabbelei zwischen Ballauf und Schenk über Freddys fahrbare „Drecksschleuder“ aus dem Asservatenparkhaus ist (für die sie sich mangels Beleuchtung und somit Verkehrstüchtigkeit übrigens selbst einen Strafzettel geben müssten) oder der obligatorische Spaziergang an der Abbruchkante zur Kohle-Mondlandschaft, gerade an solcher Stelle kann dieses Thema nicht unerwähnt bleiben.

Im Rückspiegel

Das ist zumindest halbwegs charmant, aber irgendwie wirkt es auch etwas gestellt, was Regisseur Torsten C. Fischer sowie Eva und Volker A. Zahn im Drehbuch erdacht haben. Freddy sehnt sich nach Stadt und Sauerbraten, während Max die Luft genießt und einer gar nicht so alten Liebe hinterhertrauert. Auch die beiden Kommissare schienen von manchen Dingen nicht Abschied nehmen zu wollen, die sie bisher begehrten.

Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) schlaflos in Alt-Bützenich und nun durch das verlassene Dorf spazierend // © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke

Vielfach sind sie aber eher mit sich selbst und einander als mit der Lösung des Falls beschäftigt. Das führt dazu, dass sich diese Folge trotz einer sehr nett zusammengeschnittenen kathartischen Szene gegen Ende vor einer Art Nicht Mehr Allerjüngstem Gericht leider überwiegend dahinzieht. Spannung mag kaum aufkommen, Empathie mit den Bewohnerinnen und Bewohnern von Alt- und Neu-Bützenich auch eher weniger. Nur Karin Bongartz, die ist mit mehr oder weniger jedem Wort, Blick oder Tat ein Burner in dieser sonst eher langweiligen und langwierigen Folge.

Im Tatort: Abbruchkante sehen wir also gute Ansätze und wichtige Themen, mit denen die Ermittler Ballauf und Schenk konfrontiert sind, aber gleichsam auch viel Selbstbeschäftigung und Dialoge im Kreisverkehr oder vielmehr im Rückspiegel. Die Folge lässt jedoch deutlich Luft nach oben und könnte etwas mehr Spannung vertragen. Dennoch: Bützi bleibt!

HMS

Drehschluss für neuen Tatort aus Köln. Abgeb.: Klaus J. Behrendt (aka Max Ballauf), Jan Kruse (Produzent Bavaria Fiction), Dietmar Bär (aka Freddy Schenk), Theo Bierkens (Kamera), Volker A. Zahn (Autor), Götz Bolten (Redakteur WDR), Torsten C. Fischer (Regie), Eva Zahn (Autorin) // © WDR/Bavaria Fiction GmbH/Martin Valentin Menke

Tatort: Abbruchkante läuft am 26. März 2023 um 20:15 Uhr im Ersten und um 21:45 Uhr auf one; anschließend sechs Monate in der ARD-Mediathek verfügbar.

Tatort: Abbruchkante; Drehbuch: Eva Zahn & Volker A. Zahn; Regie: Torsten C. Fischer; Bildgestaltung: Thomas Schmid; Musik: Olaf Didolff; Darsteller*innen: Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Tinka Fürst, Roland Riebeling, Joe Bausch, Juliane Köhler, Barbara Nüsse, Lou Strenger, Leopold von Verschuer, Peter Franke, Uta-Maria Schütze, Leonard Kunz, Jörn Hentschel, Daniela Wutte, Ferhat Kaleli; Laufzeit: ca. 89 Minuten; Eine Produktion von Bavaria Fiction (Niederlassung Köln) im Auftrag des WDR für die ARD

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