CRUSH: Und wenn ich erkunde, bin ich

Beitragsbild: „Josh“ und „The Lost Souls – Jane“ von Marianna Ignataki und Videoinstallation „Short Reach“ von Artur Jesus Inkerö // Foto: © Alana Lake

>>Sterbensverliebt<< zu sein, das mögen wir alle kennen, nicht nur aus der unsicheren und verletzlichen Zeit der Pubertät, sondern auch aus den späteren Jahren (es wird nämlich nicht alles besser, man darf nur häufiger trinken). Wie das Wort, das im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm zu finden ist, schon verrät, kommen da Schmerz, gar Tod und Zuneigung, eben Liebe, zueinander. 

„Magdalena“ schaut auf „Juan“ (von Atis Jākobsons), dazwischen ein Plattenspieler der immerselben Vergänglichkeit von Laura Könönen // Foto: © Alana Lake

Im Englischen könnten wir sagen hier eine Entsprechung in dem Wort >>crush<< zu haben: „I’ve Got a Crush on You“, ein Song 1930 komponiert von George Gershwin, später gecovert von Frank Sinatra oder auch Ella Fitzgerald gibt die Richtung vor. Zu sagen „I have a crush on…“ ist gängig, auch bei uns, vermengen sich doch deutsche Sprache und englischsprachige Idiome mehr und mehr (nee, nicht nur in Berlin Midde). 

Verlangen vs. Vernichtung

Wenn diese Schwärmerei, dieses Verknallt- oder gar Verliebtsein nicht erwidert wird, macht es natürlich schnell BUMM und mensch ist >>crushed<< – also zerstört, manchmal am Boden, manchmal noch auf ganz andere Art. Ein Wort also mit ganz unterschiedlichen Bedeutungen. Diesen nachzugehen, den Fokus dabei auf queeres Er-Leben und queere Ausgrenzungserfahrungen zu richten, dem verschreibt sich die Ausstellung CRUSH im Galerieraum FELD+HAUS Projects*. 

„Willkommen“ sagte „Jane“ und wandte sich ab // Foto: © Jule Fechner

Die von der in Berlin lebenden Britin Alana Lake kuratierte, vom Finnland-Institut in Deutschland präsentierte und in Kooperation mit der Künstler:innengruppe Frontviews entstandene Ausstellung geht hier also über das Gefühl von Anziehung und Lust hinaus, erkundet auch die Bedeutungen, die wir mit brechen, zerquetschen, niederwalzen oder in manch einem Zusammenhang unterdrücken übersetzen würden.

Wozu möchte ich gehören?

Gemeinsam mit neun weiteren Künstler:innen verschiedener Generationen erkundet Lake so in den lichtdurchfluteten Räumen der Projekt-Galerie also die Zusammenhänge von Verlangen, Abstoßung, in dem Sinne als aussätzig zu gelten, eine für LGBTIQ*s bekannte, ja gängige Erfahrung, Ablehnung also und dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Akzeptanz. Passend dazu heißt es im Text zur Ausstellung, dass Ablehnung unser Selbstwertgefühl beeinträchtige und dies „zu einer Reihe von überwältigenden Gefühlen wie Schmerz, Wut und Enttäuschung führen [kann], da sie unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit destabilisiert.“

Barbara Lüdde: „YouMeMeYou“ – Nähe und Entfernen, Öffnung und Rückzug: Lüdde arbeitet zwischenmenschliche Ausgrenzung heraus; auch Materialismus spiele hierbei eine Rolle, so die Künstlerin. // © CRUSH

Wobei dieses Bedürfnis nach Zugehörigkeit in manchen der Arbeiten auch eindeutig als nachrangig gewertet werden kann, beziehungsweise „Zugehörigkeit“ hier einer subjektiven Definition unterliegt. Um den Wunsch durch Anpassung zu einer heteronormativ geprägten Gesellschaft zu gehören, geht es jedenfalls nicht. In den einfarbigen, scharfen Zeichnungen, die Teil der Installation „The Inner Circle“ der in Weimar geborenen Künstlerin Barbara Lüdde sind, sehen wir beispielsweise das Durchbrechen sozialer Konstrukte, den Fokus darauf, sich als Teil einer Randgruppe zu akzeptieren und die bewusst gelebte Individualität zum eigentlich Ziel zu erklären – die Zeichnung „Glory Hole“ kann hier wohl als exemplarisch gelten.

