Die „Schlafschafe“ und ihr Glauben an den Sinn von Rauchmeldern

Beitragsbild: Wem soll der kleine Janosch (Emil Brosch) noch glauben? Seiner Mutter Melanie (Lisa Bitter), die plötzlich an Verschwörungstheorien glaubt, oder seinem Vater Lars (Daniel Donskoy), der seiner Frau beweisen will, dass alles nur ein großer Unsinn und er kein Schlafschaf ist? // © ZDF/Raymond Roemke

Ein „Schlafschaf“ ist eine Person, die es einfach nicht blickt. Die nicht versteht, dass alles eine große Verschwörung ist, dass wir von den Eliten gelenkt und manipuliert werden. Ganz konkret ist Lars ein Schlafschaf, da er nicht verstehen will, nicht glauben will, nicht WISSEN will, dass wir von dunklen Mächten, besagten Eliten mit der Hilfe von unseren verpflichtenden (!) Rauchmeldern überwacht werden, gesteuert auch durch einen als Asteroid getarnten Satelliten, den ein paar Superreiche ins All geschossen haben. So lässt sich auch überwachen, ob wir auf die Corona-Maßnahmen reinfallen, ja vielleicht gar so blöde sind und uns durch eine Impfung für immer markieren lassen. Lars will sich impfen lassen, Lars will, dass sein sechsjähriger Sohn Janosch eine Maske trägt, obwohl diese doch dazu führen wird, dass dessen noch nicht ausgebildete Lunge Schaden nimmt. 

Ihr seid’s doch alle krank…

„Schlafschaf“ Lars (Daniel Donskoy, Freitagnacht Jews) ist der Mann von Verschwörungstheoretikerin Melanie (Lisa Bitter, Tatort Ludwigshafen) und Vater des gemeinsamen Sohnes Janosch (Emil Brosch), der in der Pandemiezeit eingeschult wurde, von Mutter Melanie aber unter anderem wegen der Maskenpflicht in der Schule lieber dauerhaft als „krank“ gemeldet ist. Eigentlich geht es der sehr attraktiven Familie im Münchener Umland durchaus gut: Jobs, Haus, Freunde, Kind, all sowas, das für viele zu einem ausgewogenen und zufriedenen Leben eben dazugehört. Doch dann kommt plötzlich Corona und damit auch für Melanie der Jobverlust als Fitnesstrainerin. Und statt sich in die Suche nach einem neuen Job zu stürzen, stürzt sie sich in Verschwörungsmythen. Also die eizig wahren Wahrheiten.

Melanie (Lisa Bitter, l.) will Ärztin und Freundin Franzi (Amanda da Gloria, r.) von der Gefahr, die von Masken ausgeht überzeugen. Ihre Argumente kommen nicht soooo gut an… // © ZDF/Raymond Roemke

Das ist im Kern die Geschichte der neuen ZDFneo-Instant-Serie – also einer Serie die in einem beschleunigten Produktionsprozess realisiert wird und somit gern ein wenig „rougher“ aussieht, wie Lisa Bitter es in einem Interview beschrieb -, passend Schlafschafe genannt. Diese Roughness, also Rauheit, ist allerdings recht charmant, verleiht der Nummer eine brauchbare Authentizität und lässt uns Zuschauer*innen dank eines kurzweiligen, aber ausgewogenen Buchs von Zarah Schrade und Matthias Thönnissen in die Gedankenwelt von Melanie und Lars hinein. 

Das ist sehr hilfreich, denn so ist Melanie nicht einfach nur eine Spinnerin, die den Schuss nicht gehört hat – etwas, das sie ja nun auch über ihren Mann denkt – sondern eine junge Mutter, die erst einmal aus Sorge um ihr Kind nach und nach hanebüchenen Theorien, beziehungsweise eben Verschwörungsmythen und schlicht Lügen, aufgesessen ist. In einer Szene bettelt sie Lars förmlich an, sich nicht impfen zu lassen, da sie nicht als alleinerziehende Mutter enden wolle. Da vermittelt Lisa Bitter ganz famos echten Schmerz und schwere Sorge. Wie sie auch überhaupt nicht rumtönt, sondern irgendwie immer sachlich versucht, für die aus ihrer Position heraus richtige Sicht der Dinge zu werben. Von Sprühdosen-Momenten mit „Genozid an Ki…“chererbsen oder so mal abgesehen. 

