Trans* im Sprech

Beitragsbild von Oriel Frankie Ashcroft via Pexels; auch auf Instagram zu finden.

Zum Transgender Day of Visibility hatten wir einen Beitrag veröffentlicht, der diverse Stimmen vor allem aus der Politik sammelte. Bis auf Nuancen war der Tenor hier recht ähnlich: Es ist Zeit, das unsägliche so genannte Transsexuellengesetz abzuschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz, wie es von der Ampel-Koalition geplant wird, zu ersetzen.

Ebenfalls verwiesen wir in dem Beitrag auf das kürzlich im KiWi-Verlag erschienene Buch Transsexualität, herausgeben von der EMMA-Chefredakteurin Alice Schwarzer und der EMMA-Redakteurin Chantal Louis. Dazu hatte die Publizistin und Aktivistin Nora Eckert nicht nur bereits bei uns, sondern auch im Magazin titel thesen temperamente einiges zu sagen, noch bevor sie es am vergangenen Sonntag für uns besprach.

„Wieso besprecht ihr das?“

Es taucht immer mal wieder die Frage auf, warum diesem Buch überhaupt Raum gegeben wird, es damit ja im Grunde auch weitere Verbreitung erfährt. Natürlich sind das Gedanken, die auch wir haben – nicht nur in Bezug auf Transsexualität, sondern beispielsweise auch bei russlandverklärerischer Propaganda wie der Hubert Seipels oder Beiträgen zur AfD – und ebenso stellte Nora Eckert, als Aktivistin beispielsweise Teil des Ausführenden Vorstands bei TransInterQueer e. V., sich diese Frage und beantwortet sie damit, dass es wichtig sei, Flagge zu zeigen.

Das deckt sich, wenig überraschend, mit der Haltung unserer Redaktion. „Sollte das besprochen werden/Platz finden?“ Ja, unbedingt! Da sowohl Alice Schwarzer wie auch der Verlag sehr prominent sind, eine entsprechende Außenwirkung haben und auch, hier vor allem bezogen auf Schwarzer, gern viel (unkritischen) Raum bekommen, finden wir es wichtig, richtig und gut, wenn dieser „Haltung“ breit und fundiert widersprochen wird. Vor allem von engagierten und soliden Stimmen. Denn diejenigen, die diese Ideen, die Transfeindlichkeit, Halbwahrheiten und Nonsens verbreiten, sind da, sind unterwegs und sie schwurbeln ihren Kram weiter. Dinge einfach so stehen lassen, das ist hier keine Option. Wir lassen Putin ja auch nicht unwidersprochen von einer „Entnazifizierung“ in der Ukraine sprechen, oder? (Ohne, dass wir hier direkte Vergleiche ziehen wollten, aber hey, verlogene Menschenfeindlichkeit ist verlogene Menschenfeindlichkeit…)

Analyse und Appell

Nun hat leider nicht jedes Media Outlet die wunderbare Möglichkeit auf so bewanderte Stimmen wie eben jene einer Nora Eckert zurückgreifen zu können; ist sicherlich an mancher Stelle ein wenig verunsichert, wie kritisch über das von Schwarzer und Louis herausgegebene Buch schreiben, dabei aber auch im Sinne einer Debatte unterwegs zu sein. Durchaus gibt es Stolpersteine und ja, das muss gesagt werden, auch aus der queeren Community gibt es Personen, die nur darauf warten, dass irgendwer irgendwas falsch zu Verstehendes schreibt oder sagt, um diese Sau dann durchs Dorf zu treiben. Das ist doof. Davon unbenommen, ist es eben ein sensibles Thema, Queerness ganz allgemein. Das ist so.

Zurück zum Umgang mit dem „Transsexualität“ genannten Buch: Der Bundesverband Trans e. V. hat hier einen Tag vor Erscheinen, also am 29. März, eine Presseerklärung herausgegeben, die neben einer kurzen Analyse des Buches einen Appell zur achtsamen Lektüre und eine Art Leitfaden zum Umgang mit dem Titel wie auch von Inhalten, die in solche Richtungen gehen.