Wer möchte gesehen werden?

Die Ausstellung teilt sich dabei in zwei Studio-Räume auf, folgt aber keiner narrativen Anordnung; ebenso liegen zwar Werklisten und Informationen zur Ausstellung und den Künstler:innen aus, dennoch ist es an uns Besucher:innen, uns die Zeichnungen, Malereien, Keramiken, Skulpturen und Installationen selbstständig zu erschließen (daher wollen wir hier auch nicht alles zu deutlich definieren, mal abgesehen davon, dass sich nicht wenig ohnehin einer konkreten Definition entzieht). Somit können wir uns in CRUSH also selbst über die Kunst anderer erkunden; eine recht besondere Art von Freiheit. 

Zehn „The Faces“ von Anne Tompuri, davor eine Installation bemalter Keramiken von Witalij Frese // Foto: © Jule Fechner

Und zu erfahren gibt es durchaus einiges: Im Studio I entdecken wir hinter einer Installation bemalter Keramiken des russischstämmigen Witalij Frese, die in der Form neben diversen Ausprägungen von Vulven (Viva la Vulva!) und Penes Zeichnungen von intimen Momenten, Verlangen, Körpern und Körperlichkeit, Ringen und Hingabe zeigen (hier bringt es eine gewisse Freude, nach eingehender Betrachtung die auf der Werkliste verzeichneten Namen zu lesen), zehn Gouache- und Pigmentgemälde der finnischen Künstlerin Anne Tompuri, die in der Gruppe schlicht „The Faces“ betitelt sind. 

Wessen Teile bin ich?

Die Gemälde, allesamt in schwarz-weiß-grau-silber-Tönen gehalten, mit dem Fokus auf den Augen, wirken dabei so mächtig wie düster, bedrohlich, bedrückend und bedrängend. Deutlich sind Pinselstriche zu erkennen. Es wirkt, als wollten diese teilgesichtslosen Gesichter hier aus dem Schatten der Unterdrückung herausbrechen und in den Galerieraum und unser Leben treten. Es sind faszinierende, kraftvolle Arbeiten, die so anziehen wie sie unheimlich sind.

„HITS (You are the crack like haze in my brain)“ von Alana Lake – handgeblasenes Glas und Acrylfarbe auf Leinwand // Foto: © Jule Fechner

Weg von der Dunkelheit geht es hin zum Licht, jedenfalls ist die Arbeit „HITS (You are the crack like haze in my brain)“, die eine verschlungene, beinahe endlos wirkende Glasskulptur und eine Zeichnung beinhaltet, heller, was nicht bedeutet, dass sie weniger nachdenklich stimmend wirkt. Kaum ein Wunder, stammt die Arbeit doch von der Kuratorin Alana Lake, die neben Fotografie und Bildender Kunst auch Psychoanalyse studiert hat. Dies bringt sie merklich in ihre Kunst ein, auch deutlich in ihrem Bild „Sad Day for Cloud“, das eine zerbrochene, weinende Wolke zeigt und das wir in Studio II entdecken können.

Was sehe ich?