Dramedy mit Frustpotential

Beim von Daniel Donskoy glaubhaft verwirrt-naiv gespielten Lars wechseln sich eben Unglaube und Frustration ab, auch er ist natürlich besorgt um Kind und Frau. Doch hat er in seiner Argumentationslinie lange Zeit das große Problem, der Annahme erlegen zu sein, seiner Frau mit Vernunft, Logik und Wissenschaft begegnen zu können. Da kommt er natürlich gegen ihren „Wissensvorsprung“ nicht an, das rehäugige „Schlafschaf“. Nicht einmal dann, wenn Corona-Profiteurin Patricia (Katerina Jacob) den Eltern eine „Spezialmaske“ für über einhundert Euro verkaufen will.

Melanie (Lisa Bitter, l.) will Janosch nur mit einer nicht schädlichen Maske in die Schule schicken. Lars (Daniel Donskoy, M.) ist von Händlerin Patricia (Katerina Jacob, r.) und ihren überteuerten Masken aber nicht überzeugt. // © ZDF/Raymond Roemke

Wie die als Drama beworbene, aber durch schwarzen Humor und bittere Ironie auch als Dramedy zu interpretierende Serie es über die sechs kurzen Folgen schafft, die verschiedenen Stufen einer zwischenmenschlichen Entfremdung und emotional manipulierender Annäherung in einer Beziehung so auf den Punkt darzustellen, ist so unterhaltsam wie frustrierend. Zumal sich alles am sechsjährigen Sohn spiegelt, der nicht nur unter den streitenden und auch räumlich Abstand suchenden Eltern leidet, sondern beinahe wie ein Ball zwischen ihren Ansichten hin- und hergeworfen wird. Dabei ist er ohnehin schon mit der ganzen für ihn abstrakten Virus- und Schulsituation überfordert. Auch wenn er sich am Ende natürlich als Schlaueste von allen erweisen soll. 

Das neoriginal Schlafschafe geht gekonnt auf so manches Verschwörungskonzept ein (die Journalisten und Autoren Christian Schiffer und Christian Alt, Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien, standen als Berater und Experten zur Verfügung), bringt auch immer wieder die ganz alten Mythen leicht zum Vorschein, ohne sich jedoch direkt um historische Aufklärung zu bemühen. Vielmehr beschreibt die Instant-Serie die Mechanismen solcher Mythen eindrücklich, auch weil sie uns am Ende eine glaubwürdige (?) Auflösung präsentiert und ihre Charaktere und deren Empfindungen ernst nimmt. Anhänger*innen all dieser Verschwörungsmythen werden in der Serie dennoch nur Gegenpropaganda des Staatsfernsehens ausmachen, etwas dessen sich die Macher*innen der Sendung mit Blick auf ihr Ende wohl bewusst sind. 

AS

Welche Rolle spielt Duncan (Jonas Holdenrieder) bei der ganzen Sache? // © ZDF/Raymond Roemke

Schlafschafe ist ab dem 12. Mai 2021, 10:00 Uhr, in der ZDFmediathek für ein Jahr verfügbar und wird in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2021 um 00:45 Uhr in ZDFneo gezeigt. 

Schlafschafe, Deutschland 2021; Regie: Matthias Thönnissen; Buch: Zarah Schrade, Matthias Thönnissen; Musik: Florian Kreier, Cico Beck; Darsteller*innen: Lisa Bitter, Daniel Donskoy, Emil Brosch, Amanda da Gloria, Anton Fatoni Schneider, Katerina Jacob, August Zirner, Jonas Holdenrieder; sechs Folgen, jeweils 13-23 Minuten; Eine Produktion der TELLUX Film GmbH im Auftrag von ZDFneo

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