„Eine Streitschrift“? – eher weniger

So heißt es darin, dass sich in der Veröffentlichung „ausschließlich überholte Perspektiven auf Trans*geschlechtlichkeit, die die gesellschaftliche Akzeptanz von trans* Personen bedrohen und Diskriminierung gegenüber ihnen rechtfertigen sollen“ finden. Der Sammelband inszeniere sich als Fachbuch, das Perspektiven liefere, die vermeintlich in der gesellschaftlichen Debatte fehlten. Da, das mal angemerkt, fragt mensch sich schon, auf welche Gesellschaft Frau Schwarzer und Co. dort schauen und wie lange sie nicht mehr von ihrem Bayenturm heruntergestiegen sein mag…

Der Untertitel „Eine Streitschrift“ wird so zur Farce, ist der Erklärung zu entnehmen: „Von einer ausgewogenen oder gar differenzierten Auseinandersetzung mit Trans*geschlechtlichkeit kann aber nicht die Rede sein. Das Buch versammelt ausschließlich Beiträge, in denen trans*feindliche Vorstellungen vertreten werden. Einzelmeinungen, die als wissenschaftlich überholt gelten, werden nicht als solche eingeordnet, sondern als Stand der Wissenschaft dargestellt. Es entsteht etwas, das ‚false Balance‘ (falsche Ausgewogenheit) genannt wird. Das ist eine Form der medialen Verzerrung. Viele der im Buch eingenommenen Positionen wiederholen trans*feindliche Annahmen, die auch in christlich-fundamentalistischen, rechtskonservativen und rechtsradikalen Kreisen geäußert werden.“ 

Zunehmende Gewalt nach Fehlinformationen

Mit dieser Einmischung, so der BVT*, fordere Schwarzer den gesellschaftlichen Fortschritt in Bezug auf trans* Personen um Jahre zurückzudrehen und die Diskriminierung „mindestens beizubehalten, wenn nicht gar zu verstärken“; diesem Eindruck dürften wohl nur TERFs and Friends (Trans-Exclusionary Radical Feminism, etwa: „Trans-ausschließender radikaler Feminismus“) etwas entgegenhalten wollen. Und ihn damit unterschreiben. Eine TERF-Vorreiterin ist die Harry Potter-Autorin J.K. Rowling, deren Geschichten so beliebt waren, die gemocht werden soll-will, weil Dumbledore ja schwul ist, bei uns aber schon der antijüdisch-rassistischen Untertöne ihrer Bücher wegen kritisch gesehen wird. Rowling jedenfalls ist Britin. Auf das Vereinigte Königreich schaut auch der BVT* in der Presseerklärung.

Dort sehen wir nämlich, wie trans*feindliche Stimmungsmache „die Lebensrealitäten von trans* Personen negativ beeinflusst. Dort wurde durch ähnliche Äußerungen und Fehlinformation, die von Medien unhinterfragt übernommen wurden, eine gesellschaftliche Debatte darüber angestoßen, ob trans* Personen respektiert werden sollten oder nicht. Die Folgen waren verheerend: Die Gewalt gegen trans* Personen nahm zu. Die Möglichkeiten medizinisch im Jugendalter zu transitionieren und z. B. eine Hormontherapie zu beginnen, verschlechterten sich. Eine Reform, die trans* Personen mehr Selbstbestimmung bei der Änderung des Geschlechtseintrags zugestehen sollte, kam zum Erliegen.“

Ein „Trend“ der schadet

In diesem Zusammenhang appelliert Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* an die Medienschaffenden:

Zitat: „Es macht wütend, dass wir im Jahr 2022 darüber diskutieren, ob trans* Personen Respekt verdient haben. Trans* Personen gibt es, seitdem es Menschen gibt. Nur die Bezeichnungen dieser Personengruppe wandelten sich je nach Zeit und Ort. Wir brauchen eine respektvolle Debatte, wie Gewalt und Benachteiligung gegenüber trans* Personen abgebaut und langfristig beendet werden können. Eine Veröffentlichung wie der Sammelband von Alice Schwarzer trägt nichts Konstruktives zu dieser Frage bei und verschärft im Gegenteil die Ausgrenzung und Abwertung, die trans* Personen erfahren. Diesem Buch und den darin verbreiteten Thesen und Fehlinformation sollte keine Plattform gegeben werden. Es schadet trans* Personen.“

Kalle Hümpfner, Fachreferent_in für gesellschaftspolitische Arbeit

Auch Schwarzer und Co. sprechen, so auch im Buch, immer wieder von „Trend“ und „Hype“, beinahe so als sei die geschlechtliche Identität (die sie hier sowieso nicht sehen) eine Art Balkonpflanzkasten, der hobbymäßig und witterungsbedingt betrieben würde und ständigen Launen unterliege. „Dabei ist wissenschaftlich erwiesen, dass eine größere Akzeptanz und auch der Zugang zu einer medikamentösen Behandlung die erschreckend hohe Suizidrate unter trans* Jugendlichen senkt. Auch dass trans* Personen, die Gewalt erfahren, heute erfreulicherweise in manchen Fällen leichter Zugang zu Schutzräumen und entsprechender Unterstützung finden, wird in dem Sammelband kritisiert. Obwohl dies insbesondere für trans* Frauen immens wichtig ist, weil sie in weit überdurchschnittlichem Maße von Gewalt betroffen sind, wird ihnen pauschal unterstellt, Täterinnen zu sein“, heißt es. 

Menschenfeindlichkeit ist keine Meinung

Schwarzer und Co. äußern also nicht einfach eine Meinung in einer Debatte, schon gar nicht nur einer Elfenbeinturm-Feuilleton-Nummer, sondern sie schaden Menschen zumindest indirekt damit. Sie sprechen ihnen ihr Mensch-Sein, ihre geistige Gesundheit und persönliche Autonomie ab. In diesem Zusammenhang schadet es übrigens nicht, auch mal einen Blick über Deutschland und auch Europa hinaus zu werfen. Der Umgang mit trans* Personen ist oft entmenschlicht und entmenschlichend, eindrückliche Geschichten darüber finden sich interessanterweise vor allem in Bild-Text-Bänden wie in Laurence Rastis There Are No Homosexuals in Iran oder dem von Benjamin Wolbergs herausgegebenen New Queer Photography

Es sei eine der zentralen Aufgaben einer Demokratie, Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit vor Gewalt, Ausgrenzung und Benachteiligung zu schützen, so der BVT* – dass wir uns dem anschließen, ist selbstverständlich und wohl selbst den unaufmerksamsten Besucher:innen unseres Online-Magazins klar. Alice Schwarzer und die weiteren Autor*innen des Sammelbandes stellten sich mit der Verbreitung ihrer menschenfeindlichen Thesen gegen diese Grundwerte, so die Erklärung weiter.

Aufmerksamkeit und Informationen

In diesem Zusammenhang richtet der Bundesverband Trans* nachstehenden Appell an die Medienlandschaft, dem wir uns gern anschließen und im Folgenden zitieren:

  • Bitte lesen Sie Schwarzers Buch mit einem wachsamen Blick und betrachten Sie die gemachten Aussagen kritisch. Diskutieren Sie mit Ihren Kolleg*innen/in Ihrer Redaktion, inwieweit die Berichterstattung zu diesem Buch den haltlosen Thesen nur mehr Aufmerksamkeit verleiht. 
  • Beziehen Sie Stimmen ein, die einen aktuellen wissenschaftlichen und medizinischen Standpunkt vertreten. Achten Sie in der Berichterstattung darauf, nicht im Sinne des False Balancing einer Außenseiter*innen-Position zu viel Gewicht zu geben. 
  • Ordnen Sie die im Buch gemachten Aussagen in den Fachdiskurs um Trans*geschlechtlichkeit ein. Überlegen Sie, an welcher Stelle die Wiederholung einer trans*feindlichen Aussage nötig ist und wann diese vermieden werden kann.
  • Sprechen Sie mit Selbstvertretungsorganisationen und gleichen Sie dadurch die im Buch dargestellten Vorstellungen mit den tatsächlichen Lebensrealitäten von trans* Personen ab. 
  • Machen Sie deutlich, welche negativen Auswirkungen es auf die Lebensrealitäten von trans* Personen hat, wenn trans*feindlichen Stereotype und Vorurteile geteilt werden.