Realistisch und figurativ, dabei aber doch rätselhaft und mythisch geht es in den Ölgemälden von Atis Jākobsons zu, derer wir vier so unterschiedliche wie einnehmende in der Ausstellung finden. „Magdalena“, das ein wenig versteckt aber bei richtigem Licht ganz passend hängt, kommt ähnlich wie „Head of Juan“ biblisch und dezent erotisch aufgeladen daher. „Bleeding Gianni“ zeigt nun ja, genau das. Hier können wir uns fragen, ob es um Gewalt oder ausgelebte Sexualität geht; im Kontrast dazu das „Portrait of a man in Gold“, das wie aus einer Sage entnommen wirkt. Es lässt sich schwer fassen, aber die Bilder Jākobsons’ üben eine ungemeine Anziehung auf den Autoren aus.

Ein Blick ins Studio II – „Josh“ von Marianna Ignataki, „Pohjalaiset homohäät“ von Janne Räisänen, „Short Reach“ von Artor Jesus Inkerö und „Dead Weight“ von Laura Könönen – alles keine Leergewichte // Foto: © Alana Lake

Dieses Porträt hängt in Studio II, wo unser Blick als erstes auf eine figürliche Skulptur, geschaffen von der aus Thessaloniki, Griechenland, stammenden Künstlerin Marianna Ignataki fällt. Die Arbeit „The Lost Souls – Jane“ ist neu und wird hier im Licht- und Raumzentrum präsentiert, mittig zwischen dem einen Bauzaun inkludierenden, erwähnten „The Inner Circle“ und der Glas-Skulptur „Dead Weight“ von Laura Könönen. Die genderneutrale oder eher hermaphroditische Figur „Jane“ ist aus ganz verschiedenen Materialien zusammengesetzt und mag uns je nach Blickwinkel einladend oder abschreckend, erregend oder verstörend erscheinen. Im Grunde wie ein Blick in den Spiegel.

Wem möchte ich gehören?

Sehen wir dazu die Malerei von Ignataki, betitelt „Josh“, scheinen erst Welten zwischen beiden Werken zu liegen, doch eigentlich könnten sie sich beinahe ergänzen; bearbeitet Jane Josh? Was wollen wir sehen, welche Geschichte wollen wir uns denken? Wie sehr lassen wir uns von den Objekten gefangen nehmen? Wird „Josh“ objektiviert? Geben wir für Lust unser Selbst auf? Lassen uns fallen, sind eben Objekt, genutzt von einer anderen oder einem anderen? Um uns aufzulösen, für eine uns zersetzende Verbindung. Nur hoffentlich keine, aus der wir dann „crushed“ zurückkehren und eine grausam zertrümmerte, weinende Wolke sind.

Text-Bild-Bruch: Nochmals Barbara Lüdde und Teile ihrer Installation (mit einer Reproduktion auf Seide) // Foto: © Jule Fechner

Nach dieser überbordenden Heaviness können wir uns einer Videoinstallation widmen: Artor Jesus Inkerö löst in „Short Reach“ mit schwelgerischen aber nicht unbestimmten Bewegungen Raumbeschränkungen und die zugehörigen Menschenbilder auf (davon ausgehend, dass wir mit bestimmten Einrichtungen, Räumen und Institutionen eine bestimmte Persona, einen gewissen Stil, einen festgeschriebenen Ablauf assoziieren). Gern würden wir mehr der performativen Kunst von Inkerö, einer 1989 in Helsinki geborenen, nicht-binären Person, sehen.

Wie begehre ich?

Ebenfalls nicht satt sehen konnte ich mich an dem Ölgemälde „The Victorian Yellow“ von Aki Turunen, der in Helsinki lebt und arbeitet. Er sagt, er beginne zu zeichnen, weil er sich hungrig fühle. Dieser Hunger ist durch das Bild spürbar wie sonst nur was, ebenso die Lust aufs Zeichnen, bemerken wir doch die Vermengung verschiedener Stile und Maltechniken in seinem Werk. Turunen kommt zur Bilderläuterung auf Foucault, doch wer hier nicht auch an Pier Paolo Pasolini denkt, die- oder derjenige hat eine klare Assoziationslücke. Und auch hier wieder: Begierde, Hingabe, Öffnung. Ein Bild im Übrigen, das sich sicherlich auch in einer My Gay Eye/Mein schwules Auge-Edition gut machen würde. 

Auflösendes Begehren und/oder grausame Zerstörung: Ambivalente Leben, ambivalente Kunst, ambivalentes Wahrnehmen – „Sad Day for Cloud“ von Alana Lake und „The Victorian Yellow“ von Aki Turunen // Foto: © Alana Lake

Genauso das Werk „Pohjalaiset homohäät“ von Janne Räisänen, der zwischen Berlin und Helsinki pendelt, das definitiv mehr als einmal aufmerksam betrachtet werden sollte und möglicherweise den mittelgroßen Mindfuck, den CRUSH bereits ausgelöst oder angerichtet hat, pointiert beschließt. In diesem Sinne soll hier auch nicht die übersetzte Entsprechung des Titels angeführt werden, denn wo läge dann noch der Spaß?

Was ich weiter trage

Witalij Freses Werke sollten unbedingt aus der Nähe betrachtet werden // Foto: © Jule Fechner

Räisänen jedenfalls freut sich Teil dieser speziellen Gruppenausstellung in diesen besonderen Räumen zu sein und meint, es sei durchaus außergewöhnlich, Teil dieser Gruppe zu sein. So stellte sich auch uns die Frage: Wie kam diese Gruppe zusammen? Kuratorin Alana Lake sagt uns dazu, dass sie bei der Betrachtung der Arbeiten der Künstler:innen auf den Bezug zur Thematik Verlangen, Sehnsucht, Begierde (wörtlich sagte sie „desire“) achtete. Anschließend führte sie mit den Beteiligten Gespräche über mögliche Werke und die passende Vermittlung; so wurden einige Stücke schließlich gemeinsam und andere von ihr allein ausgewählt.

Eine Auswahl, die sich wie erwähnt einem eindeutigen Narrativ verweigert; hier wird keine Abfolge erzählt, das Konzept von CRUSH ist eben genau das: der dezent subversive Versuch der Erörterung einer Begrifflichkeit mit ganz verschiedenen und vor allem durch eigene Erfahrungen subjektiv geprägten Interpretationsmöglichkeiten. Wenn wir also so wollen, schließt die Ausstellungsbildung nicht mit der Installation dieser, sondern durch unseren Besuch und unsere Wahrnehmung ab oder wird gar noch weiter getragen. Die dabei „vorgegebenen“ Schlagworte dürften jedenfalls nur Hinweise und Anfänge sein. 

*Zu FELD+HAUS Projects, der besonderen Location (die etwas tricky über den S-Bahnhof Beusselstraße und den Bus Sylter Straße zu erreichen ist) und der Zusammenarbeit mit blueplanet gibt es demnächst etwas bei uns zu lesen. 

AS

Anne Tompuri: Face (2015) // © CRUSH

PS: Wer noch einiges mehr über die beteiligten Künstler:innen, deren Ideen und Konzepte erfahren möchte, ist mit dem Instagram-Account des Finnland-Institut gut beraten; hinter den CRUSH-Tafeln finden sich Bilder und Infos; wir empfehlen dies erst nach einem ersten Gang durch die Ausstellung zu tun. 

CRUSH – Eine Ausstellung über Verlangen und queere soziale Ausgrenzung; mit Werken von Witalij Frese, Marianna Ignataki, Atis Jākobsons, Artor Jesus Inkerö, Laura Könönen, Alana Lake, Barbara Lüdde, Janne Räisänen, Anne Tompuri und Aki Turunen; noch bis zum 2. April 2022 bei FELD+HAUS Projects, Seestraße 131, 13353 Berlin; Di-Sa 11-18 Uhr; Eintritt frei

– kuratiert von Alana Lake und eine Erweiterung ihres laufenden Forschungsprojekts Pleasure Drive, das die Beziehung zwischen Kunst und Psychoanalyse untersucht

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