Darüber hinaus empfiehlt der Verband Broschüren die wir ebenfalls gern empfehlen und hier verlinken: „Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden?“ (gemeinsam mit dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland, LSVD); „Trans*feindliche Mythen – Einige Richtigstellungen” kontert Verschwörungserzählungen zu Trans*geschlechtlichkeit, herausgegeben von TransInterQueer e. V.; „Trans* ganz einfach“, hält was der Titel verspricht; „Trans* in den Medien“, wieder von TransInterQueer e. V. und wendet sich direkt an Medienschaffende, beinhaltet Tipps für eine respektvolle Berichterstattung – große Lektüreempfehlung. Auch hat der LSVD einen Beitrag mit neun wesentlichen Kritikpunkten zum Buch veröffentlicht, den wir ebenfalls empfehlen möchten.

„Und wieso ist ‚Transsexualität‘ ein doofes Wort?“

Noch ein letzter Punkt, den auch der Bundesverband Trans* aufgreift und der uns als Reaktion auf Beiträge zum Thema gern erreicht, die Frage „Wieso ist ‚Transsexualität“ denn nun ein ‚böses‘ Wort?“ (auch hier, liebe Leute, es ist in Ordnung zu fragen, um zu fragen):

„Bereits mit der Verwendung des veralteten Begriffs ‚Transsexualität‘ im Titel, zeigt Alice Schwarzer, dass sie keine Expertin ist und die aktuellen fachlichen und gesellschaftlichen Diskurse ignoriert. Dieser Begriff ist nicht nur irreführend. Bei Trans*geschlechtlichkeit geht es um Geschlecht, nicht um Sexualität. Auch in der Wissenschaft und Forschung wird der Begriff überwiegend nicht mehr als Fremdbezeichnung verwendet. Er gilt als stigmatisierend und wurde größtenteils durch Begriffe wie Trans*identität oder Trans*geschlechtlichkeit ersetzt. Manche trans* Personen wählen den Begriff ‚Transsexualität‘ als Selbstbezeichnung für sich, um ihn in seiner Bedeutung zu verändern und die Stigmatisierung abzubauen. Solange dieser Prozess noch nicht abgeschlossen ist, raten wir davon ab, den Begriff als Fremdbezeichnung zu verwenden.“

Hierzu noch ein Gedanke, bezogen auf „keine Expertin“: Das ist wohl sicherlich so, daran scheint die Frau auch keine Interesse zu haben, es geht um Stimmungsmache, nicht um Expertise. Etwas, dem wir aber auch immer öfter begegnen, ist es, das gesagt wird: „Die haben halt keine Ahnung…“ Möglich ja, dennoch: Keine Ahnung zu haben, aber laut zu sein kann eben auch Prinzip und modus operandi sein. Was umso gefährlicher ist, denn es geht dabei um eine klare Absicht. Würden sie in ihrer „Kritik“ also beispielsweise das Wort Trans*gender übernehmen, bedeutete das ja ein Zugehen auf die Gegenseite, die nach ihrem Dafürhalten nicht einmal eine Existenzberechtigung hat. Das sollte in der Debatte mitgedacht werden, wie wir meinen.

So, mit diesen positiven Gedanken nun einen schönen Tag.

Eure queer-reviewer

PS: Noch was total Schönes – heute vor dreißig Jahren begann der Krieg in Bosnien-Herzegowina; gegen 16:30 Uhr will laut aktueller Tagesordnung der Deutsche Bundestag in einer vereinbarten Debatte daran erinnern.

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